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Medikationsplan: Das Phantom der Oper

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Berlin -

Stichtag 1. Oktober. Ab diesem Tag müssen Krankenhäuser Patienten im Rahmen des Entlassungsmanagements einen Medikationsplan aushändigen. Das Chaos scheint vorprogrammiert, denn niemand weiß genau, wie der Dreiklang Patient-Arzt-Apotheker künftig reibungslos funktionieren soll. Beim Apothekerforum im Rahmen des Hauptstadtkongresses sondierten Gesundheitsexperten die aktuelle Lage.

Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, brachte mit den Tatsachen die Kongressteilnehmer zum Lachen: „Der Medikationsplan ist ein Phantom der Oper. Apotheker und Ärzte kommunizieren zu 80 Prozent per Fax. Online-Übertragung interessiert Datenschützer, Faxübertragung nicht. Ich glaube nicht, dass sich moderne Hacker mit Faxgeräten beschäftigen. Das Problem ist nicht der Medikationsplan, das Problem sind die Defizite in der Kommunikation.“

Er wünscht sich die elektronische Patientenakte, „aber nicht in Form einer komischen Karte“. Außerdem müsste das E-Health-Gesetz in P-Health-Gesetz umbenannt werden: „Weil wir nur mit Papier arbeiten.“ Weigeldt sagt: „Nach meiner Erfahrung können auch 70-Jährige mit dem Computer umgehen.“

Die Wahrscheinlichkeit, dass auch ab 1. Oktober in Deutschlands Apotheken die Kommunikation bezüglich der Medikationsplan per Fax abgewickelt wird, ist jedoch hoch: „Beim Faxen geht der Code kaputt, mir ist kein Faxgerät bekannt, das den Code unbeschädigt überträgt“, sagt Hanna Seidling, Ärztin am Universitätsklinikum Heidelberg, die die Ergebnisse einer Studie zum Medikationsplan präsentierte.

Die beste Möglichkeit der Datenübertragung im 21. Jahrhundert ist also der Patient, der seinen Medikationsplan in die Apotheke bringt. „Das ist derzeit so geplant“, bestätigt Seidling. Zudem soll der Patient seinen Medikationsplan im Idealfall auch „warten“, also dafür sorgen, dass er stets auf dem aktuellsten Stand ist. Im Idealfall hat er ein gutes Apotheker-Arzt-Duo an seiner Seite, denn die langfristige Betreuung des Medikationsplanes ist wichtiger Baustein zum Erfolg: „Es muss geklärt werden, wer wann verantwortlich dafür ist, den Plan zu aktualisieren und ihn neu auszudrucken“, fordert Seidling.

In einer Studie aus dem Jahr 2010, in deren Rahmen 1500 Patienten untersucht wurden, kam heraus, dass 22,7 Prozent einen Medikationsplan in Papierform hatten. Davon waren 60 Prozent vom Hausarzt ausgestellt, den Rest hatten Apotheker oder die Patienten selbst angelegt. Laut E-Health-Gesetz haben Kassenpatienten schon seit dem 1. Oktober 2016 das Recht auf die Erstellung eines Medikationsplanes auf Papier durch ihren Arzt. Sie müssen dafür über einen längeren Zeitraum drei oder mehr Arzneimittel gleichzeitig über einen längeren Zeitraum einnehmen.

In einem weiteren Projekt der Uni Heidelberg wurde ein Praxistest mit Placebo durchgeführt: „Es haben 90 Patienten teilgenommen, alles ältere und chronisch Kranke“, erklärt Seidling. „43 Prozent gelang es, die Beispielmedikation korrekt umzusetzen.“ Ihr Fazit: „Kein Patient wendet den Plan absichtlich falsch an, es ist offensichtlich ein Instrument, das noch nicht gut genug ist.“

Ältere Patienten nehmen im Schnitt sechs Arzneimittel pro Tag ein, viele Multimorbide auch mehr. Da kann man – mit oder ohne Medikationsplan – leicht den Überblick verlieren. Stefan Fink, Inhaber der Classic Apotheke in Weimar und Verbandschef in Thüringen, erzählte aus der Praxis. „Wir erleben in den Apotheken immer wieder, dass Medikationspläne selbst geschrieben und überschrieben sind. Der Arzt blickt nicht durch, der Patient auch nicht.“

Habe der Patient einen guten Apotheker, werde dieser sich an die Analyse machen. „Wir brauchen dazu die Unterstützung seitens der anderen Heilberufler, um die Patienten an der Hand nehmen zu können. Das Ziel ist ein aktueller, vollständiger, auf potenzielle Risiken geprüfter Medikationsplan.“ Derzeit sehe er nur einen „sehr geringen Mehrwert“. Auch der Faktor Nahrungsergänzungsmmittel sei bei der Erstellung wichtig: „Wir hatten eine Patientin, die 14 Nahrungsergänzungsmittel einnahm, praktisch alles, was es im Fernsehen gibt.“ Die Apotheker machten sich an die Arbeit und analysierten in zwei Stunden Arbeit alle Wechselwirkungen.

Zudem werde unter Patienten „munter getauscht“. Fink sagt: „Medikamente werden weitergegeben nach dem Motto ‚Meinem Mann hat das gut geholfen‘“. Im Medikationsplan scheinen diese selbst verordneten guten Gaben dann vermutlich eher nicht auf – ein weiterer Fallstrick in Sachen Vollständigkeit und Wechselwirkung.

Fink fordert: „Der ideale Medikationsplan ist aktuell, vollständig, im Idealfall elektronisch erstellt, auf potenzielle Risiken geprüft, zwischen den Heilberufen abgestimmt, von Ärzten und Apotheken mit Kommentaren gepflegt und für den Patienten verständlich.“ In seiner Apotheke funktioniere das Modellprojekt ARMIN prima, so Fink.

Auch in Sachen Aufklärung bleibt bis zum 1. Oktober – und darüber hinaus – noch viel zu tun: „Derzeit legen nur wenige Patienten ihren Medikationsplan in der Apotheke vor, einige beim Arzt. Viele verwenden ihn gar nicht, weil sie sagen, dass sie ihn nicht verstehen“, sagt Seidling. Bei der Studie präsentierten die befragten Patienten Medikationspläne aller Art, von hochprofessionell (wenige) bis „Marke Eigenbau“, also handbeschriftet, ergänzt und verknittert. Mit der Zeit verkommt so eine gute Idee zu einer unüberschaubaren Kritzelei. Folge: Der Medikationsplan wird nicht benutzt. „Wir müssen den Patienten in Sachen Medikationsplan schulen“, fordert die Heidelberger Expertin, „viele wissen gar nicht, was sie damit machen sollen.“

Auch im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Hamburg bereitet man sich auf den 1. Oktober vor: „Die Krankenhäuser müssen und werden Treiber des Medikationsplans sein“, sagt Apothekenleiter Michael Baehr. Im Rahmen einer kleinen aktuellen und hausinternen Studie unter 500 Patienten der Notfallaufnahme kam heraus: „97,37 Prozent kommen ohne Medikationsplan. 0,4 Prozent haben einen bundeseinheitlichen, 2,22 Prozent einen anderen Medikationsplan.“ In einer früheren Studie haben die Experten des UKE herausgefunden: „Wenn Sie morgen in die Notaufnahme kommen, haben die Ärzte mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit keine Informationen über Ihre Medikamente oder diese Information ist fehlerhaft.“ Die manuelle Erfassung der vorhandenen Daten sei zeitaufwändig. „Wir haben 50 Scanner für je 250 Euro gekauft“, beschreibt er eine vorbereitende Maßnahme für den 1. Oktober.

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