Lieferung innerhalb von 30 Minuten bis tief in die Nacht? Das geht noch besser, dachten sich zwei junge dynamische Gründer aus Berlin. Ihr Startup Apolidi („Apothekenlieferdienst“) liefert schon, bevor der Kunde überhaupt bestellt hat.
Die Idee ist schlichtweg genial: Apolidi liefert Arzneimittel und Gesundheitsprodukte an die Haustür, noch bevor der Kunde überhaupt weiß, dass er sie kaufen will! Ein Bus, der mit einem abgespeckten Apothekensortiment im Laderaum von Tür zu Tür fährt und die Nachbarschaft durch einen unverwechselbaren Klingelton wissen lässt, dass er da ist. In Scharen strömen ganze Familien ins Freie, um das Eintreffen des Fahrers zu zelebrieren und neugierig in die bunte Welt der Schubladen zu schauen. Wie sympathisch ist das denn! So retro, dass es schon wieder future ist.
Ein Business Plan war schnell skizziert, die Seed-Finanzierung quasi ein Selbstläufer. „Apolidi ist ein disruptives Challenger-Model, das als Patient-Centricity-Plattform ein integratives Upscaling der kompletten Customer Journey möglich macht.“ Welcher Investor kann da schon Nein sagen? Ein ausrangiertes Backmobil war schnell gefunden, ein Apothekerschrank war bei Ebay ebenfalls günstig zu haben. Für alle Digital Natives noch schnell eine App mit trendigen Zusatzfeatures im Store hochladen, und schon konnte es losgehen.
Zugegeben, danach wurde es ein zunehmend mühsamer Weg. Als erstes setzte sich die bittere Erkenntnis durch, dass die „Early Adopter“ aus dem Prenzlauer Berg weniger responsive waren als erhofft. Der Bus blockierte die ohnehin schon zugeparkten Straßen, und dann wurde auch noch Kritik an dem „doofen Jehupe“ laut. Ein Knöllchen samt Ermahnung gab es obendrauf. Umsatz null, Verlust hoch, egal, nur die Wachstumsstory musste irgendwie weitergehen.
Krisensitzung also und die Erkenntnis, dass – jetzt mal antizyklisch gedacht – das Land doch eigentlich die neue Stadt ist. Genau, sollen doch die Hipster im Kiez bei ihren lotterigen Fahrradkurieren bleiben! Auf dem Land, da würde man so einen schnittigen Bus noch zu schätzen wissen! Ältere Bevölkerung, schlechte Infrastruktur, diesmal passten alle Vorzeichen. Kleine Finanzierungsrunde, versteht sich (Dieselpreis!), und ab ins Brandenburgische.
Doch diesmal wurde alles noch schlimmer. Erst kam man sich mit dem Bofrost-Fahrer in die Quere, immerhin nur kleiner Blechschaden. Aber dann entpuppte sich gleich der erste Kunde als Mitarbeiterin des Gesundheitsamts, die die Angelegenheit zufällig im Home Office beobachtet hatte. Betriebserlaubnis? Approbation? Sachkundenachweis? Irgendwas? Leider nein. Nur der German Startup Award in Bronze. Noch vor Ort wurde das fliegende Generalalphabet versiegelt, für den Hoffnungsträger war es vorbei, bevor es überhaupt angefangen hatte.
Zugegeben, der Apothekenbus ist noch nicht unterwegs. Auch DocMorris hat seinen Prototypen noch nicht wieder aus der Garage gefahren, der 2013 mit Beratungskabine samt Videoapotheker und einem politischen Manifest im Wahlkampf durch Deutschland rollte. Aber Lieferdienste für Arzneimittel mausern sich gerade tatsächlich zum „heißen Scheiß“ der Startup-Szene.
Aktuell wird der Apothekenmarkt in der Hauptstadt gerade auf den Kopf gestellt. Gleich mehrere Newcomer schicken ihre Kuriere los, um den Kund:innen den – nicht gerade weiten – Weg in die Apotheke zu ersparen. First A und Mayd sind bereits am Markt und mit grell gekleideten Fahrern im Stadtbild nicht zu übersehen. Andere Player stehen kurz vor Go Live.
Es sind jene neuen Kräfte, die die Partner von Gesund.de und IA.de bei ihren Rufen nach einer Branchenlösung immer wieder heraufbeschworen hatten (freilich nicht ohne dabei eigene Interessen verfolgt zu haben). Wohl kein Zufall war es, dass Gesund.de zum Wochenbeginn verkündete, allen Kund:innen auf der Plattform Payback-Punkte zu spendieren.
Und tatsächlich: Schon das großzügige finanzielle Polster, mit dem die Startups von Investoren ausgestattet wurden, zeigt, dass jetzt wohl tatsächlich der Apothekenmarkt geknackt werden soll. Auch wenn die Grundsatzfrage, ob die Fahrradkuriere als „Boten der Apotheken“ gelten, wohl erst noch Gerichte beschäftigen wird: Das Angebot trifft auf ein Bedürfnis, von dem viele Kund:innen heute noch gar nicht wissen, dass sie es künftig haben werden.
So wie Lieferando & Co. seit der Coronakrise zu einer festen Größe für Restaurantbetreiber geworden sind, müssen sich wohl auch die Apotheken mit dem Konzept der Lieferdienste anfreunden – wohl wissend, dass mit jeder ausgelieferten Bestellung ein kleines Stück ihres Images beim Plattformbetreiber hängen bleibt. Das E-Rezept wird die Sache noch beschleunigen. Auch die Versender müssen sich etwas einfallen lassen, wie sie ohne Rx-Boni mit ihrer Abendlieferung konkurrenzfähig bleiben können.
Entscheidend wird am Ende sein, im welchem Rahmen sich die Lieferung rechnet und wer auf Dauer eigentlich dafür bezahlen wird. Essenslieferdienste kassieren gleich doppelt beim Kunden und beim Restaurant und kommen so auf jene 5 bis 7 Euro, ab denen sich das Angebot für sie rechnet. Den Gastwirten versprechen sie dafür zusätzliche Umsätze. Einer muss schließlich kochen, damit alle satt werden können.
Viele Apotheken liefern heute schon auf eigene Kosten – entsprechend leicht können Mayd & Co. für die Umstellung auf ihr Angebot argumentieren (Stelle des Fahrers streichen, kein Ärger mehr mit Mindestlohn). Dazu kommt, dass seit der Coronakrise mit der Botendienstpauschale kalkuliert werden kann, auch dies verklärt möglicherweise den Blick auf die betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten. Doch Politik und Kassen werden wohl nicht lange zuschauen, wie Versichertengelder für solche Marketingtools ausgegeben werden. Denn eins ist klar: Den Lieferdiensten geht es – ganz und gar nicht apothekerlich – nicht um die beste Versorgung auf dem Land, sondern um möglichst viele kurze und lukrative Touren in Metropolen wie Berlin.
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