Die von großen Teilen der Regierungskoalition favorisierten Modelle einer Corona-Impfpflicht stehen vor einem großen Problem: Die Krankenkassen halten die Aufgabe, alle Versicherten zeitnah anzuschreiben und ihren Impfstatus abzufragen, für nicht umsetzbar. Die Suche nach Alternativen hat begonnen. Dabei könnten erneut die Apotheken ins Spiel kommen.
Der Bundestag droht sich mit der Einführung einer Impfpflicht ab 18 oder ab 50 Jahren zu blamieren. Davor warnte zumindest der GKV-Spitzenverband am Montag. Denn das in beiden Anträgen vorgesehene Verfahren würde den Kassen umfangreiche Erhebungs-, Prüf- und Meldepflichten auferlegen, die so nicht zu leisten seien: Sie sollen auf dem Postweg den Impfstatus ihrer Versicherten erfragen und sie dazu initiativ anschreiben. Das würde aus Kassensicht an mehreren Punkten scheitern: So seien bis zu 16 Millionen Menschen schon deshalb nicht erreichbar, weil zu ihnen keine aktuellen Adressdaten vorliegen – etwa Nicht-Versicherte oder Familienversicherte wie Kinder, die wegen Studium und Ausbildung nicht mehr zuhause leben, oder aber getrennt lebende Partner.
Hinzu kämen Schwierigkeiten bei der technischen Übermittlung an die Kassen. Deren Vermutung: Schon allein wegen dieser Schwierigkeiten könne es zu zahlreichen falsch-negativen Meldungen, die die Bußgeldbehörden unnötig be- oder gar überlasten. Zur grundsätzlichen Idee einer Impfpflicht äußert sich der GKV-Spitzenverband explizit nicht – im Gegenteil: Nachdem die Bild-Zeitung in einer Meldung den Eindruck erweckt hatte, dass sich der GKV-Spitzenverband gegen die Impfpflicht aussprechen würden, sah sich Vorstandschefin Dr. Doris Pfeiffer zu einer Klarstellung gezwungen: „Selbstverständlich setzen alle gesetzlichen Krankenkassen und der GKV-Spitzenverband alles daran, die Impfquote zu erhöhen“, so Pfeiffer. „Wir haben uns in unserer Stellungnahme an keiner Stelle gegen die Einführung einer Impfpflicht ausgesprochen. Wir haben lediglich auf zu erwartende praktische Schwierigkeiten bei der geplanten Umsetzung durch die Krankenkassen hingewiesen.“
Es muss also ein gangbarer Weg gefunden werden, wie eine etwaige Impfpflicht in der Praxis effektiv umgesetzt werden kann – nicht zuletzt mit Blick auf die Übertragung der Impfbescheinigungen. „Die genaue Ausgestaltung der Nachweispflicht steht noch nicht fest. Dies ist eine bewusste Entscheidung. Wir geben als Legislative das Ziel vor, bei der Umsetzung lassen wir jedoch Gestaltungsspielräume zu“, erklärt FDP-Gesundheitspolitiker Dr. Andrew Ullmann, der den Antrag für eine Impfpflicht ab 50 Jahren federführend erarbeitet hat. „Unser Gesetzesentwurf beinhaltet daher eine Verordnungsermächtigung für das Gesundheitsministerium. Das Ministerium soll gemeinsam mit den Krankenversicherungen ein Verfahren erarbeiten, wie ein entsprechendes Nachweisverfahren praktikabel umgesetzt werden kann.“
Über das Verfahren müsste das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sich also Gedanken machen, falls einer der beiden Anträge angenommen wird. Und das ist durchaus realistisch: Der vom grünen Gesundheitspolitiker Dr. Janosch Dahmen vorgelegte Entwurf für eine Impfpflicht ab 18 Jahren ist derzeit auf der Pole Position, er kann bisher rund 230 Bundestagsabgeordnete hinter sich vereinen.
Die Frage könnte sich also schon bald stellen: Wie weisen die Versicherten ihren Impfstatus am effizientesten nach? Die Kassen, mit denen das BMG ein Verfahren entwickeln würde, sträuben sich wie beschrieben gegen eine individuelle Ansprache aller Versicherten, und auch die Einsendung und Prüfung dutzender Millionen Briefe dürfte im angedachten Zeitfenster tatsächlich kaum durchführbar sein. Zwar hat Deutschland bereits eine digitale Infrastruktur für Impfnachweise, allerdings könnte es aus technischen Gründen schwierig sein, die einfach so zu übermitteln, falls die Kassen Impfzertifikate eindeutig einzelnen Versicherungen zuordnen müssen.
Dennoch könnte dieselbe Infrastruktur für diese Aufgabe genutzt werden – und zwar für die beiden diskutierten Versionen genauso wie für das von der Union vorgeschlagene Impfregister: Von den Apotheken wie von den Arztpraxen führt ein direkter digitaler Pfad einerseits zum Server des Robert Koch-Instituts (RKI), andererseits zu den Krankenkassen. Die notwendige technische Plattform ist also da und dank der Ausstellung von digitalen Impfzertifikaten sind derartige Verfahren sogar bereits eingespielt. Und bei der Verteilung von FFP2-Masken hatte das BMG sogar offen eingeräumt, dass niemand über die erforderlichen Strukturen verfügte, um die Aktion in dieser kurzen Zeit angemessen zu stemmen – explizit auch nicht die Krankenkassen, die schon mit dem Versand der für sie gedruckten Coupons überfordert waren.
Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC wird das Szenario auch schon von einzelnen Funktionsträgern in Apothekerverbänden erwogen. Die Apotheken sollten bereit dafür sein und der Deutsche Apothekerverband (DAV) täte gut daran, dieses Szenario selbst ins Spiel zu bringen oder frühzeitig seine Bereitschaft zu signalisieren – wie er es ja auch bei den digitalen Impfzertifikaten getan hatte. Statt auf Grundlage von Impfpässen Zertifikate zu erstellen, könnten Apotheken dann die Übertragung der Daten an die Kassen ermöglichen.
Ullmann weist diese Möglichkeit nicht zurück. „Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, den Nachweis auch gegenüber der Apotheke zu erbringen“, erklärt er, wendet jedoch ein: „Ich habe jedoch Zweifel, dass dies der praktikabelste und kosteneffizienteste Weg ist.“
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