Pharmaziestudium

Dingermann: „Wir stehen vor großen Umbrüchen“

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Berlin -

An der Goethe-Universität Frankfurt ging gestern eine Ära zu Ende: Professor Dr. Theodor Dingermann verabschiedete sich mit seiner letzten Vorlesung „Rekombinante Wirkstoffe – Moderne Krebstherapie mit Biologicals“ von den Pharmaziestudenten.

„So einen wie Dich hätte ich als Hochschullehrer Ende der 70er gern gehabt!“ So und ähnlich teilen ehemalige Studenten und Freunde des Hochschulprofessors ihre Gefühle mit. Der Abschieds-Post auf Facebook von Dingermann wächst mit ausschließlich positiven Kommentaren. „Ich verneige mich vor einem großen Wissenschaftler, der gleichzeitig immer Mensch geblieben ist“, schreibt ein Apotheker. Auch Personen, die nicht in Frankfurt studiert haben, hinterlassen wohlwollende Statements: „Ich habe Sie oft in Vorträgen erlebt. Sie sind ein sehr guter Prof.“

„Es ist ein gutes Gefühl, morgen keine Vorlesung mehr zu halten“, kommentiert Dingermann selbst. Als einer der wenigen Gentechnologen, die auch Apotheker sind, hatte er ab 1991 einen Lehrauftrag als C4-Professor für die Pharmazeutische Biologie. Die Studenten kannten ihn im Grundstudium von der Genetik-, Immunologie- oder Biochemie-Vorlesung. „Ich habe gerne Grundlagen gelehrt“, sagt Dingermann.

Das Grundstudium bedeute „klassisches Lehrbuchwissen“, was mit der Pharmazie nicht unbedingt viel zu tun habe. Deshalb sei die Lehre im Hauptstudium für viele Kollegen attraktiver. Dingermann sagt, dass die Lehre am Anfang des Studiums schwieriger und anspruchsvoller sei. Die Studenten kämen aus unterschiedlichen Gymnasien und hätten dementsprechend eine unterschiedliche Vorbildung. Hochschullehrer hätten es in den ersten Semestern mit einer „heterogenen Gruppe“ zu tun, die es zu vereinheitlichen gelte.

1948 im nordrhein-westfälischen Kevelaer geboren, studierte Dingermann von 1973 bis 1976 in Erlangen, wo er nach seiner Approbation promovierte. Nach einem Forschungsaufenthalt in den USA habilierte er in Erlangen in den Fächern Biochemie und Molekularbiologie. Seit 1987 unterrichtet er Studenten, 1990 wurde er als C4-Professor der Pharmazeutische Biologie an die Goethe-Universität in Frankfurt am Main berufen. Seit seiner Emeritierung 2013 war er dort als Seniorprofessor tätig. Dingermann war die Jahre danach Vize-Präsident und Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG).

Seine Forschungsarbeit und Lehre wurde von zahlreichen Stiftungen und Gesellschaften gewürdigt. So erhielt er unter anderem 2007 den 1822-Universitätspreis für exzellente Lehre, 2009 wurde er zum Professor des Jahres gewählt und 2010 mit der Carl-Mannich-Medaille der DPhG ausgezeichnet. Dingermann ist Mitglied der Arzneibuch-Kommission beim BfArM, des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesapothekerkammer, wo er auch seit 2009 Sprecher ist. Außerdem ist er Mitglied in der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker sowie im Hessischen Technologiebeirat und betreut verschiedene Fachzeitschriften.

26 Jahre Erfahrung in der Hochschullehre weist Dingermann vor. Eine lange Zeit, in der die Praxisrelevanz zugenommen hat. Im Hauptstudium lehrte der Experte moderne Tumortherapeutika mit dem Fokus auf gentechnisch hergestellte Arzneimittel. „Früher war dieses Wissen nicht praxisrelavant“, so Dingermann. Dagegen würden Pharmazeuten heute diesen Arzneistoffe in der Apotheke auch begegnen. Dazu gehörten beispielsweise Insuline und Hormone. „Das sind beratungsbedürftige Arzneimittel“, so der 69-Jährige. Die Patienten seien schwer krank und bräuchten Hilfe vom Experten. Die angehenden Apotheker seien darauf gut vorbereitet: „Die Studenten von heute wissen viel.“

Seine Leidenschaft, Anderen was beizubringen, spiegelte sich auch in Prüfungssituationen wider. Dingermann war bekannt für seine kreativen Fragen und seine Art zu lehren. „Früher wurden zehn Synthesen für einen Wirkstoff abgefragt“, sagt Dingermann, der diese Methode für überholt hält. „Das kann man doch nachlesen.“ Seine Studenten gingen mit einem Laptop in das Staatsexamen, was bei seinen Kollegen auch für Kritik sorgte. Gemeinsam mit Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz gelang es ihm, sich gegen das Establishment durchzusetzen und Frankfurt als Standort für die Pharmazie zu profilieren.

„Meine Fragen konnte man ohne PC nicht beantworten“, sagt er. Viel mehr als Auswendiglernen lag ihm am Herzen, den Studenten das Generieren von Wissen beizubringen. Dazu gehöre auch das Recherchieren und das Abtauchen in ein neues Wissensgebiet. „Lehren vor dem Lehrbuch“ hieß sein Motto. Das sei vor allem bei dem heutigen Stand der Wissenschaft und Technik notwendig, denn die Menschen „verfügen Wissen in den Fingerspitzen“.

Die Entwicklungen im technischen und medizinisch-pharmazeutischen Bereich führten auch zu einem veränderten Anspruch der Studenten. „Wir stehen vor großen Umbrüchen“, sagt Dingermann, der die Analyse des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden (BPhD) zum Thema Entrümpelung des Studiums sehr interessant findet. Auch wenn es kompliziert erscheine, gebe es „gewaltige“ Freiräume in der Approbationsordnung (AAppO), die man mehr nutzen könne, um das Studium moderner zu gestalten.

Zum Beispiel könnten im Hinblick auf das Fach Systematik die abgefragten Arzneipflanzen auf die pharmazeutisch relevanten reduziert werden. Allerdings müsse auch das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) dies berücksichtigen. Veränderungen der Hochschullehre führten allerdings zwangsweise dazu, dass das Pharmaziestudium nicht mehr bundesweit einheitlich wird. „Universitäten werden sich mit Schwerpunkten profilieren“, sagt Dingermann.

Das Studium empfindet Dingermann als spannend, weil man breit ausgebildet werde und in verschiedenen Gebieten aktiv werden könne. Den angehenden Apothekern rät er, offen für die vielfältigen Möglichkeiten der Pharmazie zu sein. Vor allem sollten Studenten positiv an das Studium und an den Beruf herangehen. „Für mich ist Pharmazie trotz Politik ein Traumjob.“

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