Deutschland ist müde, denn laut DAK-Gesundheitsreport schlafen 80 Prozent der Berufstätigen schlecht. Ein- und Durchschlafstörungen gehören bei vielen Menschen zum Alltag, etwa jeder Zehnte leidet an einer Insomnie. Schlafmittel aus Apotheke oder Drogerie sollen Abhilfe schaffen und schlaflosen Nächten den Garaus machen. Einen Hype erlebt gerade Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel oder diätetisches Lebensmittel – aber ist das Schlafhormon nicht eigentlich verschreibungspflichtig?
Melatonin ist ein Hormon und wird im Körper aus Serotonin produziert – vorwiegend in der Nacht in der Zirbeldrüse im Epithalamus. Es steuert den Tag-Nacht-Rhythmus. Melatonin gibt es als Mund- und Nasenspray oder auch als Kapsel in Drogerien oder im Internet. Die Präparate können bei einer Tagesdosis von 1 mg als Nahrungsergänzungsmittel deklariert werden und einen der zwei möglichen Health Claims tragen; „Melatonin trägt zur Linderung der subjektiven JetLeg-Empfindung bei“ oder „Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen“. Voraussetzung ist stets, dass der tägliche Grenzwert von 1 mg nicht überschritten und der Verbraucher darüber informiert wird, dass die Wirkung sich einstellt, wenn die zulässige Höchstmenge kurz vor dem Schlafengehen aufgenommen wird.
Die Produkte aus dem Mass Market enthalten meist 0,5 mg Melatonin oder weniger sowie weitere Inhaltsstoffe wie Passionsblume, Zitronenmelisse oder auch Magnesium. Ein Mundspray beispielsweise enthält 0,125 mg des Schlafhormons pro Sprühstoß. Um auf die nach Health Claim geforderte Menge zu kommen, müssen vor dem Zubettgehen acht Sprühstöße in den Mund gegeben werden. In den Apotheken sind die Produkte jedoch nicht oder nur in Einzelfällen zu finden, wobei hierzulande bei den zuständigen Aufsichtsbehörden keine Einigkeit herrscht, ob die freiverkäuflichen Melatoninprodukte in den Apotheken verkauft werden dürfen.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat melatoninhaltige Produkte bereits im September 2011 dosisunabhängig als Arzneimittel bewertet: „Melatonin untersteht ohne Einschränkung der Verschreibungspflicht, siehe Anlage 1 zur Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV)“. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) folgt dieser Ansicht. Melatonin sei eine Substanz mit pharmakologischer Wirkung und daher handele es sich nicht um ein Nahrungs- oder Nahrungsergänzungsmittel. Die endgültige Entscheidung obliege jedoch den Überwachungsbehörden der einzelnen Bundesländer. Inzwischen hat das BfArM entschieden, dass melatoninhaltige Produkte mit einer Tagesdosierung zwischen 0,5 und 5 mg generell Arzneimittel seien und somit der Zulassungspflicht unterlägen.
Rechtssicherheit herrscht lediglich bei Circadin (Medice). Das verschreibungspflichtige Präparat mit 2 mg Melatonin ist seit 2008 erhältlich und zur kurzfristigen Behandlung von Insomnien bei Patienten ab 55 Jahren indiziert. Das Arzneimittel wird einmal täglich ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen und nach der letzten Mahlzeit eingenommen. Die Anwendung sollte über drei Wochen erfolgen.
Ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Köln gibt den Herstellern niedrig dosierter Nichtarzneimittel allerdings Recht. Am 8. April 2014 hat das VG entschieden, dass zum Verzehr bestimmte Kapseln in einer Dosierung von 0,5 mg bis 5 mg Melatonin je abgeteilter Darreichungsform stets Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Absatz 1 Nr. 2a Arzneimittelgesetz (AMG) sind. „Hieran ändert auch die Tatsache, dass die Health-Claim-Verordnung 1924/2006 explizit Aussagen zu Melatonin zulässt, nichts.“
Melatonin kann auch über die Nahrung aufgenommen werden. Beispielsweise enthalten Tomaten, Senfsamen, Cranberrys oder Pilze das Neurohormon. Auch Kühe produzieren in der Nacht das Schlafhormon, das in der Milch wiederzufinden ist. Vor einigen Jahren gab es eine gesteigerte Nachfrage nach „Milchkristallen“ zur Förderung es Einschlafens. Allerdings sei die Menge an Melatonin sehr gering – vor Gericht wurde vorgetragen, dass etwa eine Tonne Gurken oder 200 kg Bananen verzehrt werden müssen, um dem Körper 0,1 mg Melatonin zuzufügen. Die Richter kamen zu dem Schluss: Die Wirkweise von Melatonin ist pharmakologischer Natur. Dies sei zudem in Studien begründet. Bereits ab einer täglichen Dosis von 0,5 mg seien die Produkte aufgrund der pharmakologsichen Wirkung als Funktionsarzneimittel einzustufen. Denn in der Dosierung zwischen 0,5 und 5 mg zeigte Melatonin „einen signifikanten Effekt bei Schlafstörungen wie auch bei Jetlag“. Dabei seien Wirkungsmechanismus und Ausmaß bei Gesunden und Erkrankten vergleichbar. Ein hypnotischer Effekt würde bereits nach einmaliger Gabe von 0,1 bis 1 mg erreicht.
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