Kahlschlag bei SNRI

Minus 97 Prozent: Festbetrag für Lenalidomid Patrick Hollstein, 21.08.2023 14:45 Uhr

Bei Lenalidomid kollabieren die Listenpreise. Foto: Apotheke am Bexbach
Berlin - 

Im Kampf gegen Lieferengpässe waren im Frühjahr die Festbeträge für Fiebersäfte und Antibiotika vorübergehend ausgesetzt worden. Jetzt schlägt der GKV-Spitzenverband wieder zu: Für mehrere Wirkstoffe und Gruppen werden zum 1. Oktober neue Erstattungsobergrenzen eingeführt, die teilweise einen massiven Preisverfall zur Folge haben.

Neue Festbetragsgruppen

Für sieben Wirkstoffe und -gruppen hat der GKV-Spitzenverband neue Festbeträge festgesetzt. Die Abschläge sind teilweise dramatisch.

Lenalidomid

Bei Lenalidomid war das Patent im vergangenen Jahr erloschen, mittlerweile gibt es zahlreiche Generika, die jedoch noch als Hochpreiser gelten. Jetzt fallen die Erstattungsgrenzen – von bis zu 3000 Euro auf unter 100 Euro.

Doch nur Aliud, Cipla, Ethypharm, Medical Valley (Axiromed), Mylan/Viatris, Piramal, Zentiva liegen unter dem neuen Festbetrag sowie bei bestimmten Packungen Aristo, Puren und Stada.

Bei anderen Anbietern wie AbZ/Ratiopharm, Accord, Basics, Beta, Devatis, Glenmark, Heumann, Hexal, Stragen und TAD gibt es dagegen deutliche Differenzen – teilweise von bis zu 98 Prozent. Auch beim Altoriginal Revlimid (BMS) müsste der Preis um 99 Prozent sinken, um eine Abgabe zu Lasten der Kasse ohne Mehrkosten zu ermöglichen.

Allerdings läuft die Versorgung bereits vielfach über Open House-Verträge mit Preisabstandsklausel; für die Hersteller wird die Absenkung der Listenpreise daher faktisch keine allzu große Rolle spielen. Nur die Apotheken könnten von einer Reduktion ihrer Spanne und Lagerwertverlusten erheblich betroffen sein.

Desvenlafaxin/Milnacipran/Venlafaxin

Ähnlich dramatisch könnten die Auswirkungen in der Gruppe der selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) sein. Hier werden die Wirkstoffe Desvenlafaxin, Milnacipran und Venlafaxin in allen oralen Darreichungsformen zusammengepackt – mit der Folge, dass zwei Moleküle aus der GKV-Versorgung verschwinden könnten: Neuraxpharm liegt mit Desveneurax bis zu 75 Prozent über Festbetrag und mit Milnaneurax bis zu 68 Prozent. Als zweiter Lieferant von Milnacipran müsste auch Holsten den Preis um 28 bis 66 Prozent senken, um ohne Aufzahlung liefern zu können.

Bei Venlafaxin liegen dagegen die meisten Generika unter dem neuen Festbetrag, nur das Altoriginal Trevilor retard (Viatris) liegt 60 bis 74 Prozent höher.

Blutgerinnungsfaktor VIII, plasmatisch

Unter den Anbietern der Faktor-VIII-Präparate liegt Octapharma mit Octanate bereits unter dem Festbetrag; Biotest, CSL und Intersero müssten die Preise um bis zu ein Viertel senken.

Cinacalcet

Bei Cinacalcet liegen Anbieter wie Aliud, Ascend, Axcount, Devatis, Glenmark, Heunet und Medice bereits unter dem künftigen Festbetrag. Bei Heumann, Hexal, Ratiopharm, Stada, Mylan/Viatris und Zentiva ist mit Preisanpassungen von bis zu 50 Prozent zu rechnen. Das Altoriginal Mimpara (Amgen) ist 90 Prozent teurer als für Kassenpatienten vorgesehen.

Dronedaron

Hier liegen Aliud und Betapharm unter Festbetrag, Aristo und Ratiopharm müssen um rund 10 Prozent anpassen. Das Altoriginal Multaq (Sanofi) ist 20 Prozent teurer.

Prucaloprid

Die Generika von Aliud, Axunio, Dexcel und Zentiva liegen allesamt unter Festbetrag, nur Resolor (Takeda) ist bis zu 30 Prozent teurer.

Roflumilast

Hier müssen alle Packungsgrößen und Wirkstärken einzeln durchgesehen werden, denn auch bei den einzelnen Generikaanbietern ist das Bild uneinheitlich. Daxas (AstraZeneca) ist bis zu 40 Prozent zu teuer.

Anpassungen

Darüber hinaus gibt es kleinere Anpassungen bei bestehenden Festbetragsgruppen; es handelt sich um nicht verschreibungspflichtige Präparate, die ausnahmsweise zu Lasten der Kasse abgegeben werden dürfen:

  • Ambroxol zur Inhalation
  • Butylscopolamin, feste orale Darreichungsformen
  • Pyridoxin, Parenteralia
  • Dimeticon/Simeticon: feste orale Darreichungsformen

Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), kritisiert: „Ein Schritt nach vorn und nun zwei Schritte zurück: Mit dem ALBVVG hat der Gesetzgeber erst gerade ein Zeichen zur notwendigen Stabilisierung des Generika-Marktes geben wollen, da dreht der GKV-Spitzenverband bereits an den nächsten Festbetragsschrauben – und das obwohl bereits Preis- und Abschlagsregulierungen greifen. Vielleicht sollte man zugunsten einer Perspektive für Versorgungssicherheit den generischen Märkten etwas mehr Zeit geben, sich zu entwickeln, dies ganz im Sinne von längerfristig mehr Effizienz im Gesundheitssystem.“