ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Liefer-Wahnsinn geht weiter: Botenfahrer im Nachtdienst Alexander Müller, 19.02.2022 07:55 Uhr

Nayd – der Nachtbotendienst Montage: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Apothekerin Ruth G. sitzt in ihrem Büro und brütet über der Rezeptprüfung. Weil sie während des Notdienstes sowieso nie schlafen kann, will sie die Zeit wenigstens sinnvoll nutzen. Plötzlich durchbricht ein vertrautes und doch ungewohnt gewordenes Geräusch ihre Konzentration: Das Faxgerät schnurrt los. Sie nimmt das Papier und kann gerade noch lesen, dass gleich der Botendienstfahrer kommt, da klingelt es vorne.

Mit dem Zettel in der Hand geht die Apothekerin leicht verwirrt in die Offizin. Um das Fax muss sie sich später kümmern, jetzt steht Vor der vergitterten Tür steht schon ein junger Mann mit einem Fahrradhelm, der unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt. Ruth bereitet sich schon innerlich auf die Erklärung vor, dass sie die Pille danach nur an die Anwenderin persönlich abgeben darf.

„Guten Abend, wie kann ich helfen?“
„Mein Paket?“
„Entschuldigung, welches Paket? Meinen Sie einen Abholer? Also das ist eigentlich kein Notfall…“
„Ich meine das Paket, das ich ausliefern soll. Sie haben die Bestellung doch gekriegt.“
„Welche Bestellung?“
Der Bote deutet auf den Zettel in Ihrer Hand.

Ruth liest: „Sie haben einen Auftrag über Nayd – der Nachtbotendienst erhalten: 1x Salmiakpastillen, extrascharf. Der Fahrer kommt in den nächsten Minuten bei Ihnen vorbei und holt die bestellte Ware ab. Bitte beachten Sie, dass unsere Fahrer keine Beratung entgegennehmen können. Sollte der Kunde oder die Kundin eine pharmazeutische Beratung benötigen, kontaktieren Sie die Person bitte direkt. Bitte beachten Sie, dass wir Ihnen den Namen des Kunden oder Kundin aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mitteilen dürfen.“

„Ja aber, ich bin gar nicht bei Night“, sagt Ruth verwirrt.
„Es heißt Nayd, das klingt nicer. Und doch, sind Sie, Sie haben doch einen Auftrag bekommen.“
„Und wenn ich nicht will?“
„Dann werden Sie für eine Stunde auf der Plattform gesperrt.“
„Ich möchte bitte für immer gesperrt werden.“
„Das geht leider nicht, wir dürfen Ihre Daten nicht so lange speichern.“
„Wo haben Sie meine Kontaktdaten überhaupt her und wieso bin ich auf dieser Plattform?“
„Kann ich jetzt bitte die Salmiakpastillen haben?“
„Woher wissen Sie denn, was bestellt wurde?“
„Ich ähh, ich muss innerhalb einer Viertelstunde liefern. Biiiitttee.“
„Ich habe nur Salz&Pfeffer Bonbons, aber das darf man im Notdienst substituieren.“
„Substiwas?“
„Schon gut. Hier sind die Bonbons. Macht 2,23 Euro.“
„Ich muss erst ausliefern. Wenn der Kunde zahlt, bringe ich das Geld. Abzüglich unserer Provision.“
„Provision?“
Der Fahrer tippt auf das Fax.
Ruth liest: „Für die Vertragsübermittlung stellen wir Ihnen eine Gebühr von nur 15 Prozent des Umsatzes in Rechnung, mindestens 3 Euro.“
Ruth lacht: „Ist schon gut, die hier schenke ich Ihnen, gute Fahrt und schönen Abend noch.“

Wie weit ist eine solche dystopische Groteske noch vom Apothekenalltag entfernt? Es gibt Plattformen, die verschreibungspflichtige Arzneimittel nach Ausfüllen eines Fragebogens verschicken. Sogar ohne Zulassung. Der vermeintliche rechtliche Kniff: Ein Hollandversender stellt eine Defektur her – sehr gerissen. Es gibt Kosmetikkonzerne, die sich Hollandversender kaufen.

Es gibt ebenso notorisch gerissene Hollandversender, die den Leuten elektrische Zahnbürsten zulosen wollen, um irgendwie an die noch immer nicht elektronischen Verordnungen zu kommen. Der Bundesgerichtshof (BGH) findet aber, dass ein bisschen Beratung bei der Arzneimittelversorgung manchmal ganz gut tut. Und in Karlsruhe haben sie zudem mit der Telemedizin aufgeräumt und träumen sie von einem neuen EuGH-Verfahren.

Wie im falschen Traum muss sich DocMorris gefühlt haben, als der Versender plötzlich im Holt-Verfahren aufgetaucht ist. Der geständige Betrüger plauderte in seinem Prozess recht freimütig über einen letztlich geplatzten Deal über Desinfektionsmittel und belastete auf Nachfrage der Richter sogar Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn. Der sagt, er kenne Holt gar nicht. Und Sie fragen sich jetzt: Tja, wem soll man da glauben? Und wir fragen Sie, warum Sie sich das fragen müssen. Der Staatsanwalt hat jedenfalls noch ein paar Fragen.

Rabattverträge waren in der Apotheke schon mal ein größerer Aufreger als dieser Tage. Aber vielleicht erlebt das Drama bald eine Neuauflage, denn es droht das Biosimilar-Chaos. Gerade rechtzeitig wie es scheint, haben die Apotheken die Möglichkeit erhalten, Hersteller auf Schadenersatz zu verklagen, wenn die trotz Rabattvertrag nicht liefern konnten, das gegenüber der Kasse aber nicht zugeben wollen.

Die Krankenkassen sind übrigens zu 100 Prozent E-Rezept-ready. Sagt ihr Verband. Mit der Fußnote, dass es bei der Abrechnung mit den Apothekenrechenzentren noch Komplikationen geben könnte. Unwichtige Details also. „Flug 1765 ist bereit zum Abflug, es könnte nur später Komplikationen mit der Gravitation geben.“ Lieber die FAQ zum E-Rezept lesen. Oder beobachten Sie diese Apotheke, die schon erfolgreich testet.

Um zu erfahren, wie das ist, kein Geld zu bekommen, musste dieser Apotheker gar keine E-Rezepte abrechnen. Diesen Gefallen tut ihm die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg, die ihn seit einem halben Jahr für lau testen lässt. Anderenorts kommt es sogar zum Handgemenge, weil eine Kundin Testformulare geklaut hat. Die Überschrift „180-Tage-Genesenenzertifikat gilt nur 90 Tage“ fügt sich ohne weitere Erklärung in einen satirischen Wochenrückblick. In diesem Sinne: Schönes Wochenende!