Deutsche Apotheker werden zwar nervös, wenn sie an die kommenden Jahre denken, machen sich aber trotzdem meist zu wenig Gedanken über die künftige Positionierung ihrer Apotheken, meint Martin Dess, Inhaber der Werbeagentur „Die Jäger von Röckersbühl“. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren mit Apothekern zusammen und hat sechs Typen identifiziert, für die es auch zukünftig einen Platz in der Gesundheitslandschaft geben soll.
Schon in wenigen Jahren wird es die Apotheke, wie wir sie kennen, nicht mehr geben. Davon ist Dess zutiefst überzeugt, wie er auch bei VISION.A, der Digitalkonferenz von APOTHEKE ADHOC und Apotheken Umschau erklärte. Den Versandhandel und Player wie Amazon mit ihren digitalen Konzepten sieht er als die größten Wettbewerber. Nur unternehmerisch geprägte Apotheken, die sich spezialisieren, können seiner Ansicht nach im digitalen Wettbewerb bestehen.
Doch von zukunftsweisenden Ideen könne in der Apothekenlandschaft oftmals keine Rede sein. „Viele Apotheker entfalten leider nur wenig visionäre Kraft und denken zu wenig darüber nach, wie ihre Apotheke in Zukunft aussehen könnte und sollte“, weiß Dess. Der Anteil der Apotheker, die eine Vorstellung zur künftigen Positionierung hätten, sei verschwindend gering und liege laut seiner Einschätzung bei unter 5 Prozent.
Während die Branche heute stark reglementiert ist, rechnet der Marketingexperte in den kommenden fünf Jahren mit grundlegenden Veränderungen. „Wenn Apotheker erst dann anfangen, über ihre künftige Positionierung nachzudenken, wird es für viele schon zu spät sein“, prophezeit er.
Auf ihrem auf Logistikfunktion mit angeschlossener Beratungskompetenz beschränkten Konzept könnten sich Apotheker jedenfalls künftig nicht mehr ausruhen: „Schon bald wird Amazon genauso schnell sein – wenn nicht sogar schneller“, sagt Dess.
Einige Apotheken in Top-Lagen, die über eine historisch gewachsene hervorragende Marktstellung verfügten, könnten auch ohne eine tragfähige Zukunftsvision noch lange überleben, so Dess. Dagegen werde eine große Anzahl an Apotheken Probleme bekommen, sobald die Margen schmaler würden.
„In jedem anderen Wirtschaftszweig ist es absolut üblich, dass man Zukunftsstrategien entwickelt und umsetzt“, verdeutlicht Dess. Er fordert Apotheker auf, sich dem „Unternehmertum“ zu öffnen und sich auf ihre eigenen Stärken zu besinnen. „Je schneller und umfassender sie das tun, desto höher ist die Chance, dass sie am Markt bestehen können“, betont er.
Um Apothekern eine Idee zu liefern und ihnen Chancen und Wege aufzuzeigen, hat Dess aus unterschiedlichen Quellen und eigener Marktbeobachtung sechs Apotheken-Typen entwickelt, für die es auch zukünftig einen Platz geben soll: die Logistik- und Performance-Apotheke, die Coach-Apotheke, die regionale Online-Apotheke, die Kompetenz-Apotheke, die Mensch-im-Fokus-Apotheke und last but not least die Compliance-Wirkungs-Apotheke.
Der erste Typ ist die Logistik- und Performance-Apotheke. Sie befindet sich idealerweise in einem Ärztehaus oder ist zumindest von einigen Ärzten umgeben. Die Apotheke regelt mit Hilfe von ausgeklügelter IT die logistischen Prozesse sowohl für die Ärzte als auch die Kunden. Wenn ein Patient beispielsweise eine Arztpraxis verlässt, muss in der Apotheke nach Vorstellung von Dess schon ein fertiges Paket mit allen notwendigen Medikamenten und dazugehörigen Informationen auf ihn warten.
