Nahtoderfahrung für Apotheken: Jeder gegen Jeden Gabriele Hoberg, 14.03.2018 08:03 Uhr
„Apotheker brauchen ein Alleinstellungsmerkmal, das sie gegen geschäftsschädigende Angriffe aus Politik und Wirtschaft immun macht, dann klappt es auch mit dem Fortschritt!” Diese These vertritt der Unternehmensberater Malte Wilkes, der Apotheken noch vor Kurzem auf einer Konferenz als „Bruchbuden wie vor 30 Jahren“ titulierte. Im Interview erklärt er, warum er selbst der größte „Apothekenfan” ist.
ADHOC: Warum hauen Sie den Apothekern ihre eh schon schwierige Situation so um die Ohren?
WILKES: [lacht] Weil sie dann besser zuhören. Aber im Ernst: Es treibt mich einfach um, wie diese wichtige Berufsgruppe aus PTA, PKA und Apothekern im Zuge der Digitalisierung in der Pharma- und Apothekenbranche aufgerieben wird. Natürlich ist auch die Lobby selber schuld und ein Treiber dieser gefährlichen Entwicklung. Vor 30 Jahren gab es noch eine große Loyalität innerhalb der Apothekergemeinschaft. Die Benchmark hieß: Das können wir nicht machen, wir müssen auch an die kleinen Apotheken denken. Heute ist in dem zunehmend regulierten Medikamentenmarkt der Kampf aller gegen alle angesagt.
ADHOC: Was heißt das für die Apotheker?
WILKES: Der Zweck dieser Berufsgruppe wird immer mehr eingeengt hin zum Logistiker und „Zwangsbeglücker“. Dabei könnten die Apotheker sich sehr wohl neu aufstellen. Ich kann sie nur auffordern, unter die Heilstreiber zu gehen. Sie sollen aus ihrer Kernkompetenz als Pharmazeuten heraus etwas anbieten, was dem Kunden einen hohen Mehrwert bietet und was man nicht digitalisieren kann. Das ist nach meiner Überzeugung die sogenannte Erlebnissprache, die die Apotheker mit ihren Kunden sprechen sollten.
ADHOC: Was muss man sich darunter vorstellen?
WILKES: Das ist die Ergänzung zur Informationssprache. Sie wird von immer mehr Menschen in sogenannten Wissensberufen gesprochen, neben Wissenschaftlern und Politikern sind das auch Mediziner und Apotheker. Neben Verständnis fehlt vielen Menschen in der Kommunikation etwas, das in der Erlebnissprache abgebildet werden kann. Damit sind Analogien, Methaphern, Geschichten, Bilder im Kopf gemeint, die die Menschen mit Gefühlen verknüpfen und durch die sei einen besseren Zugang zu den Inhalten und Fakten bekommen. Psychologen sehen in der Erlebnissprache auch die Möglichkeit, die Wirkung von Arzneimitteln zu steigern, weil Patienten andere Vorstellungen mit der Medizin und ihrem Krankheitsbild verbinden, ihre Compliance gestärkt wird.
ADHOC: Wer sollte denn das Apothekenpersonal auf Erlebnissprache trimmen?
WILKES: Auf gar keinen Fall diejenigen, die sich zuerst melden [lacht]. Im Ernst: Journalisten sind da schon recht gut, die haben das einfach raus, auch komplexe und sperrige Themen mit einem hohen Fachwortanteil so herunterzubrechen, dass sie bei den Menschen mit ihren Geschichten Gefühle auslösen und im Gedächtnis bleiben.
ADHOC: Sie sprachen eben von Apothekern, die sich künftig auch als Heilstreiber verstehen sollen, um ihr Alleinstellungsmerkmal auszubauen. Was meinen Sie damit?
