Özlem Cinarlik, Inhaberin der Albert-Schweitzer-Apotheke in Stadtallendorf (Hessen), ist schockiert: „Eine Kundin kam zu mir in die Apotheke und wollte ein verschreibungspflichtiges Tierarzneimittel bestellen, sie besaß aber kein Rezept“, so die Apothekerin. Nach eigener Recherche musste sie feststellen, dass das Präparat ohne tierärztliche Verschreibung im Internet zu beziehen ist.
„Eine Kundin wollte Milbemax für ihren Hund erwerben. Ich fragte sie, ob sie ein Rezept vom Tierarzt habe, was sie verneinte“, so die Apothekerin. „Sie erzählte mir, dass sie erst vor Kurzem ein Entwurmungsmittel im Internet bestellt hätte und kein Rezept brauchte. Der Versand hatte ihr aber zu lang gedauert, deswegen kam sie zu uns in die Apotheke, um auf die Schnelle was zu kaufen.“
Im ersten Moment glaubte Cinarlik noch an eine Verwechslung und recherchierte zu dem benötigten Mittel: „Meine Apothekensoftware zeigte mir eindeutig eine Verschreibungspflicht. Da stand ich natürlich dumm da, denn die Kundin war ebenfalls irritiert.“ Aufgrund des fehlenden Rezepts musste die Inhaberin die Abgabe verweigern. „Mich hat die Situation schockiert, das wirkt doch, als hätte man keine Ahnung. Wir sind eine Landapotheke, sowas spricht sich dann auch schnell rum, und schlimmstenfalls wird erzählt, man wolle solche Mittel nicht verkaufen.“
Was hierzulande kontrolliert und vor allem aufwendig erfasst werden muss, sieht in Nachbarländern völlig anders aus: Im Internet sind über entsprechende Shops wie Tierarzneibote.de oder Medpets.de auch Mittel wie Milbemax ohne Rezept bestellbar. Die Versender sitzen in den Niederlanden, wo es offenbar keine Rezeptpflicht für das Präparat gibt.
In Deutschland dürften Mittel wie Milbemax aber auch nicht gegen Vorlage eines Rezepts verschickt werden, denn es gelten im Hinblick auf Tierarzneimittel strengere Regeln als bei Humanarzneimitteln: Seit einigen Jahren gilt in diesem Bereich sogar ein Rx-Versandverbot. Vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft heißt es dazu: „Tierarzneimittel, die nur auf der Grundlage einer tierärztlichen Verschreibung an Tierhalterinnen und Tierhalter abgegeben werden dürfen, sind stets apothekenpflichtig. Die Tierhalterinnen und Tierhalter dürfen damit apothekenpflichtige Tierarzneimittel nur von einer öffentlichen Apotheke oder aus der Hausapotheke, der behandelnden Tierärztin oder des behandelnden Tierarztes beziehen.“
Bei unterschiedlicher Einstufung gelten die Vorschriften des Bestimmungslandes: „Beim Kauf von Tierarzneimitteln bei Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten ist zu beachten, dass es Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Einstufung der angebotenen Tierarzneimittel geben kann. In Deutschland dürfen nur Tierarzneimittel online gekauft werden, die in Deutschland als nicht verschreibungspflichtig eingestuft sind.“ Fazit: „Der Handel mit verschreibungspflichtigen (und damit stets apothekenpflichtigen) Tierarzneimitteln über das Internet ist innerhalb der EU nach Art. 104 Absatz 1 der Verordnung 2019/6 grundsätzlich verboten.“
Cinarlik ärgert sich: „Wir müssen in der Apotheke alles perfekt bis ins kleinste Detail dokumentieren und bekommen so gesehen Ärger für jede Kleinigkeit. Dabei kann doch die Qualität der online erworbenen Tierarzneimittel gar nicht kontrolliert werden“, so die Apothekerin. Insbesondere bei längeren Transportwegen und der Belieferung per Postboten habe sie starke Zweifel: „Wie schnell kann solch ein Mittel verloren gehen oder bei falschen Temperaturen gelagert werden. In der Apotheke muss ich für jede Ecke die Temperatur dokumentieren.“
Auf den entsprechenden Anbieterseiten sei nicht mal ein Hinweis auf die Verschreibungspflicht in Deutschland zu finden. „Ich habe alle Seiten durchgeschaut. Es war keine Information darüber enthalten, dass man hierzulande ein Rezept für solch ein Mittel braucht.“
Um sich Gehör zu verschaffen, reichte Cinarlik eine Beschwerde an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein und wandte sich unter anderem auch an die Tierärztekammer. „Von der Tierärztekammer kam gar keine Antwort, von anderen Stellen erfuhr ich, dass das Problem bereits bekannt sei, man aber nicht dagegen vorgehen könne“, so die Apothekerin. „Das ist richtig frustrierend, ich finde keine Worte für diese Ungerechtigkeit. Ich wirke inkompetent den Kund:innen gegenüber, weil sich andere einfach nicht an die Gesetze halten.“
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