Einzelimporte

Lieferengpässe: Hersteller verweigern Defektnachweis

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Berlin -

Mit Importen kämpft sich Deutschland durch die Krise – wichtige Arzneimittel, die hierzulande fehlen, werden im Ausland beschafft. Weil die eigens erlassenen Ausnahmeregelungen aber nur für Fiebersäfte gelten, ist der Mehraufwand in den Apotheken immens. Umso schlimmer, wenn die Hersteller die Sache noch schwieriger machen.

Daniela Hänel ist verzweifelt. Die Inhaberin der Linda-Apotheke in der Nordvorstadt in Zwickau kämpft gerade mit zwei Herstellern, die ihr die Arbeit massiv erschweren. Es geht um zwei Präparate, die sie dringend für die Versorgung ihrer Patienten braucht. Weil beide Medikamente derzeit nicht verfügbar sind, würde sie sie gerne als Einzelimport beschaffen. Doch für den Antrag bei der Kasse benötigt sie Defektnachweise, die ihr die Firmen nicht ausstellen wollen.

Fall 1: Lamictal

Im ersten Fall geht es um Lamictal. Hänel liegt eine Verordnung für ein vierjähriges Kind vor, das am Tag zwei Einheiten des Antiepileptikums à 7 mg benötigt, um anfallsfrei und ohne große Nebenwirkungen am Leben teilnehmen zu können. Zwar gibt es neben dem Original von GlaxoSmithKline (GSK) auch Generika, doch für die relevanten Dosierungen à 2 und 5 mg ist derzeit keine Alternative verfügbar. Die dringend benötigten Tabletten zur Herstellung einer Suspension sind laut Hänel weder bei Alliance Healthcare Deutschland, Gehe oder Phoenix noch bei AEP zu bekommen.

Bereits am Montag vergangener Woche bat Hänel den Hersteller schriftlich um einen Defektnachweis. Eine Antwort erhalten hat sie bislang nicht, auch Anrufe blieben ohne Erfolg. Irgendwann hakte sie in ihrer Verzweiflung im Kundendienst der OTC-Sparte nach. Dort nannte man ihr immerhin eine neue Telefonnummer, unter die dann tatsächlich einen Mitarbeiter sprechen konnte.

Screenshot für die Krankenkasse

Der Gesprächspartner habe ihr aber nur nahe gelegt, sich über die Website des Customer-Service zu registrieren und dann die Verfügbarkeit abzufragen. Nachdem sie also ihre Daten auf der Plattform eingegeben hatte, hatte sie es endlich Schwarz auf Weiß: Die Dosierung à 2 mg wurde als nicht verfügbar angezeigt. Weil kein Ausdruck möglich war, machte Hänel einen Screenshot, den sie nun mit ihrem Antrag einreichen will.

Die Dosierung à 5 mg wird dagegen vom Hersteller als lieferbar angezeigt – und zwar beim Großhandel. Das ist aber laut Hänel nicht der Fall, sodass ihr der lückenlose Nachweis im Grunde immer noch fehlt. Laut § 73 Absatz 3 Arzneimittelgesetz (AMG) ist ein Einzelimport nur dann zulässig, wenn „hinsichtlich des Wirkstoffs identische und hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbare Arzneimittel für das betreffende Anwendungsgebiet im Geltungsbereich des Gesetzes nicht zur Verfügung stehen“. Laut Rahmenvertrag muss die Nichtverfügbarkeit durch Abfragen bei zwei Großhändlern oder dem Hersteller nachgewiesen werden.

