Die Bilanz der Apotheken-GmbH Patrick Hollstein, 29.01.2016 10:33 Uhr
Nach der Wende herrschte im Apothekenmarkt Goldgräberstimmung: Aus dem Westen zog es geschäftstüchtige Pharmazeuten und professionelle Standortentwickler in die neuen Bundesländer; sie wollten beim Wiederaufbau des privaten Gesundheitswesens mitverdienen. Einzig das Fremd- und Mehrbesitzverbot stand so manchen Ambitionen im Weg. Aber dafür gab es Strohmänner. Eine Firma trieb es so weit, dass sie sogar die Bilanzposten der Apotheken in ihre eigenen Bücher nahm.
APOTHEKE ADHOC liegen umfangreiche interne Unterlagen einer Berliner Firma mit dem Namen TKP vor, die seit den 1990er Jahren in den neuen Bundesländern eine ganze Reihe von Ärztehäusern und Apothekenstandorten entwickelt hat. In Eisenach gehören dazu die drei Georgen-Apotheken; der Verbund wird durch die Ahorn-Apotheke in Gotha komplettiert.
Bis 2013 gehörte die Gruppe einem mittlerweile verstorbenen Apotheker aus Norddeutschland – zumindest auf dem Papier. Denn in ihren Finanzunterlagen aus dem Jahr 2010 macht sich TKP sowohl die Gewinn- und Verlustrechnung als auch die Bilanz der Apotheken zu eigen: Von den 15,2 Millionen Euro, die als Umsatz für den Teilbetrieb „Dienstleistungen und der Handel mit Waren aller Art im Raum Eisenach und Gotha“ aufgeführt sind, werden 13 Millionen Euro als „Erlöse Apotheken-Rechenzentrum 19%“ ausgewiesen.
Auf der Kostenseite der GmbH sind – neben Personalaufwendungen von mehr als einer Million Euro – zahlreiche Positionen zu finden, die typisch für den Apothekenbetrieb sind: Zugabeartikel, Apothekendekoration, Apothekenzeitschriften, Apothekenbedarf. Das Geschäft war lukrativ: Trotz jeweils sechsstelliger Aufwendungen für Marketinggebühren, Fremdarbeiten, kaufmännische Verwaltung und Mietleasing blieben unter dem Strich 386.000 Euro übrig.
Besonders aufschlussreich sind auch die Debitorenlisten. Hier finden sich so ziemlich alle Hersteller, die in der Pharmabranche Rang und Namen haben und die Apotheken direkt beliefern, die Großhändler Phoenix und Anzag, das Softwarehaus ADG – und selbst die Landesapothekerkammer. Bei den Verbindlichkeiten wird unter den Gläubigern nicht nur die Apobank genannt, sondern auch ein Darlehen von Phoenix über 300.000 Euro ausgewiesen. Auch gegenüber dem damaligen Apothekeninhaber werden Verbindlichkeiten von 100.000 Euro gebucht.
In anderen Finanzunterlagen von TKP werden detailliert die Vertragsverhältnisse der Apotheken mit Dritten aufgelistet: Miet-, Leasing- und Dienstleistungsverträge genauso wie Versicherungen und die Kfz-Finanzierung. In den Akten der TKP wird schließlich auch detailliert die Entwicklung des Anlagevermögens für jede Apotheke aufgelistet: von der Ladeneinrichtung über das Kassensystem und den Kommissionierautomaten, das Apotheken-A und den Nachtdienstkasten, die Laborausstattung und den Medikamentenkühlschrank bis hin zum Zytostatika- und Parenteralialabor. Auch Umbauten in den Arztpraxen und die Einrichtung einer Firmenwohnung wurden gebucht; selbst die Einlage bei Vivesco wird als Beteiligung geführt.
Wie die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Kapitalgesellschaft und dem ehemaligen Apothekenleiter aussahen, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Von einem „Tochterunternehmen in Eisenach“ ist in den Unterlagen die Rede und von „Beteiligungen an Filial-Apotheken“. An anderer Stelle schreibt die Firma von Beteiligungsgesellschaften und von Betriebsstätten – und von einer „treuhänderisch für die TKP gehaltenen Apotheke“. Wieder an anderer Position weist die Firma darauf hin, dass das Ausscheiden des Inhabers aus der Georgen-Apotheke strittig sei und dass daher mit Änderungen der „Beteiligungsergebnisse“ gerechnet werden müsse. Mittlerweile haben die Apotheken einen neuen Inhaber, den mit den früheren „Betreibern“ nach eigenen Angaben nichts mehr am Hut hat.
