Medikationscheck

Hessen übernimmt Athina

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Berlin -

Athina macht die Runde: Nach Niedersachsen und Baden-Württemberg übernimmt auch Hessen das 2013 eingeführte Fortbildungskonzept der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR). Dabei werden die Apotheker für eine strukturierte Medikationsanalyse gerüstet. Ziel ist es, die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) mit einem vertretbaren Aufwand zu verbessern. Ende Februar fand in Eschborn die erste reguläre Athina-Schulung statt.

Athina basiert auf dem in den USA schon seit Jahren eingesetzten „Brown-Bag-Check“. Der Patient bringt alle Rx- und OTC-Medikamente sowie Nahrungsergänzungsmittel, die er einnimmt, in die Apotheke. Dort werden Dosierungen, Einnahmeregimes, Verfalldaten, Doppelverordnungen und Interaktionen in einem elektronischen Erfassungsbogen – entsprechend dem Aktionsplan AMTS – dokumentiert und geprüft.

Beim zweiten Termin folgt ein intensives Beratungsgespräch, in dem die Ergebnisse ausgewertet werden. Dem Patienten wird der aktuelle Medikationsplan mitgegeben, den er mit seinem Arzt besprechen soll. Ein bis drei Stunden müsse man sich für einen Fall Zeit nehmen, sagt Annegret Birr, Bereichsleiterin Pharmazie der Kammer Hessen. Manchmal gehe es leichter und schneller, andere Fälle seien komplizierter.

Zweitägige Athina-Schulungen vermitteln das notwendige Know-how: Grundlagen des Interaktions- und des Medikationsmanagements, Patienten- und Arztansprache, einzelne Arbeitsschritte und Abläufe in der Apotheke. In Vorträgen, an Fallbeispielen und bei Workshops lernen die Teilnehmer, wie sich Arzneimittelinteraktionen und arzneimittelbezogene Probleme erkennen, vermeiden oder minimieren lassen und wie dem Patienten die korrekte Dosierung, Einnahme oder Anwendung vermittelt wird.

Darauf folgt eine viermonatige Praxisphase. Mindestens vier Patientenfälle müssten die Apotheker in der Zeit bearbeiten, sagt Birr. Beim ersten Fall sowie in besonders komplexen Fällen hilft ein Tutor der Kammer bei der Beratung des Patienten oder dem Gespräch mit dessen Arzt. Zudem betreut eine Koordinationsstelle die Teilnehmer. Diese dokumentiert die Fälle zudem in anonymisierter Form.

Nicht alle Teilnehmer ziehen die Fortbildung bis zum Ende durch: Die ersten 30 Apotheker hätten bei einer Pilotschulung im vergangenen Sommer rund 50 Patientenfälle bearbeitet, sagt Birr. Ein Athina-Zertifikat erhält ein Teilnehmer aber nur, wenn er vier Patientenfälle bearbeitet. Zudem müssen vier entsprechende Webinare absolviert werden. In Hessen sind bislang sieben Apotheker zertifiziert.

Die Nachfrage ist vorhanden: Die Schulung vor zwei Wochen war mit 30 Teilnehmern wieder ausgebucht – trotz Kosten von 220 Euro. Die nächste Runde findet im Juni statt. Ob die Apotheker vom Patienten Geld für die Medikationschecks nehmen, bleibt ihnen überlassen. „Die Langzeitperspektive ist, dass man die Leistung mit der Krankenkasse abrechnen kann“, sagt Birr.

In Baden-Württemberg, wo das Projekt seit 2014 läuft, empfiehlt die Kammer, rund 69 Euro zu berechnen: „Eine richtig ausgeführte Medikationsanalyse bedeutet für die Apotheke großen Aufwand“. Deshalb sei die Durchführung für die Patienten kostenpflichtig. „Noch übernimmt leider keine Krankenkasse die hierfür anfallenden Kosten.“ In die Schulung müssen Apotheker hier 245 Euro investieren. Knapp über 100 Medikationsanalysen wurden laut Kammer bereits erstellt und eingereicht. Derzeit würden die ersten Zertifikate verschickt.

„Wir haben sehr positive Erfahrungen gemacht, weil wir das Angebot gegenüber der Öffentlichkeit kommunizieren“, sagt ein Sprecher der Kammer. Nachdem Beiträge in Lokalzeitungen erschienen waren, fragten Patienten vermehrt nach dem Angebot. Kollegen könnten mit Athina ihre Kunden an die Apotheke binden und ihr pharmazeutisches Profil schärfen, wirbt die Kammer. Das Argument scheint zu wirken: Die nächsten drei Athina-Schulungen bis zum Oktober sind bereits ausgebucht.

In Niedersachsen gibt es das Projekt seit November 2013. Die Gebühr für die Schulung beträgt 200 Euro. In bislang neun Veranstaltungen seien 250 Apotheker geschult, 82 Zertifikate ausgestellt und insgesamt 470 Patientenfälle analysiert worden, so die Kammer. Bis Juni sollen in fünf Veranstaltungen weitere rund 160 Apotheker geschult werden.

Es sei unabdingbar, dass diese Dienstleistung künftig vergütet werde, sagt auch hier eine Sprecherin der Kammer. „Die politischen Gespräche über die Honorierung laufen derzeit sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene.“ Bislang bleibe es dem Apotheker überlassen, ob er nach erfolgreich bestandener Schulung die Medikationsanalyse kostenpflichtig anbiete.

Die Seminarleiter in Nordrhein verweisen die Kollegen auf den Leistungskatalog Leika, daran sollten sich die Apotheker orientieren. „Pauschale Empfehlungen geben wir nicht, um die Verhandlungen mit den Kassen nicht zu beeinflussen“, sagt die ehrenamtliche Seminarleiterin und angestellte Apothekerin Dr. Katja Renner, die das Schulungsprogramm mitentwickelt hat. Auch könne der Aufwand der Analysen stark variieren.

Sie betont, die Apotheker sollten die Leistung nicht mit Rabattaktionen verbrennen. „Uns ist es wichtig, dass die Analyse eine zusätzliche Sonderleistung ist und nicht als Teil des laufenden Geschäfts erbracht werden kann. Damit sie flächendeckend umgesetzt werden kann, muss sie vergütet werden.“ Um gegenüber der Politik eine Argumentationshilfe zu schaffen, lassen die Kammern die Fälle von der Universität Heidelberg evaluieren. „Wir wollen zeigen, wie viel Wert die apotherkerliche Intervention hat“, sagt Renner.

Laut Renners Schätzungen haben sich seit Einführung im Januar 2013 zwischen 80 und 90 Apotheker in Nordrhein zertifiziert. Weitere 150 Teilnehmer seien gerade in der Praxisphase. Allein in diesem Jahr soll es weitere sechs Fortbildungen mit jeweils 25 Teilnehmern geben.

Laut ihren Erfahrungen schließen zwischen 65 bis 70 Prozent der Teilnehmer das gesamte Schulungspaket, hier mit Kosten von 170 Euro verbunden, tatsächlich ab. In der Regel seien die Schulungen überbucht. In allen Kammern sei die Zahl der Fortbildungen deshalb kürzlich erhöht worden.

Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland nehmen laut Kammer Baden-Württemberg dauerhaft fünf oder mehr Arzneimittel ein. Nur jedes zweite Arzneimittel werde entsprechend der ärztlichen Verordnung angewendet. Polypharmazie und mangelnde Einnahmetreue seien ein großer Risikofaktor und die Ursache für etwa 5 Prozent aller Krankenhauseinweisungen.

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