Brücken-Apotheke: Anwalt muss zahlen Alexander Müller, 17.02.2017 10:11 Uhr
Brücken-Apotheke. Der Begriff ist zum Synonym für eine beispiellose Abmahnwelle geworden, die Ende 2014 über die Apotheker hereinbrach. Apotheker Hartmut Wagner und sein Rechtsanwalt Christoph Becker hatten tausende Apotheken wegen vermeintlicher Verstöße abgemahnt. Gegen beide wurde Strafanzeige gestellt. Wagners Akte wurde nach dessen Tod im Frühjahr 2015 geschlossen. Jetzt soll auch das Verfahren gegen Becker eingestellt werden – aber nur gegen Zahlung eines fünfstelligen Betrages.
Die Abmahnwelle kurz vor Weihnachten 2014 war zwar groß angelegt, doch von Anfang an mit geringen Erfolgsaussichten. Nach der ersten Gegenwehr erklärte Becker denn auch die Rücknahme aller Abmahnungen. Zwei Tage später wurde die Brücken-Apotheke in Schwäbisch Hall wegen fehlender Liquidität vom Großhändler ausgeräumt und geschlossen. Die offenkundig rechtsmissbräuchliche Abmahnaktion war vermutlich ein letzter verzweifelter Rettungsversuch gewesen.
Doch am Ende standen die Angreifer nicht nur ohne Geld da, sondern sahen sich auch mehreren Strafanzeigen von Apothekern ausgesetzt. Die Fälle wurden bei der Staatsanwaltschaft Leipzig gesammelt. Diese hat Geschädigte erst vor Kurzem über den fast zwei Jahre zurückliegenden Tod Wagners und die damit einhergehende Einstellung des Verfahrens informiert.
Gegen Becker wurde dagegen weiter ermittelt, nach Informationen von APOTHEKE ADHOC wurde im Dezember 2015 sogar die Leipziger Kanzlei durchsucht. Es bestand laut Staatsanwaltschaft der „Tatverdacht des versuchten Betruges in einer Vielzahl von Fällen durch das Versenden unberechtigter Abmahnschreiben“. Das Ermittlungsverfahren sei „mit Verfügung von Ende Januar 2017 vorläufig nach § 153a Strafprozessordnung eingestellt“ worden, teilte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft jetzt auf Nachfrage mit. Das bedeutet, gegen Auflage wird auch Becker nicht der Prozess gemacht.
Ungeschoren kommt Becker aber nicht davon: „Verbunden mit dieser Einstellung ist die Auflage gegenüber dem Beschuldigten, eine Geldsumme im unteren fünfstelligen Bereich an verschiedene gemeinnützige Organisationen zu zahlen“, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit. Sein Einverständnis dazu habe der Beschuldigte bereits erklärt. „Die endgültige Einstellung des Verfahrens hängt nun davon ab, ob die Zahlungen gemäß der Vorgaben der Einstellungsverfügung tatsächlich geleistet werden. Zahlt der Beschuldigte den Betrag innerhalb der vorgegebenen Frist, so ist die endgültige Einstellung zwingende Folge“, so die Sprecherin.
Die Staatsanwaltschaft begründet ihr Vorgehen so: „Ausgehend davon, dass der Beschuldigte bereits am 9. Dezember 2014, also wenige Tage nach Versendung der Abmahnungen, dieselben zurückgenommen hat und nach dem Kenntnisstand im hiesigen Ermittlungsverfahren auch keinerlei Zahlungen durch Abgemahnte erfolgt sind, die Tat mithin über das Versuchsstadium nicht hinausgegangen ist, wurde eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage seitens der Staatsanwaltschaft als sachgerecht angesehen.“
In der Praxis bedeutet das: Zahlt Becker, wird die Staatsanwaltschaft den Fall nicht zur Anklage bringen. Für den Anwalt ist das vor allem berufsrechtlich von Vorteil. Denn für eine etwaige Verurteilung wegen versuchten Betruges hätte sich mit Sicherheit seine Anwaltskammer interessiert; mit dem Zulassungsentzug als härtester möglicher Sanktion.
Becker ist jedoch auch nicht mit einem „Freispruch 1. Klasse“ aus der Sache herausgekommen. Das wäre eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO gewesen. Ein Anwalt auf Seiten der Abmahnopfer bist trotzdem enttäuscht. „Aus Sicht der Geschädigten wäre eine Einstellung mit Geldbuße nur in Frage gekommen, wenn Herr Becker den entstandenen Schaden ersetzt hätte. Jetzt zahlt er ein paar tausend Euro an gemeinnützige Organisationen und die Apotheker bleiben auf ihren Anwaltskosten sitzen.“
Ein Anwalt betroffener Apotheker hält es für alles andere als selbstverständlich, dass das Verfahren eingestellt wurde. Denn allein die Vielzahl der Fälle deute auf gewerbsmäßigen Betrug hin. Weil bei den Apothekern tatsächlich ein Schaden eingetreten sei, könne man auch nicht mehr von versuchtem Betrug sprechen.
Zudem habe Becker dem Homepage-Anbieter apotheken.de nach Verschicken der Abmahnungen noch ein Vergleichsangebot über 1,5 Millionen Euro unterbreitet, wonach die Abmahnungen gegen die 2500 betroffenen Kunden fallen gelassen worden wären. „Was ist denn daran geringe Schuld?“, empört sich der Anwalt.
Nach dem Tod Wagners war bei der Schuldfrage Beckers vor allem zu klären, welche Absprachen es zwischen beiden gab und wie weit der Rechtsanwalt über die Hintergründe der Abmahnaktion im Bilde war. Becker müsse gewusst haben, dass sein Mandant nicht über eine Erlaubnis zum Arzneimittelversand verfügte, so der Kollege der Gegenseite. Entsprechend sei das vermeintlich bundesweite Wettbewerbsverhältnis zu Apotheken nur vorgegaukelt gewesen.
Und noch in einem anderen Punkt hat sich Becker aus Sicht der Abmahnopfer schuldig gemacht: Gegenüber den Apothekern machte er Gebühren gemäß den Sätzen der Rechtsanwaltsvergütung geltend. Tatsächlich habe es zwischen Wagner und Becker aber eine Nebenabsprache gegeben, wonach der Anwalt je nach Verlauf der Aktion Honorar erhalten hätte. „Deswegen hat die Einstellung für meine Mandanten ein Geschmäckle“, so der Anwalt.
Die Apotheker können jetzt überlegen, ob sie noch zivilrechtlich gegen Becker vorgehen wollen, um Schadenersatz für die eigenen Anwaltsgebühren zu bekommen. Becker wollte sich gegenüber APOTHEKE ADHOC nicht weiter zu dem Verfahren äußern.