Maulkorb für Defektur-Apotheken Patrick Hollstein, 31.05.2019 10:09 Uhr
Die beiden Apotheken in Aulendorf bei Ravensburg schenken sich nichts. Erst setzte Matthias Stadler von der Schloss-Apotheke vor dem Bundesgerichtshof (BGH) durch, dass auch für seine Kollegin die Rezeptpflicht ohne Ausnahme gilt. Die ließ ihm vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) die Werbung für rezeptpflichtige Zubereitungen untersagen; der BGH wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück. Damit wird es für Spezialisten mit Defekturherstellung wieder ein Stück schwieriger.
Stadler ist einer von rund zehn Apothekern deutschlandweit, die schwerpunktmäßig Strophanthus-Präparate herstellen. Herzpatienten sind auf Kapseln und Lösungen aus der Apotheke angewiesen, seit das Originalpräparat Strodival 2012 vom Markt ging. Die herzwirksamen Glykoside werden vor allem bei Herzschwäche eingesetzt, doch schon die Beschaffung der Urtinktur ist eine Herausforderung.
Stadler verschickt seine Zubereitungen an Patienten aus ganz Deutschland; um auf seinen Service hinzuweisen, hatte er eine spezielle Website eingerichtet: Unter dem Namen Strophanthin-Apotheke hielt er umfangreiche Informationen zum Inhalt der Produkte, zu den erforderlichen Rezepten und zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen bereit.
Für den Internetauftritt ließ ihn seine Kollegin abmahnen. Die Webseite enthalte mehr als nur die sachliche Information, dass in der Apotheke Strophanthin-Präparate erhältlich seien. Schon die Domain verstoße als solche gegen das in § 10 Heilmittelwerbegesetz (HWG) verankerte Rx-Werbeverbot.
Das Landgericht Ravensburg (LG) entschied zugunsten von Stadler: Der Internetauftritt sei schon deshalb nicht als Werbung einzustufen, weil der Verbraucher selbst aktiv werden müsse, um an die gewünschten Information zu gelangen. Die Hinweise hätten auch keinen werbenden Charakter, sondern dienten lediglich der ausreichenden Beschreibung des Wirkstoffs, um den Verbraucher und die Ärzte ausreichend zu informieren und eine möglichst reibungslose Abwicklung bei der Belieferung und der Erstattung der Kosten zu ermöglichen.
Laut Gericht ist nur dann von Werbung auszugehen, wenn der Handelsname des Arzneimittels genannt wird – und nicht bloß der Wirkstoff. Deshalb müsse zwischen Fertigarzneimitteln, bei denen die Apotheke lediglich mit dem Vertrieb befasst sei, und selbst hergestellten Arzneimitteln differenziert werden.
Werbende Aussagen, sofern vorhanden, bezögen sich auf der Website auch erkennbar nicht auf die Produkte, sondern auf die Apothekerleistung. Es handele sich deshalb um eine erlaubte Imagewerbung. Auch die Domain sei nicht zu beanstanden, weil im Vordergrund die Information über die Spezialisierung stehe. Es handele sich daher um eine zeitgemäße Unternehmenspräsentation, die neben der Imagewerbung die Bevölkerung über die Möglichkeit des Bezugs von Präparaten mit einem bestimmten Wirkstoff informiere, die derzeit nicht mehr von den Herstellern von pharmazeutischen Produkten geliefert würden.
Doch das OLG kam zu einem ganz anderen Ergebnis: Grundsätzlich seien weder Defektur- noch Rezepturarzneimittel vom Werbeverbot ausgenommen; auch die bloße Nennung des Wirkstoffs könne unzulässig sein. Verhindert werden solle ein „Konflikt im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient durch von der Werbung getragene Patientenwünsche“.
Dabei spiele es keine Rolle, von wem die Werbung ausgehe. Zwar hätten Pharmaunternehmen womöglich eine größere Reichweite als einzelne Apotheker. „Das ändert aber nichts daran, dass bereits die Werbung eines einzelnen Apothekers dazu führen kann, dass Verbraucher von der Werbung inspiriert den Wunsch nach einer bestimmten Verschreibung an ihren Arzt herantragen.“
Sowohl die Verwendung des Begriffs „Strophanthin-Apotheke“ in der Domain als auch die Auflistung der einzelnen Präparate auf der Homepage seien als Werbung für den Verkauf anzusehen, da mit ihnen Kaufanreize geschaffen würden: Die Verwendung der Domain führe dazu, dass Verbraucher, die nach einer Quelle zum Bezug von Strophanthin-Präparaten suchten, auf Stadlers Apotheke aufmerksam würden und daher eher bei ihm einkauften. Auch die Erläuterungen zu den Präparaten habe verkaufsfördernde Wirkung: „Der Verbraucher, der diese Informationen liest, wird im Zweifel seinen Bedarf an diesen Präparaten auch beim Beklagten decken.“
Da konkrete Präparate genannt und beschrieben würden, sei auch nicht von bloßer Image-Werbung auszugehen: Laut OLG lenkt der Apotheker die Aufmerksamkeit des Publikums gerade nicht auf die Qualität und Preiswürdigkeit pauschal beworbener Produkte, sondern auf einzelne Präparate. „Dass er hierbei auch die qualitativ hochwertige Herstellung dieser Präparate in seiner Apotheke hervorhebt, führt gerade nicht dazu, dass die Firmenwerbung im Vordergrund stünde, sondern verstärkt vielmehr den Werbeeffekt im Hinblick auf die beworbenen Strophanthin-Präparate.“
Zum Verhängnis wurde Stadler, dass auch auf der Website seiner Apotheke auf den Service hingewiesen wurde: Auf diese Weise würden nämlich nicht nur Verbraucher, die gezielt nach den Präparaten suchten, mit den Informationen konfrontiert, sondern auch solche, die bislang kein Interesse hatten.
