Marketing

Durchfall im Schaufenster

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Berlin -

Apotheker Hölzle aus Konstanz kürt in seinem Schaufenster neuerdings den „Durchfall des Monats“. The winner is: Caricol. Flüssiges Obst gegen Blähungen und Verstopfungen, abgepackt in 20 kleinen Beutelchen, insgesamt 420 Milliliter kosten 22,70 Euro. Die ungewöhnliche Schaufenster-Dekoration der Tiergarten-Apotheke lässt Passanten innehalten. PR-Effekt erreicht? Oder steckt doch mehr dahinter?

Wer auffallen will, muss sich etwas einfallen lassen. Und Dinge auch mal durchfallen lassen. Einheimischen und Touristen, die durch Konstanz laufen, fällt die ungewöhnliche Schaufenster-Dekoration sofort auf. Keine gestreiften Schirmchen, keine harmlosen Flip-Flops, keine possierlichen Miniatur-Liegestühle, die wie sonst im Sommer üblich für ein Sonnenpflegeprodukt werben.

Stattdessen erklärt Daniel Hölzle künftig im Monatsrhythmus, welche Produkte er nicht ganz so toll findet, wie die Werbung uns glauben macht. „Caricol fällt bei mir durch, da eine halbe Papaya und ein Schnapsglas Apfelsaft keine 22,70 Euro kosten“, erklärt Daniel Hölzle auf einem Schild in seinem Schaufenster. Seine Kriterien für die Kür des „Durchfall des Monats“ stehen auf einem weiteren Schild: „Ein Produkt fällt bei mir durch, wenn die Werbeaussagen unglaubwürdig, unseriös oder falsch sind, das Produkt überteuert, gesundheitsschädlich, unterdosiert oder unwirksam ist“, lauten seine Bewertungskriterien. Seine Einladung an die Kunden: „Gerne diskutieren wir mit Ihnen die Gründe und Hintergründe für diese persönliche Beurteilung. Nutzen Sie unsere Beratungskompetenz. Diese ist für Sie in jeder Apotheke kostenlos.“

Daniel Hölzle ist kein notorischer Nörgler. Er sieht und hört gern genau hin. Die Online-Werbung des Produktes, das Sodbrennen ein rasches Ende prophezeit, kann man, wie bei vielen anderen Produkten auch, durchaus kritisch hinterfragen: „Caricol ist ein reines Naturprodukt aus baumgereiften Papayafrüchten. Das patentierte Herstellungsverfahren von Caricol vervielfacht die verdauungsfördernden Eigenschaften der Papaya. So entsteht ein natürliches „Power-Konzentrat“ zur wirkungsvollen Regulierung und Aktivierung der Verdauung. Die Rezeptur basiert auf einer Energetisierung ähnlich jenen Zubereitungsverfahren, wie sie aus den Traditionellen Chinesischen und Ayurvedischen Ernährungslehren bekannt sind.“

Die Inhaltsstoffe: „Bio-Papayafrüchte 93,9 g/100 g. Bio-Zitronensaftkonzentrat aus Mango und Pflaume 6 g/100 g, natürliches Aroma 0,1 g/100 g. Ohne Konservierungs- und Farbstoffe, ohne Zuckerzusatz. Ohne Verdickungsmittel, Füllstoffe, Guten, Lactose, Soja.“ Im Klartext: 99,9 Prozent flüssiges Obst kosten 22,70 Euro. Dafür bekommt man im Supermarkt fast zehn Kilo Äpfel. Der Hersteller empfiehlt sein Produkt unter anderem dafür, um „Heißhunger zu bekämpfen.“ Da hilft vielleicht auch eine Banane, die gibt‘s ab 40 Cent.

Der Apotheker erklärt, warum er diesem Produkt kritisch gegenüber steht: „Es ist überteuert.“ Wer in die Tiergarten-Apotheke kommt und sich in Sachen Verstopfung oder Magenprobleme beraten lässt, dem empfiehlt er lieber den Klassiker Iberogast-Tropfen, bei Verstopfung hilft zum Beispiel das Uralt-Hausmittel Leinsamen zu moderaten Preisen.

