Lieber Spielverderber als Schubladenzieher Carolin Bauer, 07.09.2018 10:20 Uhr
Notdienst, Samstagsarbeit und meckernde Kunden: Darauf hatte Apotheker Dr. Stephan Abels* keine Lust. Also zog es ihn nach Studium und Promotion in die Industrie. Neue Strukturen zwangen ihn jedoch zum Jobwechsel. Vor knapp drei Jahren wechselte er als Filialleiter in die Apotheke. Er kennt beide Arbeitsplätze, tendiert aber zur Industrie. „In der Apotheke hat man das Gefühl, von allen Seiten gepiesackt zu werden.“
Abels wollte schon immer Apotheker werden: „Das war ein sehr lang gehegter Berufswunsch. Als Kind war ich von unserem Stammapotheker fasziniert und ich habe bei ihm Praktika absolviert.“ 2000 begann er das Pharmaziestudium. „Damals waren die Rahmenbedingungen für Apotheker noch deutlich lukrativer“, sagt er. Das habe sich mit der Einführung der Rabattverträge und weiteren bürokratischen Hürden jedoch geändert. „Der Beruf an sich ist toll, doch die Verwaltung ist die eigentliche Aufgabe des Apothekers.“
Deshalb wechselte er nach der Promotion zu einem Medizintechnikhersteller. Bei dem Unternehmen wurde ein Trainee-Programm angeboten. Abels war vier Jahre im regulatorischen Bereich tätig. Die Vorteile seien keine Notdienste oder Wochenendarbeit. Zudem sei das Gehalt deutlich höher. Allerdings sei er bei seinen eigenen Projekten oft abhängig von anderen gewesen. „Vieles zieht sich dadurch in die Länge, da man in größeren Teams mit mehreren Personen oder Abteilungen agieren muss.“
In der Industrie gebe es zwischen den Abteilungen viel „Kompetenzgerangel“. „Man braucht ein dickes Fell, um sich gegen diese unnötigen Grabenkämpfe zu wehren“, sagt Abel. Manche Kollegen müssten zeigen, dass auch ihre Abteilung etwas zu sagen habe. „Apotheker in der Qualitätssicherung gelten als Spielverderber.“ Innerhalb des eigenen Teams zögen alle an einem Strang. Apotheker benötigten ein gutes Selbstmanagement und müssten strukturiert arbeiten können.
Apotheker werden Abel zufolge von Personalmanagern in der Industrie nicht mit dem gleichen Stellenwert gewürdigt. „Die Praxiserfahrung eines Arztes hat eine höhere Relevanz als die Tätigkeit in der Apotheke.“ Die Erfahrung in der Offizin werde als „nicht relevant“ für die Industrie eingeschätzt. „Das Image der Apotheker in der Öffentlichkeit leidet vielfach unter den herrschenden Vorurteilen, wie zum Beispiel studierte Schubladenzieher. Leider wurde solchen Einstellungen durch eine jahrelang vernachlässigte Lobbyarbeit der Standesvertretung nicht entgegen gewirkt.“
Ärzte würden – auch im Bereich Arzneimittelsicherheit – viel höher angesehen und bekämen mehr Gehalt. „Im Kollegenkreis werden Apotheker manchmal auch beneidet“, sagt Abels. „Biologen oder Chemiker sagen oft: ‚Du kannst ja jederzeit wieder in einer Apotheke arbeiten.‘“
Anders sei die Wahrnehmung in der Offizin: „Industrieapotheker werden als ein ‚Upgrade‘ für die Offizin aufgenommen“, sagt Abels. Das liege an der strategischen Erfahrung. Er habe keine Probleme gehabt, eine Stelle zu finden. Der Pharmazeut wechselte in eine Vor-Ort-Apotheke, da er keine Aufstiegschancen sah, seine Abteilung umstrukturiert wurde und er seinen Lebensmittelpunkt in Hessen behalten wollte. „Außendienst passt nicht zu meinem Typ.“ Zudem wollte er die Befreiung von der Rentenversicherung nicht verlieren.
Als Filialleiter war er für etwa 20 Mitarbeiter verantwortlich. „Das Wissen habe ich schnell wiederaufgebaut.“ Die Tätigkeiten umfassten den klassischen Apothekenalltag mit Beratung und Organisation. Konfliktpotenzial gebe es eher mit nörgelnden Kunden und im Kollegenkreis. Denn wenn ein Fremder aus der Industrie neu in das Team komme, fühlten sich andere Apotheker mit Leitungswunsch vernachlässigt. „Ich habe den Betriebsfrieden durch Mitarbeitergespräche und Aufgabenteilung schnell in den Griff bekommen.“
Die Arbeit in der Apotheke habe mehrere Vorteile, so Abels. „Man ist Herr über die eigenen Prozesse.“ Zudem bleibe die Arbeit in der Offizin. In der Industrie würden Projekte selten am gleichen Tag abgeschlossen. „Man nimmt die Arbeit öfter mit nach Hause.“ Überstünden würden erwartet. „Notdienste habe ich nicht vermisst.“ Aktuell sucht Abels eine neue Stelle. „Ich tendiere eher in Richtung Industrie“, sagt er.
Denn in Vor-Ort-Apotheken sei die Unsicherheit zu groß. „Viele wissen nicht, wie es weiter geht.“ Der Apothekerberuf werde immer unattraktiver, da die Gängeleien durch Aufsicht, der Krankenkassen und Politik immer weiter zunähmen. Zudem wisse niemand, wann das Mehrbesitzverbot falle. Bereut hat Abels seine Zeit in der Offizin nicht: „Ich habe einen sozialen Beruf, in dem ich Menschen helfe. Außerdem habe ich dadurch einen besseren Überblick erhalten.“ Als Apotheker habe man eine Vielzahl an beruflichen Möglichkeiten.
* Name von der Redaktion geändert