WILKES: Wir wissen doch alle, dass der mündige Patient macht, was er will. Mal löst er das Rezept erst gar nicht ein oder er hat nach dem Durchlesen des Beipackzettels Angst, die Tabletten überhaupt zu schlucken und wenn doch, dann vielleicht nicht in der vorgeschriebenen Menge oder Dauer. Hier könnten die Apotheker echten Mehrwert generieren, wenn sie den Patientenkunden neben den nüchternen Informationen auch noch ein Kopfkino zu ihrem jeweiligen Gesundheitsproblem bieten würden. Apotheker könnten so auch den Heilungsprozess beschleunigen.
ADHOC: Wir müssen ja davon ausgehen, dass es sowohl unter Ärzten als auch Apothekern welche gibt, die die Erlebnissprache sprechen, das ist ja nicht neu?
WILKES: Nein, aber die meisten sprechen so nicht, weil sie keine Zeit haben oder weil sie es tatsächlich nicht können. Aber genau diese Art von sprechender Medizin, die Kopfkino bei den Menschen auslöst, ist ein Zugewinn für den Heilungsprozess. Die trainierte Sympathie- und Empathiesprache, die im Geschäftsleben zum Zwecke des besseren Verkaufens gesprochen wird, diese Sprache meine ich nicht, denn die löst kein Kopfkino aus, die ist einfach berechnend.
ADHOC: Gibt es für Apotheker noch andere Gründe, auf die Erlebnissprache umzuschwenken, um sich ein Stück weit unersetzlich zu machen?
WILKES: O ja, sie brauchen keine einzige Gesetzesänderung dafür, keine Minister, sie müssen niemanden um Erlaubnis fragen. Es wäre auch eine Befreiung von der herrschenden ABDA-Politik, wo immer erst nach Geld verlangt wird, bevor dann Neuerungen kommen. Sicherlich auch berechtigt, aber nicht immer. Gerade in der schwierigen Frage der künftigen Standortsicherung von Präsenzapotheken haben die Apotheker schon jetzt Trümpfe in der Hand, die nicht alle richtig nutzen.
ADHOC: Welche sind das ?
WILKES: Da sind die PTA und PKA, dazu die Apotheker, allesamt Menschen mit hoher pharmazeutischer Kompetenz. Ich sehe das als eine riesige volkswirtschaftliche Verschwendung an, dass das nicht ausreichend genutzt wird. Diese Kompetenz ist so hoch, dass ich mir wünsche, die Apotheker und ihre Fachmitarbeiter könnten künftig auch selber die Erlaubnis bekommen, Rezepte auszustellen. Wenn ich in der Arztpraxis sitze, kommen dort innerhalb einer Stunde mindestens zur Hälfte Patienten, die nur ein Rezept brauchen, also keinen Termin mit dem behandelnden Arzt haben. Auch solch eine Änderung könnte die Apotheken vor Ort stärken.
ADHOC: Nun kommen aber auch Apotheken nicht umhin, sich mit der zunehmenden Digitalisierung auseinanderzusetzen. Was sollten Apotheker im digitalen Umfeld ihrer Geschäfte dringend ändern ?
WILKES: Auf jeden Fall ihre Websites. Das sind Visitenkarten für die Kunden und ich sage jetzt mal, über den Daumen gepeilt, dass 70 Prozent der Apotheken-Websites Schrott sind. Die werden nicht gepflegt, das sind 0815-Bausätze, aber sie haben keinen Mehrwert für die Kunden. Ich wünsche mir hier, auch und gerade bei Apothekern, die viel über die Digitalisierung jammern und ihre persönliche ökonomischen Nahtoderfahrungen auch noch auf die Digitalisierung schieben, dass die einfach mal umdenken. Auf die Apothekenseiten müssen Infos, da muss Content raufgeschaufelt werden. Warum bilden die ihre PTA nicht entsprechend aus, eben mit dem Schwerpunkt Digital und Facebook, das ganze Social Media Paket eben. Die jungen PTA entsprechen da genau der Zielgruppe an Kunden, die mit jedem Jahr häufiger in den Apotheken aufschlagen werden.
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