Parenterale Versorgung

Müller: Apotheke als Durchlauferhitzer

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Berlin -

Normalerweise kommen die Patienten mit einem Rezept in die Apotheken und erhalten dann die verordneten Arzneimittel. Daher wunderte sich Apotheker Gunnar Müller von der Detmolder Sonnen-Apotheke wieder einmal, als er kürzlich einen Anruf vom Versorgungsdienstleister Travacare erhielt. Ein Mitarbeiter der Tochterfirma des Herstellers B.Braun Melsungen kündigte darin die Lieferung von parenteralen Nährlösungen an. Das erforderliche Rezept werde später nachgeliefert. „Erst die Ware, dann das Rezept? Die Apotheke als just-in-time-Durchlauferhitzer?“, fragt sich Müller. Aus Sicht von Travacare ist an dem Verfahren nichts auszusetzten, es diene dem Wohl des Patienten, heißt es von der Firma.

Aus Sicht von Apotheker Müller spielte sich der „Fall“ so ab: Ein langjähriger Stammpatient seiner Sonne-Apotheke wurde kürzlich aus dem Krankenhaus entlassen, mit dem Bedarf für ambulante Pallativ-/Intensiv-Versorgung mit parenteraler Ernährung. Beim Entlassmanagement des Krankenhauses wird dem Patienten laut Müller ein Service angeboten, bei dem quasi niemand Nein sagen könne. „Dieser erhebt dabei nicht nur die Patientendaten, Diagnose und Therapie, sondern fragt auch den behandelnden ‚initiierenden, rezeptierenden‘ Arzt ab, den Intensiv-Pflegedienst, der mit der Betreuung vor Ort beauftragt werden soll, den Lieferanten für benötigte Medizintechnik – und die Apotheke. Und er organisiert außerdem den weiteren Versorger, in unserem Fall die B.Braun Travacare und damit den Lieferanten und Hersteller der meisten Produkte. Alles unter Zustimmung des Patienten beziehungsweise dessen Angehöriger. Bereits im Krankenhaus wird somit mehr oder minder festgelegt, von welchem Hersteller die Produkte kommen – im Fall meines Patienten: die B.Braun Melsungen AG.“

Ein Anruf vom B.Braun TravaCare-Mitarbeiter in der Apotheke genüge dann, und schon laufe „die Maschinerie an“: Innerhalb von nicht einmal 30 Minuten erhielt seine Apotheke per E-Mail sowohl ein detailliertes Patienten-Stammblatt mit sämtlichen Kontaktdaten aller Beteiligten, als auch einen Infusionsplan und einen sogenannten „Verordnungsvorschlag“ mit einer minutiösen Einzelauflistung von über 20 Medikamenten, Verband-, Hilfsmitteln und sonstigen Artikeln nach Art und Menge, mit PZN bis hin zu Hinweisen, welche Dinge vom Patienten bezahlt werden sollten. „Braucht eigentlich nur noch vom Arzt rezeptiert zu werden“, so Müller.

Die Zusendung der Waren in vier Kartons erfolgte am darauffolgenden Tag per Travacare Lieferservice und damit schneller, als der Arzt das Rezept ausstellen konnte. Müller: „Die Waren werden also nicht im klassischen Sinne erst vom Arzt verschrieben und danach von der Apotheke eingekauft und bestellt, sondern der Apotheke bereits im Rahmen der Übernahme der Versorgung von B.Braun Travacare zu einem Zeitpunkt zugesandt, bevor die Verschreibungen vom Arzt ausgestellt werden.“

Weil Schnelligkeit bei der Versorgung dieser Patienten dringend erforderlich sei, hält Müller das Verfahren zum Wohl des Patienten durchaus für sinnvoll. Aber: „Den Letzten beißen halt die Hunde – und der ist wieder einmal mehr die Apotheke.“ Denn sollte sich allerdings eine – bis dahin ja lediglich geplante – Versorgung des Patienten aus medizinischen Gründen zerschlagen wie bei einem Therapiewechsel, dann sei dieser ganze Prozess vergebens abgelaufen. Und so geschah es auch: Der Patient musste wieder ins Krankenhaus, bevor die ambulante Versorgung starten konnte. In diesem Fall sei alles wieder an B.Braun TravaCare zurückgegangen – „ohne eine Kostenrechnung und Erstattung des entstandenen Aufwands von Arzt, Apotheke und Lieferanten und damit zum Nulltarif für die Krankenkasse“, so Müller.

Für Travacare ist das Ganze ein normaler und sinnvoller Ablauf. Patienten hätten einen Anspruch auf Entlassmanagement. Die Anschlussversorgung nach Entlassung aus dem Krankenhaus werde durch das Versorgungsmanagement der ambulanten Leistungserbringer sichergestellt: „Genau hier setzt das Dienstleistungsangebot der zum B. Braun-Konzern gehörenden Travacare an. Unsere Mitarbeiter bieten dem Patienten große Teile der Organisation der nachklinischen Versorgung an. Hierzu zählt natürlich auch, wie im vorliegenden Fall die lückenlose Versorgung mit klinischen Ernährungspräparaten im häuslichen Umfeld.“

Konkret informiere zunächst die Klinik den Patienten über den voraussichtlichen Bedarf an klinischer Ernährung. Auf Nachfrage des Patienten, wer eine solche Leistung ambulant anbiete, „versuchen unsere Mitarbeiter dem betreffenden Patienten zu gewinnen“. Dies erfolge durch schriftliche Ausübung des Patientenwahlrechts auf den dafür vorgesehenen Formularen. Anschließend könne wegen der Apothekenpflicht der Produkte der Patient seine Wunsch-Apotheke benennen. „Travacare tritt bei diesem Kontrahierungszwang zwischen dem Patienten und der Apotheke nur als Bevollmächtigter auf“, so das Unternehmen. Die Apotheke sei nunmehr zur Auslieferung verpflichtet.

Da in der Regel die entsprechenden verschreibungspflichtigen Arzneimittel nicht in der Offizin-Apotheke vorrätig seien, würden als weiterer Service die Produkte nach Ankündigung zu der entsprechenden zur Auslieferung verpflichteten Wunschapotheke des Patienten gesandt. Gleiches gelte für diverses Zubehör wie beispielsweise Desinfektionsmittel, damit ohne Pause eine klinische Ernährung im ambulanten Bereich weitergeführt werden könne.

„Eine umfassende Bevorratungspflicht wie beispielsweise bei pharmazeutischen Unternehmern und Großhändlern besteht bei Offizin Apotheken leider nicht. Diese werden durch Großhändler oder durch Hersteller, direkt wie im vorliegenden Fall beliefert“, so Travacare weiter. Zu diesem Zeitpunkt sei, wie bei allen apothekenpflichtigen Produkten, noch keine ärztliche Verordnung notwendig. Diese müsse erst zum Zeitpunkt der Abgabe durch die Apotheke vorliegen. „Auch die Beschaffung der ärztlichen Verordnung wird durch die Mitarbeiter der Travacare erledigt. Die diesbezügliche Übersendung von Rezepten wurde wiederholt von der Rechtsprechung gebilligt“, so Travacare.

Für das Unternehmen ist der Vorgang damit zulässig und sachgerecht.: „Es lässt sich festhalten, dass wir einen kostenlosen Service bieten der in Anbetracht einer notwendigen lückenlosen Ernährung möglichst schnell im nachklinischen Bereich organisiert werden muss. Wir gehen sicher davon aus, dass alle notwendigen Unterlagen in jedem Einzelfall vorliegen.“

 

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