Hänel ärgert sich maßlos, dass ihr der Hersteller die Arbeit bei dem ohnehin schon massiv gestiegenen Aufwand zusätzlich erschwert. „Ich habe nicht die Zeit, mehrfach Mails zu schicken, um eine Auskunft zu erhalten.“ Immerhin gehe es um die Gesundheit eines Kindes, das ohne Genehmigung durch die Kasse nicht versorgt werden könne. „In der aktuellen Zeit, wo so viele Arzneimittel nicht lieferbar sind, ist es doch das Mindeste, die Apotheken zu informieren, damit der therapiebestimmende Arzt und die Eltern des Kindes die weitere Medikation und Versorgung des Kindes besprechen können.“

Fall 2: Ikervis

Der zweite Fall betraf Ikervis. Hänel benötigt die Ciclosporin-haltigen Augentropfen für einen jungen Mann, bei dem aufgrund einer schweren Erkrankung in beiden Augen die Hornhaut transplantiert worden war. Er ist auf das Medikament angewiesen, damit es nicht zu einer Abstoßungsreaktion kommt. Hier existiert überhaupt keine Alternative, laut Hänel hat der Hersteller Santen einen Lieferengpass bis April (30 Stück) beziehungsweise Mai (90 Stück) angekündigt. Beim Großhandel ist entsprechend keine Ware zu bekommen.

Auch hier bat die Apothekerin das Unternehmen per Mail um eine schriftliche Defektmeldung, doch außer der Lesebestätigung erhielt sie seit vergangenem Donnerstag keine Antwort. Als sie dann eine Mitarbeiterin im Kundendienst am Telefon hatte, eskalierte die Situation: Sie sei aufgefordert worden, ihr Anliegen schriftlich einzureichen, schildert Hänel das Gespräch. Was das denn bringen solle, wenn sei ohne keine Antwort erhalte? Und überhaupt habe sie die Apotheke voll, zusätzlich sei eine Mitarbeiterin erkrankt. Sie brauche nun auf schnellstmöglichem und unkompliziertem Wege die Defektbestätigung.

Man habe den Großhandel gerade beliefert, erklärte die Mitarbeiterin laut Hänel weiter, sogar Zahlen habe sie genannt. Sie solle sich beeilen und zusehen, dass sie eine Packung bekomme. Hänel war sprachlos und legte auf.

Vertriebsleiter entschuldigt sich

Als sie sich gefasst hatte, kontrollierte sie noch einmal die Bestände ihrer Großhändler über MSV3 – nichts. Eine Stunde später klingelte das Telefon und der Vertriebsleiter entschuldigte sich. Er blieb aber dabei, dass Ware an den Großhandel geliefert worden sei, die Apothekerin möge doch bitte noch einmal nachhaken. Anderenfalls werde er sich selbst der Sache annehmen.

Und tatsächlich: Als sei bei Phoenix nachfragte, teilte man ihr mit, dass einige Packungen vorrätig seien. Ob denn ihre Vorbestellungen jetzt beliefert würden? Nein, es handele sich um einen gesperrten Artikel, bei dem keine Vorbestellungen möglich seien. Auf diese Weise solle verhindert werden, dass bei mehreren Großhändlern vorbestellt und am Ende Ware absichtlich oder unabsichtlich gehamstert werde. Hänel war abermals baff.

Immerhin: Am heutigen Morgen hielt sie die dringend benötigte Packung endlich in den Händen, sodass sie den Patienten ordnungsgemäß versorgen kann.

Chaotische Verhältnisse

Aus ihrer Sicht zeigen die beiden Fälle aus der vergangenen Woche, wie schlimm die Zustände im deutschen Arzneimittelmarkt derzeit sind. Nicht nur, dass die Apotheken massiven Mehraufwand hätten. Aufgrund der chaotischen Verhältnisse müssten die Kassen und damit die Beitragszahler am Ende auch noch viel mehr Geld ausgeben: Bei Ikervis etwa hätte der Import mit 800 Euro fast das Dreifache gekostet.

Und zu all der Belastung und Frustration komme die Tatsache, dass die Mehrarbeit der Apotheken überhaupt nicht respektiert oder vergütet werde. Im Gegenteil: Hänel hatte schon Fälle, in denen sie sich dringend benötigte Medikamente bei Kollegen besorgen musste, die ihr Gott sei Dank aus der Notlage geholfen haben. Bezahlt habe sie dann den Apothekenverkaufspreis – noch nicht einmal den gesetzlichen Zuschlag habe sie dann erhalten.

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