„Kein Umweg über eine Apotheke“ Patrick Hollstein, 28.08.2014 10:30 Uhr
Eigentlich ist die Medizinprodukteabgabeverordnung (MPAV) für die Apotheken nur am Rande von Bedeutung. Doch die neuen Regelungen stellen das Prinzip von Apotheken- und Verschreibungspflicht in Frage: Der „Umweg über eine Apotheke“ ist aus Sicht des Gesetzgebers nicht mehr notwendig, wenn es um die Belieferung von Praxen oder Kliniken geht. Gleichzeitig grübeln Experten, ob Apotheken bestimmte Produkte überhaupt noch an ihre Kunden abgeben dürfen – und was es mit verschreibungs-, aber nicht apothekenpflichtigen viereckigen Schwämmen auf sich hat.
Medizinprodukte sind grundsätzlich apotheken- beziehungsweise verschreibungspflichtig, wenn sie Wirkstoffe enthalten, die entsprechenden arzneimittelrechtlichen Vorgaben unterliegen. Die pharmakologische Wirkung muss gegenüber dem physikalischen Effekt von untergeordneter Bedeutung sein. Beispiele sind Antibiotika-beschichteter Knochenzement oder Heparin-beschichtete Katheter.
Laut Verordnungstext gelten Verschreibungs- beziehungsweise Apothekenpflicht neuerdings aber nur noch, wenn die entsprechenden Produkte für die Verwendung durch Endverbraucher vorgesehen sind und auch an diese abgegeben werden. Mit anderen Worten: Die Belieferung von Praxen und Kliniken ist künftig auch den Herstellern und anderen Händlern als sogenannten Abgabestellen erlaubt.
Das ist neu, denn die alte Verordnung über die Vertriebswege von Medizinprodukten (MPVertV) sah Ausnahmen von der Apothekenpflicht nur für Hämodialysekonzentrate, radioaktive Medizinprodukte und Produkte für klinische Prüfungen vor. Lediglich Zahnärzte konnten mit allen Artikeln beliefert werden, sofern diese exklusiv für die Anwendung in der Arztpraxis vorgesehen waren.
Kopfzerbrechen bereitet den Juristen in den Geschäftsstellen der Verbände derzeit die Frage, ob Apotheken weiterhin Medizinprodukte an ihre Kunden abgegeben dürfen, die nicht zur Anwendung durch Laien vorgesehen sind. Ein Beispiel sind Intrauterinpessare (IUP), die oft von Kundinnen auf Rezept abgeholt und mit in die Arztpraxis genommen werden.
In der MPAV wird die Abgabe solcher Produkte an Endkunden ausgeschlossen – und zwar unabhängig davon, ob sie apotheken- oder verschreibungspflichtig oder freiverkäuflich sind. Gleichzeitig heißt es in der Begründung aber, dass in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) „alles Erforderliche zum Inverkehrbringen, einschließlich der Information und Beratung und zur Lagerung von apothekenpflichtigen Medizinprodukten abschließend geregelt“ sei. Demzufolge enthalte der entsprechende Paragraph keine Vorschriften für Apotheken.
Über die Auslegung gibt es derzeit unterschiedliche Meinungen. Während in den Apotheken entsprechende Rezepte vielfach noch beliefert werden, vertritt man beispielsweise beim Apothekerverband Baden-Württemberg sowie beim Hessischen Apothekerverband die Auffassung, dass die Abgabe solcher Produkte neuerdings tabu ist. Dafür spricht, dass ansonsten auch die Verschreibungspflicht nicht geregelt wäre, denn der entsprechende Paragraph gilt wiederum nur für Medizinprodukte zur Anwendung durch Laien. Argumentiert wird außerdem, dass sich die Einschränkung nur auf die Voraussetzungen bezieht, die für die Abgabe von Medizinprodukten erfüllt sein müssen – und die für Apotheken in der ApBetrO geregelt sind.
Zum vorgesehenen Anwenderkreis soll übrigens künftig der Hersteller entsprechende Angaben machen. Auch hier besteht noch Nachbesserungsbedarf, denn aus vielen Fachinformationen lässt sich allenfalls indirekt eine solche Vorgabe ableiten, die jetzt als Grundlage für die Abgabe dienen soll.
Der Wegfall der Apothekenpflicht bei Medizinprodukten zur Anwendung durch medizinisches Fachpersonal wird in der Verordnung damit begründet, dass „bei einer Anwendung durch Fachkreise davon ausgegangen werden kann, dass die Produkte von diesen fachkundig gehandhabt werden und eine ggf. erforderliche Beratung über Medizinprodukteberater erfolgt“.
Weiter heißt es: „Hierfür ist kein Umweg über eine Apotheke oder Krankenhausapotheke erforderlich, vielmehr kann der sachgerechte Umgang mit diesen Produkten von der betreffenden Organisation (z.B. Krankenhaus oder Arztpraxis) bei der Festlegung ihrer internen Abläufe eigenverantwortlich geregelt werden.“
Eine Gleichstellung wirkstoffhaltiger Medizinprodukte mit Arzneimitteln hinsichtlich der Apothekenpflicht sei „nicht in allen Fällen gerechtfertigt“, heißt es weiter. Hier müsse hinsichtlich Zweckbestimmung, Dosierung oder den zu erwartenden Nebenwirkungen differenziert werden.
Die MPAV geht sogar soweit, eine Gruppe von verschreibungs-, aber nicht apothekenpflichtigen Artikeln zu definieren: Theoretisch sei nämlich denkbar, dass „Medizinprodukte, für die sich ein anderer Vertriebsweg über den medizinischen Fachhandel (z.B.Sanitätshäuser) etabliert hat, aufgrund neu auftretender Gesundheitsrisiken der Verschreibungspflicht unterstellt werden“.
Um diesen Vertriebsweg zu schützen, wurde eigens eine Anlage zur Verordnung reserviert, in der sich derzeit eine einzige Produktgruppe ohne allzu große Marktrelevanz befindet: „oral zu applizierende Sättigungspräparate auf Cellulosebasis mit definiert vorgegebener Geometrie – zur Behandlung des Übergewichts und zur Gewichtskontrolle“.