Zu Ende September schließt Andreas Kersten seine Undine-Apotheke im Berliner Bezirk Neukölln. Wegen seiner ablehnenden Haltung zur Schwangerschaftsverhütung stand der Pharmazeut immer wieder unter Beschuss.
„Die Rahmenbedingungen für die Apotheke haben sich so verschlechtert, dass wir Ende September schließen werden“, schreibt Kersten in einer Stellungnahme. In erster Linie hätten wirtschaftliche Gründe eine Rolle gespielt, sagt der Inhaber dazu. „Es bleibt zu wenig an Ertrag übrig bei einer 60-Stunden-Woche. Die Apotheke ist nicht mehr so rentabel.“ Er werde nicht jünger, zudem sei seine Gesundheit angeschlagen, sagt der fast 59-Jährige.
Die Undine-Apotheke eröffnete 1961, Kersten übernahm sie 1990. In der Offizin des gläubigen Katholiken hängt ein Kruzifix, Papstbilder lehnen an der Wand. Auch Aufkleber auf dem Schaufenster haben christliche Botschaften. Kersten vertrieb von Anfang an weder Notfallkontrazeptiva noch Spiralen. Er wolle ungeborenes Leben schützen, das mit der Befruchtung der Eizelle beginne, so seine Begründung.
Zum Weltfrauentag 2009 gab es deshalb erstmals eine Protest-Demonstration gegen ihn, zum Weltfrauentag im März 2010 ging seine Schaufensterscheibe zu Bruch, 2011 ein weiteres Mal. Zum zweiten Anschlag bekannte sich eine Protestgruppe im Internet. Man habe die Apotheke „umgestaltet“, dabei seien „einige Scheiben zu Bruch“ gegangen. Die Begründung: Die Apotheke vertrete ein verschärftes Bild einer patriarchalischen Gesellschaft.
Im März 2014 wurde das Schaufenster der Undine-Apotheke fast vollständig mit roter Farbe beschmiert. Auch hier riefen die Täter zur Teilnahme am „Frauenkampftag“ auf. Ein paar Monate darauf musste Kersten eine weitere Farbbeutelattacke verkraften. Auf der Website indymedia.org schrieben die selbst erklärten Täter aus der linken Szene: „Wer aus Gewissensgründen meint, Frauen das Recht auf Selbstbestimmung streitig machen zu müssen, darf sich nicht wundern, wenn er aus Gewissensgründen seinen Laden demoliert bekommt.“
Kersten ließ sich in seiner Haltung nicht beirren. Vor zwei Jahren sorgte ein Tweet seiner Kundin Salomé Balthus für mediales Aufsehen. Sie hatte in der Kondom-Packung aus der Undine-Apotheke einen zweiten Beipackzettel entdeckt. Darauf stand: „Bitte werben Sie für einen verantwortungsvollen Umgang mit Verhütungsmitteln: Setzen Sie sich ein für eine grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft, Kinder zu bekommen, und für eine sorgsame Abwägung bei der Entscheidung für ein Verhütungsmittel – im Bewusstsein der Lebensbereicherung durch Kinder! Herzlichen, lieben Dank! Ihr Andreas Kersten.“
Kersten wollte seine Packungsbeilage damals nicht weiter erläutern: „Was ich ausdrücken will, steht bereits auf dem Zettel.“ Aktivisten geißelten den Text als fundamentalistisch religiös. Auf dem Bewertungsportal Yelp rieten manche dringend vom Besuch ab. „Wenn ich in eine Apotheke gehe, möchte ich die benötigten und gewünschten Medikamente haben und im Bedarfsfall zu allen Bereichen auch NEUTRAL beraten werden können“, schrieb eine Userin. „Ich möchte auch nicht von religiösen Devotionalien belästigt werden und irgendwelche obskuren Zettelchen – ungefragt zu Verhütungsmitteln aufgedrängt und im moralinsauer-belehrenden Tenor gehalten – sind ein absolutes Unding und eine Unverschämtheit.“
Die Proteste hätten in den letzten Jahren nachgelassen, sagt Kersten. Ab und zu habe es noch Sachbeschädigungen gegeben. „Das war aber nicht mehr so viel wie in früheren Jahren“, sagt Kersten. Er wolle nicht ausschließen, dass ihn seine Haltung auch Kunden gekostet habe. „Aber rings um mich herum schließen ja auch andere Apotheken.“ Wenn die Undine-Apotheke ihre Pforten dicht macht, dann vermutlich für immer. Einen Nachfolger gebe es „eher nicht“, so Kersten.
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