Lieferengpässe: Alles andere als entspannt Hanna Meiertöns, 13.03.2023 10:00 Uhr
„Die Lage hat sich, Gott sei Dank, deutlich entspannt.“ Mit dieser Aussage hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) viele Apothekerinnen und Apotheker vor den Kopf gestoßen. Ihre tägliche Erfahrung ist eine ganz andere, wie eine aktuelle Befragung von aposcope zeigt: Knapp 94 Prozent sehen in den Lieferengpässen aktuell die größte Herausforderung. Auch die anderen Ergebnisse lassen sich kaum mit den Aussagen des Bundesgesundheitsministers vereinbaren.
Lauterbach hatte von einer Entspannung der Versorgungslage gesprochen. Das liege auch daran, dass die Krankenkassen für Kinderarzneimittel wie Paracetamol und Antibiotika mehr bezahlen dürften, so dass mehr Anbieter, die zuvor ins Ausland verkauften, nun auch nach Deutschland lieferten. Hintergrund ist, dass sein Generikagesetz wohl mindestens bis Sommer auf sich warten lässt und damit demnächst sowohl die Festbeträge als auch die „normalen“ Abgaberegelungen wieder in Kraft treten.
Nachdem aposcope bereits im Dezember erhoben hatte, welche Ausmaße die Engpässe haben, wurden jetzt erneut 301 Apotheker:innen und PTA befragt. In einigen Produktgruppen ist demnach zwar eine gewisse Verbesserung zu verzeichnen, die Lage ist trotzdem alles andere als entspannt: Vor allem bei den Antibiotika sieht es schlecht aus, aber auch viele andere Arzneimittel sind noch immer Mangelware.
Fiebersaft und -zäpfchen
Bei Fiebersaft und -zäpfchen für Kinder hatten im Dezember 98 Prozent eher große, große oder sehr große Beeinträchtigungen gesehen, aktuell sind es aber immer noch 84 Prozent. Die Lieferfähigkeit hat sich etwas verbessert, statt 5 Prozent im Dezember gaben nun 21 Prozent eine eher gute bis sehr gute Verfügbarkeit bei den Lieferanten an.
Die Lagerbestände haben sich ebenfalls verbessert, 36 Prozent sehen aktuell einen ausreichenden Lagerbestand in ihrer Apotheke, im Dezember waren es nur 4 Prozent gewesen. Trotzdem sind bei 13 Prozent gar keine Fiebersäfte oder Zäpfchen vorrätig, nach 57 Prozent kurz vor Weihnachten.
Antibiotika
Bei Antibiotika sind die Beeinträchtigungen sogar gewachsen. Insgesamt sehen 97 Prozent hier Beeinträchtigungen, im Dezember waren es 95 Prozent. Als sehr groß werden die Beeinträchtigungen dabei von 61 Prozent wahrgenommen, nach 50 Prozent im Dezember. Die Lieferfähigkeit ist weiterhin schlecht (86 Prozent) und die Lager in den Apotheken sind erschöpft (80 Prozent).
Andere Wirkstoffgruppen
Für andere Wirkstoffgruppen sind die Bedingungen zwar besser geworden, trotzdem berichtet in den meisten Fällen noch immer eine Mehrheit von Beeinträchtigungen bei Blutdruckmitteln (61 statt 75 Prozent), Omeprazol (48 statt 59 Prozent), Lipidsenker (77 statt 85 Prozent) und Elektrolyte (77 statt 90 Prozent). Die Lieferengpässe bei Hustenmitteln sind weiterhin besonders ausgeprägt, 83 Prozent berichten von Einschränkungen (Dezember: 81 Prozent), fast jede:r Vierte gibt sogar sehr große Beeinträchtigungen an.