Im Grundsatz sind laut Gericht alle Informationen unzulässig, die über die Nennung oder Abbildung des Produkts und die vollständigen Wiedergabe der Packungsbeilage hinausgehen. Dies sei hier ganz offensichtlich der Fall: „Um eine sachangemessene Information handelt es sich nicht mehr, wenn Tipps für die richtige Gestaltung des Rezepts zur reibungslosen Abrechnung mit der Krankenkasse gegeben werden.“ Auch der Hinweis, dass die Präparate gemäß den gesetzlichen Vorschriften angefertigt würden, und der Verweis auf die verwendete Hochleistungsoptik und die Präzision deutscher Gerätehersteller seien unzulässig.
Dass Ärzte laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf ihrer Homepage auf eine Behandlung mit einem bestimmten Wirkstoff hinweisen dürfen, ändert an der Bewertung nichts: „Hätte man dem Arzt die Werbung mit dem Wirkstoff verboten, wäre er von einer sinnvollen Darstellung der von ihm angebotenen Behandlung abgeschnitten gewesen. Dieser Gedanke lässt sich auf die Werbung für Arzneimittel durch einen Apotheker aber nicht übertragen, denn anders der Arzt behandelt der Apotheker keine Patienten und kommt daher von vornherein nicht in die Verlegenheit, für solche Behandlungen mit bestimmten Arzneimitteln zu werben.“
Auch die Meinungsfreiheit, die der BGH in einem anderen Verfahren zu Aussagen eines Herstellers bereits hatte gelten lassen, komme nicht in Betracht. In jenem Fall hatte es eine öffentliche Debatte um das betroffene Medikament gegeben, „so dass die Gefahr, dass Patienten auf die Verschreibung des Arzneimittels drängen könnten, durch die Anzeige nicht oder nur geringfügig erhöht“ war.
Schließlich hatte Stadlers Anwalt noch versucht, das konkrete Wettbewerbsverhältnis in Zweifel zu ziehen, doch auch davon wollte das Gericht nichts wissen: Als Apothekerin sei die Klägerin grundsätzlich in der Lage und berechtigt, Defekturen herzustellen. „Sie ist daher ebenso wie der Beklagte Anbieter entsprechender Produkte am Markt. Dies genügt für ein konkretes Wettbewerbsverhältnis.“
Im Übrigen gebe es für die Krankheitsbilder, für die Strophanthin-Präparate in Betracht kämen, auch andere Arzneimittel, die auch von anderen Apotheken vertrieben würden. Dass die Klägerin keinen Versandhandel betreibe, spiele ebenfalls keine Rolle, weil Produkte nicht nur über den Versandhandel vertrieben würden.
Da der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde des Apothekers abgewiesen hat, ist das Urteil nun rechtskräftig. Auch andere Apotheker, die sich auf bestimmte Zubereitungen spezialisiert haben, müssen womöglich ihre Präsenz im Internet anpassen. Ein Beispiel ist der Webauftritt „Cannabis-Apotheke“ von Tobias Loder. Der Kölner Apotheker hatte vor zwei Jahren schon einmal Ärger vor Gericht, weil er ein Lidocain-haltiges Schmerzspray im Internet angeboten hatte.
Das OLG Köln kam nach einer Klage der Wettbewerbszentrale zu dem Schluss, dass das Spray als zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel einzustufen sei. Rezepturen und Defekturen seien „von der Zulassungspflicht ausgenommen, weil sie – nach ärztlicher Anordnung – für einen einzelnen Patienten hergestellt werden“. Loders Schmerzspray werde dagegen „nicht für den einzelnen Patienten nach ärztlicher Anordnung hergestellt, sondern für alle potentiellen Kunden beworben, die das Arzneimittel sodann über die Versandapotheke des Beklagten bundesweit erwerben können“.
Weitere Beispiele für von Spezialapotheken hergestellte Rx-Rezepturen sind Progesteron-Cremes und überhaupt Präparate mit humanidentischen Hormonen, die durch patientenindividuell angepasste Wirkstoffmengen eine bessere Verträglichkeit gewährleisten sollen. Zu den Apotheken, die sich in dem Bereich deutschlandweit einen Namen gemacht haben, gehören beispielsweise die Klösterl-Apotheke in München, die Flora-Apotheke in Hannover, die Dom-Apotheke in Essen und die Receptura-Apotheke in Frankfurt. Die Grachtenhaus-Apotheke in Hamburg stellt Zubereitungen mit Oxybutynin her.