Doch nicht nur in Thüringen, sondern auch in Brandenburg war TKP unterwegs. Im Großraum Cottbus hatte eine Apothekerin 1998 die Nachfolge des Apothekers angetreten, der zwei Jahre später den Verbund in Eisenach übernehmen sollte. Sie beendete 2005 die Zusammenarbeit, nachdem ihre „stillen Gesellschafter“ dank Kontovollmacht im Laufe der Zeit einen Millionenbetrag abgezweigt hatten. Im Jahresabschluss der Firma für 2008 hieß es dazu, dass durch die Kündigung der Apothekerin „die Eigentumssituation strittig geworden ist“. Einstweilen würden die Wertansätze aber „unverändert mit den dort zuletzt in 2005 geführten Gesellschafterkonten fortgeschrieben“.
Der Streit um diese Apotheke hat es bereits bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) geschafft; in der vergangenen Woche wurden die Verträge vom Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) für nichtig erklärt und die Berliner Firma zur Rückzahlung von 420.000 Euro verurteilt.
Dass überhaupt ein Steuerberater die Bilanzen der TKP seit mehr als zwei Jahrzehnten freigibt und dass auch das Finanzamt in der langen Zeit nicht stutzig geworden ist, ist ein weiterer Skandal in der Geschichte. Der Geschäftsführer einer Apothekerkammer mutmaßt, dass dem Fiskus die möglicherweise doppelte Besteuerung gelegen kommt. Immer wieder verweigerten die Finanzbehörden die gewünschte Mithilfe bei der Aufspürung von Strohmannverhältnissen: „Wir sehen, wenn Dritte den Kammerbeitrag zahlen. Aber ohne die Hilfe der Behörden kommen wir nicht weiter“, so der Geschäftsführer.
Und die Hintermänner? Gegründet wurde TKP im Januar 1992 von Thomas Tennstedt, Harro Kunz und Norbert Püllenberg in Ahlen. Zwei der drei Apotheker zogen sich bereits nach wenigen Monaten zurück – Kunz ist nach wie vor Inhaber der Schloss-Apotheke in Syke, Püllenberg ist Mitinhaber der Steinhoffs-Apotheken in Beckum, geschäftsführender Gesellschafter der Firmen i.p.a. Cosmetics (Beckum) und i.p.a. Sweets (Syke) und Kompagnon der Marketingfirma A.P.O. (Ahlen).
Tennstedt machte sich 1993 mit einer Apotheke in Cottbus selbstständig; seinem Verbund gehörten seit 2004 insgesamt sechs Apotheken im Großraum an. Von den drei zuletzt als Flamingo-Apotheken firmierenden Betriebsstätten sind heute noch zwei übrig. Allerdings hat der Besitzer gewechselt, denn das „Imperium Tennstedt“, so der geflügelte Begriff unter Pharmazeuten in der Lausitz, liegt in Scherben: Im Februar 2013 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet – angeblich soll ein Lieferant wegen hoher Außenstände den Antrag beim Amtsgericht Cottbus gestellt haben.
Den Geschäftsführerposten bei TKP, den er 2001 von seiner Frau übernommen hatte, hat der Apotheker genauso abgegeben wie seine Geschäftsanteile. Heute gehört die Firma Tennstedts langjährigem Kompagnon, Heinz-Friedrich Pott. Der Kaufmann stammt ebenfalls aus Beckum; er hatte sich 1990 in Berlin als Bauunternehmer selbstständig gemacht und betreibt heute eine ganze Reihe von Firmen – vom Pharmahändler über das Immobilienbüro und den Bauträger bis hin zum Autohaus. Außerdem hat er zwei Ärztehäuser eröffnet – bei einer Betreibergesellschaft ist Tennstedt derzeit untergekommen.
Pott will sich zu seinen Aktivitäten nicht äußern, genauso wenig wie Tennstedt. Püllenberg war für Nachfragen nicht zu erreichen; der Apotheker betreibt gemeinsam mit Pott seit 1994 eine Firma, die Immobilien vermittelt und Bauvorhaben erstellt. Allerdings soll es zwischen den Partnern vor einigen Jahren zu einem handfesten Streit gekommen sein. Kunz wollte sich auf Nachfrage ebenfalls nicht äußern; er sei schon vor Jahren ausgestiegen, wie er sagt. Allerdings arbeitete TKP jahrelang mit Steuerberatern und Banken aus Syke zusammen. Vielleicht ist der Berliner Bauunternehmer treuhänderisch für die Apotheker aus dem Westen aktiv, die ihr Glück im Osten gesucht hatten.