Versorgung gefährdet
39 Prozent gaben an, dass die Kund:innen inzwischen über die Problematik der Lieferengpässe informiert sind, nach 32 Prozent im Dezember. 43 Prozent berichten von überwiegend verständnisvollen Patientinnen und Patienten, im Dezember waren es 34 Prozent. Dennoch beschreiben 27 Prozent auch besorgte oder panische Menschen, nach 31 Prozent im Dezember.
Und der zusätzliche Aufwand ist ungebrochen groß: Der Aussage, dass die Erreichbarkeit der Praxen für Rückfragen schwierig ist, stimmen noch immer 92 Prozent der Befragten zu. Laut neun von zehn Befragten melden sich noch immer täglich verzweifelte Patient:innen, die auf der Suche nach ihrem Arzneimittel diverse Apotheken kontaktieren (91 statt 94 Prozent). Im Durchschnitt wenden die Apotheken der Befragten über zehn Stunden pro Woche für das Engpassmanagement auf.
Etwa 40 Prozent aller Rezepte sind laut der aktuellen aposcope-Befragung noch von den Lieferengpässen betroffen, etwa jede:r zehnte Patient:in muss weggeschickt oder kann nicht angemessen versorgt werden. Die Versorgung im Notdienst hält rund die Hälfte der Befragten (45 Prozent) für gefährdet, mehr als jede:r Zehnte gibt sogar eine sehr starke Gefährdung an.
Welche Maßnahmen ergreifen die Apothekenteams?
Zwei Drittel geben Teilmengen ab, 41 Prozent machen vom Aut-simile-Austausch Gebrauch. Mehr als die Hälfte informiert auch die Praxen entsprechend über die Lieferengpässe, sucht Kontakt zum behandelnden Arzt, bietet Botendienste an oder verweist an andere Apotheken. In den Apotheken von jeder/jedem vierten Befragten wurde auch der Botendienst seit Anfang des Jahres ausgebaut.
Jede:r vierte Befragte greift inzwischen auf zusätzliche Großhändler oder Lieferanten zurück, 20 Prozent nutzen die Option der Einzelimporte. Ein Viertel nutzt den Arzneimittelaustausch mit Kolleg:innen oder greift auf Rezepturen zurück, etwa jede:r Zehnte gab an, auch Defekturen herzustellen. 80 Prozent sind allerdings nicht der Meinung, „dass man mit Rezepturen Engpässe gut abfedern kann“.
Mehrheit rechnet mit Chaos ab April
72 Prozent rechnen mit einem Chaos in den Apotheken, wenn am 7. April die Sars-Cov-2-Arzneimittelversorgungsverordnung ausläuft. Denn die Ausnahmeregelungen bei der Abgabe von Arzneimitteln sind für neun von zehn der Befragten essentiell für die Versorgung und haben maßgeblich zur Versorgungssicherung beigetragen. Eine Verstetigung der Regeln ist entsprechend gewünscht, besonders viele wollen die Lockerungen bei der Abgabe von Teilmengen (69 Prozent) und den Aut-simile-Austausch (65 Prozent) beibehalten. Mehr als jede:r Zehnte gibt auch die Abgabe von Betäubungsmitteln zwischen Apotheken an.
80 Prozent prognostizieren Verschlechterung
Die Apothekenteams sind dementsprechend noch immer wenig optimistisch gestimmt, was die Entwicklung der Lieferengpässe angeht: Acht von zehn Befragten gehen von einer weiteren Verschlechterung der Situation aus (82 nach 95 Prozent). 96 Prozent finden, dass die Apotheken bei der Bewältigung noch immer allein gelassen werden, fast 90 Prozent glauben nicht, dass die Politik das Problem zeitnah lösen wird.
Die Schuld an den Engpässen sieht knapp jede:r Zweite in der Politik, 38 Prozent bei den Krankenkassen. 8 Prozent sehen die Pharmahersteller in der Verantwortung.
Für die aposcope-Befragung wurden am 6. und 7. März insgesamt 301 verifizierte Apotheker:innen und PTA befragt.