Die Coach-Apotheke ist für ihre Kunden eine Art Sparring-Partner in Sachen Gesundheit. In dem Riesenkosmos von Gesundheitsdienstleistungen wählt sie die für den jeweiligen Kunden die richtigen Komponenten. Der typische Patient einer solchen Apotheke arbeitet viel, hat also wenig Zeit, aber Geld und will gesund bleiben. Dess weiß, wovon er spricht: „Ich wäre der klassische Kunde einer solchen Coach-Apotheke“, sagt er.
Der dritte Typus ist die regionale Online-Apotheke. „Sie sollte schneller sein als die großen, bundesweit agierenden Versandapotheken“, sagt Dess. Dazu seien perfektionierte regionale Lieferketten notwendig. Weitere Vorteile, die eine regionale Online-Apotheke gegenüber ihren Mitbewerbern hätte, wäre einerseits die Möglichkeit, ihre Produktpalette an örtliche Bedürfnisse anzupassen. Andererseits sei sie nach wie vor vor Ort präsent, sodass der Kunde bei Bedarf sich persönlich beraten lassen könne. In einem zweiten Schritt könnten sich nach Vorstellung des Marketingexperten solche regional agierenden Online-Apotheken zu einem Netzwerk zusammenschließen und so ihre Reichweite und Marktpräsenz erhöhen.
Apotheker könnten sich aber auch für den vierten Typus, die Kompetenz-Apotheke, entscheiden. Im Zentrum steht dabei die Spezialisierung auf drei bis vier Indikationen – das dann aber in Perfektion, betont Dess. „Eine solche Apotheke hätte die Chance, auch überregional tätig zu sein und so das Einzugsgebiet zu erweitern“, sagt er. „Dann kommen die Menschen auch aus weiter gelegen Ortschaften hin, um sich von ausgewiesenen Experten auf einem bestimmten Gebiet beraten zu lassen.“ Bereits heute gebe es Ansätze von Spezialisierung, beispielsweise bei Homöopathie und Phytopharmaka. „Noch geht es aber nicht weit genug“, meint Dess. „Die nötigen Wissenstiefe und -breite sind noch nicht erreicht.“
Für den fünften Typus, die Mensch-im-Fokus-Apotheke, sieht Dess einen „Riesenbedarf“. In der zunehmend anonymisierten und digitalisierten Welt entstehe vor allem in Großstädten der Wunsch nach sozialen Kontakten. „Vor allem ältere Menschen vereinsamen immer mehr“, sagt er. Für solche Kunden wäre eine Apotheke, wo man sich mit anderen Menschen treffen könne und dort länger verweile, eine wichtige Instanz. „Ich weiß aber noch nicht, wie eine solche Apotheke aus wirtschaftlicher Sicht bestehen sollte“, räumt er ein.
Die Compliance-Wirkungs-Apotheke bildet den sechsten Typus und ist auf das Arzneimittelmanagement spezialisiert. „In Deutschland sterben unfassbar viele Menschen, weil sie ihre Medikamente nicht richtig einnehmen“, sagt Dess. Noch mehr Menschen würden deshalb nicht gesund. Deshalb seien clevere Systeme notwendig, um die Compliance zu gewährleisten. Eine solche Spezialisierung sei nicht nur im Interesse der Patienten, sondern auch der Industrie. „Die Pharmahersteller würden doppelt so viel Umsatz machen, wenn Menschen ihre Medikamente richtig einnehmen würden“, meint der Experte.
„Es ist wichtig, sich klar zu machen, welcher Typ zu einem passt“, betont Dess. So müssten zum Beispiel sowohl der Chef als auch die Mitarbeiter der Coach-Apotheke sehr extrovertiert und kommunikationsstark sein. „Für einen introvertierten Menschen wäre es der völlig falsche Ansatz.“
Um sich als einer der sechs genannten Typen auf dem Gesundheitsmarkt zu etablieren, bedarf es einiger Anstrengungen. Alleine können die Apotheker laut Dess die Herausforderungen nicht stemmen, die vor ihnen liegen. Dazu müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Dess‘ Überzeugung: Nur wenn Pharmaindustrie, Großhandel, Kammern, Verbände und Apotheker zusammen agierten, gelinge die Spezialisierung, die die Apotheken zukunftsfähig mache.
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