Möchten Sie mein Äskulap-Tattoo sehen? Silvia Meixner, 16.03.2017 10:37 Uhr
Wenn der Chef einen Dresscode ausgibt, haben es die Mitarbeiter einfacher. Außer sie mögen keinen Kittel oder finden die im Team ausgewählten Poloshirt-Farbe schrecklich. Die neue Kollegin hat ein Tattoo – darf die das? Und der PTA trug neulich beim Vorstellungsgespräch einen Nasenring. So einer bekommt den Job nie! Oder doch?
Kittel oder Jeans, quietschbunte Crocs oder elegante Lederschuhe – der Dresscode ist ein Dauerthema in Apotheken. Beim Thema Körperschmuck gehen die Meinungen auseinander. Die einen finden Tattoos wunderbar, die anderen schrecken zurück, wenn eine PTA mit Nasenpiercing und Tunnel im Ohr das Arzneimittel reicht. Grit Spading, Apothekerin in der Apotheke am Hörst in Eckernförde, trägt ihre Tätowierungen mit Freude und Stolz.
Auf ihrem Dekolleté sind eine große Waage und ein Äskulap-Stab zu sehen. Sie sagt: „Ich trage das aus Liebe zum Beruf.“ Darüber hinaus zieren ihren Körper unter anderem ein Pinup-Girl, das auf einer Weltkugel sitzt und Hollywoodgrößen wie Doris Day und Rock Hudson.
Sie wird oft auf die Waage angesprochen. „Die Kunden fragen: ‚Sind Sie Waage?´, ich antworte: ‚Nein, ich bin Apothekerin!‘ – und schon ergibt sich ein Gespräch.“ Kritik hat sie bisher nicht erfahren, aber eine skurrile Situation erlebt: „Eine ältere Dame kaufte Heilsalbe für ihren Enkelsohn, der frisch tätowiert war. Sie verlangte eine Quittung, weil sie ihm die Salbe in Rechnung stellen wollte. Sie war entschiedene Tattoo-Gegnerin und fragte mich, ob ich verstehen würde, wie man seinen Körper dermaßen verschandeln könne.“ Grit Spading blieb ernst – herzlich gelacht wurde später.
Frank Jaschkowski, Geschäftsführer der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, sieht das Thema kritischer: „Ich hätte als Kunde ein Problem mit einem Mitarbeiter, der im Gesicht tätowiert ist. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Tattoos, aber in manchen Berufen, etwa bei Bankern oder bei Heilberuflern, möchte ich sie nicht haben. Der Vertrauensvorschuss, den man einem weißen Kittel entgegenbringt, kann durch eine Tätowierung oder ein Piercing verspielt werden. Das heißt aber nicht, dass man auf Dauer nicht auch Vertrauen zu diesem Mitarbeiter finden kann.“
Im Klartext: Er würde sich durchaus beraten lassen – und bei Zufriedenheit wiederkommen. Seine Vorbehalte erklärt er so: „Früher waren Menschen der kriminalisierten Szene tätowiert, inzwischen hat sich das verändert, aber ich kann nachvollziehen, wenn sich Menschen nicht wohlfühlen, wenn sie in der Apotheke auf einen tätowierten Mitarbeiter treffen.“
Melanie Bohatschek arbeitet in der „Berg-Apotheke“ im thüringischen Tabarz. Beim Bewerbungsgespräch erschien die PTA ohne Körperschmuck: „Als ich merkte, dass die Chemie zwischen mir und meiner Chefin stimmt, habe ich sie gefragt, wie sie zu Tattoos und Piercings steht.“ Ihre Antwort: „Es gehört zu dir, warum solltest du es verstecken?“
Ihre Ohren haben Tunnel (künstlich geweitete Löcher) mit einem Durchmesser von 20 Millimetern, ihre Oberlippen-Medusa (kleine Metallkugel) mag sie ebenso wie ihr Septum-Piercing in der Nase. Hinter dem rechten Ohr hat sie sich auf einer Tattoo-Messe spontan einen kleinen Äskulap-Stab tätowieren lassen, insgesamt hat sie vier Tattoos. „Es gab noch nie Probleme, viele Kunden sagen, dass mein Körperschmuck niedlich aussieht.“
Der Kölner Apotheker Dirk Vongehr würde jederzeit Apotheker oder PTA mit Körperschmuck einstellen. „Neulich hatte ich ein Vorstellungsgespräch mit einer PTA mit Nasenpiercing, sie wusste nicht, dass ich tätowiert bin.“ Im Sommer trägt er gern Polohemden, dann sieht man seine Tätowierungen. „Kritik gibt es gar keine, die Reaktionen sind durchweg positiv.“ Das Zeichen der Jedi-Ritter, „Halleluja“ und „Schalom“, das Logo der Sternflotten-Akademie aus „Star Trek“, ein Supermann-Logo auf der Schulter – sein Körper verrät, was ihm im Leben wichtig ist oder war. „Ich betrachte die Tätowierungen als eine Art Fotoalbum.“
Die PTA Verena Pfirmann-Heil hat ebenfalls noch nie negative Erfahrungen mit ihren Tattoos gemacht. „Meine erste Chefin war relativ gelassen, sie zeichnete mir sogar die Vorlage für meinen Aeskulap-Stab. Mein jetziger Chef ist ebenfalls sehr tolerant. Er ist lediglich darauf bedacht, dass die Patienten sich nicht dadurch gestört fühlen. Meine Piercings werden versteckt, die Tattoos schauen nur minimal unter dem Poloshirt heraus und meinen Sidecut darf ich offen tragen.“ Bisher hat sich nur ein Kunde beschwert: „Leider hatte derjenige nicht den Mut, mich anzusprechen, sondern beschwerte sich beim Chef.“ Der sah es gelassen.
Doch es gibt auch Apotheken mit strengeren Vorgaben für die Mitarbeiter. In einer Landapotheke in Bayern etwa hat der Generationenwechsel eine gewisse Lockerung bewirkt: Beim Vater waren sogar Jeans am HV-Tisch tabu, seit sein Sohn übernommen hat, ist das in Ordnung – solange die Hosen nicht zerrissen sind. Auch bei gefärbten Haaren gibt es Grenzen: „normale“ Farben sind ok, Strähnchen auch, eine Mitarbeiterin mit grünen Haaren würde der Inhaber aber darauf ansprechen.
Bei Piercings hält er es ebenso. Gegen einen kleinen Nasenstecker würde er vermutlich nichts sagen, einen Nasenring oder allzu viel Metall im Gesicht würde er seinen überwiegend älteren Kunden eher nicht zumuten wollen. „Es zählt der Gesamteindruck“, sagt er. Wenn ein Mitarbeiter insgesamt gepflegt aussieht, darf es auch etwas extravaganter sein.
Andererseits könne nämlich auch ein normal gekleideter und gestylter Mitarbeiter negativ auffallen, wenn er das Shampoo zu Hause nicht finde. Der Inhaber berichtet, dass er auf solche Fälle meist schnell vom Team angesprochen wird und das Ganze dann in einem persönlichen Gespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter offen und freundlich klärt.