„Meine Kunden reagieren positiv, sie finden die Aktion gut“, sagt Hölzle. „Es geht mir nicht so sehr ums Produkt, sondern darum, Stellung zu beziehen. Ich finde, man kann ein Schaufenster auch mal für Kritik nutzen und muss nicht ständig Werbeaktionen wiederkäuen.“

Die Marke, mit der er seine Aktion gestartet hat, möchte er nur als eine von vielen verstanden wissen, die man auf den Prüfstand stellen kann. „Dieses Produkt ist nicht so fürchterlich wie manch anderes.“ Es ist jedenfalls das erste, das von ihm als „Durchfall des Monats“ ausgezeichnet wurde. Die Auswahl der Produkte nimmt Hölzle alleine vor, vor der Aktion hatte er eine ähnliche mit dem Titel „Top oder Flop“. Weil er „Durchfall des Monats“ passender fand, wechselte er kurzerhand den Aktions-Namen. Das erste Produkt, das er „prämierte“, war „Coralcare“. Sein Fach-Urteil: „ Hier werden ein paar Gramm geriebener "Kalkstein" mit Vitamin D für über 80 EUR angeboten.“

„Der Hintergrund meiner Aktion ist, zu fragen, ob die Produkte etwas taugen. Viele, was in der Werbung kolportiert wird, ist einfach überteuert oder sinnlos. Der Grundgedanke ist, dass sich die Vor Ort-Apotheken gegen die Versandapotheken positionieren können.“ Seine Botschaft: „Ich stelle die Frage, ob es ein alternatives Produkt gibt, das wirklich etwas taugt. Die Hauptaufgabe der Apotheke liegt schließlich in der Beratung.“ Darin sieht er die Chance, die Bedeutung der Apotheke zu stärken. „Die Leute sparen am meisten, wenn sie nichts kaufen“, erklärt er. Dann allerdings klingelt auch die Kasse des Apothekers nicht, was Hölzle natürlich auch nicht möchte. Sein Rat: Kompetenz stärken, Kunden beraten, Alternativ-Möglichkeiten aufzeigen.

Schon einmal hat ein deutscher Apotheker eine ähnliche Aktion gestartet: In den 90er-Jahren provozierte der Marburger Gregor Huesmann die Pharmaindustrie, indem er in seinem Schaufenster den „Scheiß des Monats“ anprangerte. „Öffentlichkeitsarbeit ist mein Hobby“, erklärte er und präsentierte „Präparate, die wir Ihnen nicht empfehlen können.“ Sein Anliegen: „Pseudoarzneimittel und überflüssige Nahrungsergänzungsmittel entlarven.“

Er sah es damals schon ähnlich wie Hölzle heute: „Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit als Apotheker, wenn wir solchen Quatsch verkaufen.“ Darunter fiel für ihn zum Beispiel Haifit, ein Hai-Knorpelpulver der Firma Medisana, damals für 122 DM wohlfeil. Damit sollten Konsumenten die „stählerne Konstitution des Raubfisches“ erlangen. Das Unternehmen warb unter anderem damit, dass man so gut wie nie einen kranken Hai beobachten könne. Huesmann überzeugte das nicht, er prangerte Haifit als „Scheiß des Monats“ an.

Der Hersteller von Haifit klagte, der Apotheker bekam weitgehend Recht. Allerdings wurde ihm die vom Gericht als herabsetzend eingeschätzte Formulierung „Scheiß des Monats“ untersagt. Der Caricol-Hersteller hat sich bislang nicht bei Apotheker Hölzle in Konstanz gemeldet. „Ich verkaufe das Produkt grundsätzlich, wenn die Kunden es wünschen. Es schadet schließlich niemandem und wenn jemand es kaufen möchte, lasse ich ihm seine Illusionen.“

Wer kommt als nächstes ins Schaufenster der Tiergarten-Apotheke? Hölzle sagt: „Ich habe mich noch nicht entschieden. Auswahl gibt‘s reichlich, ich habe die Qual der Wahl.“ Gut im Rennen legt ein „Nahrungsergänzungsmittel, das sich als Potenzmittel tituliert.“ Klingt spannend. Mehr verrät Hölzle noch nicht. Die Ein-Mann-Jury aus Konstanz entscheidet spontan.

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