Mitarbeiterrabatt auf Rx: Fristlose Kündigung? Patrick Hollstein, 16.09.2022 10:54 Uhr
In vielen Apotheken können Mitarbeiter:innen zu vergünstigten Konditionen einkaufen. In Thüringen eskalierte ein Fall, weil eine PTA dies auch bei rezeptpflichtigen Medikamenten in Anspruch genommen haben soll. Sie soll die entsprechenden Käufe als „grünes Rezept“ gebucht haben – und wurde gefeuert. Doch für die fristlose Kündigung fehlte dem Landesarbeitsgericht ein Nachweis, den die Inhaberin im Grunde gar nicht erbringen konnte.
In der Apotheke können die Angestellten über ihr Mitarbeiterkonto OTC- und Freiwahlprodukte rabattiert einkaufen, sie zahlen nur den Einkaufspreis plus Umsatzsteuer. Bei Rx-Medikamenten ist dies nicht vorgesehen, doch angeblich kaufte die PTA mehrmals entsprechende Präparate zu den Sonderkonditionen: Im September 2020 mahnte die Inhaberin ihre Angestellte ab, einen Monat später folgte die fristlose Kündigung, da mittlerweile weitere Fälle bekannt geworden waren. Vor Gericht ging es nun um die Frage, ob die Entlassung gerechtfertigt war.
Apotheken sei es gesetzlich untersagt, rezeptpflichtige Arzneimittel unterhalb des Festpreises abzugeben, so das Argument der Inhaberin. Sie warf ihrer Angestellten vor, die Einkäufe im Warenwirtschaftssystem bewusst falsch verbucht zu haben, um so den Personalrabatt zu erhalten: Normalerweise gibt es in der Software für Rx-Medikamente die Verkaufsarten „Rezeptverkauf“ und „Privatrezept“; bei beiden wird aber aufgrund der gesetzlichen Vorschriften kein Rabatt gewährt. Nur bei den Menüpunkten „Normalverkauf“ für Barverkäufe und „Grünes Rezept“ sind die Mitarbeiterkonditionen im System hinterlegt – diese Möglichkeit soll die PTA genutzt haben.
Während die PTA behauptete, nichts von den Einstellungen gewusst und auf die angezeigte Preiskalkulation vertraut zu haben, wirft ihre ehemalige Chefin ihr vor, entsprechende Warnhinweise weggeklickt und den Verkaufsstatus gezielt geändert zu haben.
Grünes Rezept für Rx genutzt
Obendrein zweifelte die Inhaberin an, dass überhaupt Rezepte vorgelegen hätten. Denn bei einem Präparat, das dreimal gekauft worden war, sei der erste Vorgang ordnungsgemäß als Privatrezept verbucht worden, während er beim zweiten Mal unter Nutzung des Reiters „grünes Rezept“ und schließlich ein weiteres Mal erneut unter Nutzung des Reiters „Normalverkauf“ abgeschlossen worden sei.
Auch wenn beide Parteien – wie es in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen nicht selten vorkommt – teilweise etwas verwirrend und sogar widersprüchlich argumentierten, versuchten Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht die Sache aufzuklären. Der Vorwurf der unberechtigten Inanspruchnahme von Mitarbeiterrabatten komme als Kündigungsgrund nicht in Betracht, so die Richter. Denn auch wenn am Ende insgesamt 13 Verkaufsvorgänge im Raum standen, habe es nach der Abmahnung keine neuen Fälle gegeben. Daher seien sie allesamt durch die Abmahnung erschöpft.
Laut den Richtern ist auch nicht erwiesen, dass die strittigen Verkäufe tatsächlich von der PTA selbst durchgeführt wurden. Denn im Warenwirtschaftssystem waren die Mitarbeiterkonten nicht durch ein persönliches Passwort geschützt, sodass gleichzeitig mehrere Kolleg:innen auf ein und demselben Konto arbeiten beziehungsweise sich mit jedem beliebigen Konto anmelden konnten. Entsprechend hatte die PTA im Prozess auch behauptet, dass auch andere Angestellte unter Nutzung ihres Kontos entsprechenden Buchungen vorgenommen haben könnten. Erst nach ihrer Kündigung wurde ein neues EDV-System angeschafft, bei dem jedes Mitarbeiterkonto durch ein Passwort geschützt ist.
Zwar konnten Inhaberin und Filialleiterin noch anhand von EC-Belegen nachweisen, dass in mindestens vier Fällen die PTA selbst die Käuferin war. Doch drei Vorgänge waren als „grünes Rezept“ verbucht – und hier konnte die Apotheke nicht nachweisen, dass es keine Verordnung gegeben habe: Da „grüne Rezepte“ in der Apotheke regelmäßig vernichtet würden, könne es „nicht Aufgabe des Arbeitnehmers sein, angesichts einer bloßen Vermutung, Belege hätten nicht vorgelegen, bei den verschreibenden Ärzten nach Vermerken in der Patientenakte über die erfolgte Verschreibung suchen zu lassen“, so das Landesarbeitsgericht.
Blieb am Ende ein einziger Fall aus dem Februar 2018, in dem ein Rx-Medikament mit Rabatt als Barverkauf verbucht worden war. Und hier drückten die Richter ein Auge zu: Der einzelne Vorfall rechtfertige unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht den Ausspruch einer Kündigung.
So wurde die Kündigung für ungültig erklärt, außerdem hat die PTA noch Anspruch auf den ausstehenden Teil des 13. Monatsgehalts. Für die Apotheke könnte es noch teuer werden: In einem parallelen Verfahren fordert die ehemalige Angestellte nicht weniger als 30.000 Euro. Immerhin war sie 22 Jahre lang in der Apotheke beschäftigt.