Mehrwertsteuersenkung: Keine Umetikettierung nötig Tobias Lau, 25.06.2020 11:47 Uhr
Die temporäre Mehrwertsteuersenkung scheint für viele Apotheken wie ein vergiftetes Geschenk: Einem geringen Nutzen steht mutmaßlich hoher Aufwand gegenüber. Zumindest bei einem Kritikpunkt vieler Apotheker und anderer Einzelhändler hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) nun eingelenkt: Es müssen nicht alle Waren umetikettiert werden. Ein Aushang reicht. Komplizierter gestaltet sich die Lage im Streit um den Kassenabschlag. Ob sich in der Frage noch etwas tun könnte, ist weiter völlig offen.
„Das BMWi hat das Ziel, dass die Senkung durch den Handel möglichst kostengünstig und unbürokratisch an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden kann“, beteuert das Haus von Minister Peter Altmaier in einem Schreiben an die Preisbehörden der Länder. Doch das schien auf den ersten Blick nicht ganz gelungen. Denn nach § 1 Abs. 1 Preisangabenverordnung (PAngV), für die das BMWi innerhalb der Bundesregierung federführend ist, müssen Einzelhändler gegenüber Verbrauchern grundsätzlich die Preise angeben, die einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile zu zahlen sind, also die Gesamtpreise – grundsätzlich einschließlich des geltenden Mehrwertsteuersatzes.
Die Wettbewerbszentrale, aber auch die Treuhand Hannover und zahlreiche Branchenverbände kritisierten nun in den vergangenen Tagen ausgiebig gegenüber Kammern und Behörden den bürokratischen Aufwand einer kompletten Umetikettierung von Sortimenten für eine derart kurze Dauer und derart kleine Preisminderung.
Nun hat das BMWi eingelenkt. In einem Schreiben an die Preisbehörden der Länder hat es auf die Möglichkeit hingewiesen, entsprechend der Ausnahmebestimmung laut § 9 Abs. 2 PAngV von einer Änderung der Gesamt- und der Grundpreisangabe abzusehen. „Danach können die Händler und Anbieter von Dienstleistungen für die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer von der bestehenden Ausnahmemöglichkeit des § 9 Absatz 2 PAngV Gebrauch machen und pauschale Rabatte an der Kasse gewähren, ohne die Preisauszeichnung zum Beispiel sämtlicher Regale in der Nacht zum 1. Juli 2020 ändern zu müssen“, so das BMWi. Ausnahmen von der Ausnahme seien lediglich preisgebundene Artikel, wie Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und rezeptpflichtige Arzneimittel, da für diese andere rechtliche Regelungen gelten.
Die Treuhand Hannover begrüßt den Schritt des BMWi und empfiehlt den Apothekeninhabern, die sich für eine Weitergabe der Umsatzsteuerreduzierung an die Kunden entscheiden, eine einfache Lösung: Mit einem Aushang in der Apotheke lasse sich der bürokratische Aufwand einer Umetikettierung der Packungen in der Frei- und Sichtwahl vermeiden. Einen Muster-Aushang liefert die Treuhand gleich mit:
Liebe Patientinnen und Patienten,
wir geben die Mehrwertsteuersenkung (von 19 % auf 16 % bzw. von 7 % auf 5 %) in der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 an unsere Kunden weiter. Bei allen in der Apotheke ausgezeichneten Preisen wird an der Kasse der Preis um die Mehrwertsteuerreduzierung gesenkt. Die Preisbildung für verschreibungspflichtige Arzneimittel richtet sich nach den Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung.
Ihre Muster-Apotheke
Vollkommen offen ist hingegen weiterhin, wie in der Frage nach dem Kassenabschlag weitergeht: Das Netto-Apothekenhonorar würde wegen der Berechnung des Kassenabschlags nämlich um rund 4 Cent pro Rx-Arzneimittel und Rezeptur sinken. Nach Abzug des PKV-Rezeptanteils, für den kein Kassenabschlag abgeführt wird, würden die Apotheken somit für die Dauer von sechs Monaten mit gut 12 Millionen Euro belastet.
Zwar gibt es Bestrebungen von CDU-Gesundheitspolitikern wie Michael Hennrich, den Verlust der Apotheken durch regulatorische Anpassungen zu kompensieren – doch die Gemengelage ist kompliziert. Dass ausgerechnet die Apotheken nach ihrem von vielen Seiten gelobten Einsatz während der Coronakrise zu den Verlierern der Mehrwertsteuersenkung gehören sollen, will freilich niemand. Dennoch stellen sich dem Vernehmen nach sowohl Finanz- als auch Wirtschaftsministerium bei der Frage nach einer Nachjustierung quer: Die Gefahr eines Dammbruchs steht im Raum, denn auf die Apotheker könnten noch zahlreiche andere Berufsstände und Branchen kommen und Nachbesserungen in derlei Details verlangen.
Außerdem drängt die Zeit, eine steuerrechtliche Nachbesserung müsste bereits kommenden Mittwoch als Änderungsantrag in den Finanzausschuss eingebracht werden. Die Lücke könnte zwar aber auch ohne das Haus von Olaf Scholz (SPD) geschlossen werden: Den Nachteil im Steuerrecht könnte das BMG nämlich über eine schlichte Änderung im Sozialgesetzbuch (SGB V) ausbügeln. Dazu müsste der Kassenabschlag Berechnungen zufolge von 1,77 Euro auf 1,72 Euro gesenkt werden.
Allerdings ist bisher nicht klar, wie die Bundesregierung insgesamt sich dazu verhält. Ob sich bis zur geplanten Verabschiedung des Gesetzes in der kommenden Woche noch eine Lösung findet, ist deshalb weiterhin komplett offen.