Lauterbachs Spargesetz: Pharmaindustrie ist außer sich Patrick Hollstein, 16.03.2022 09:42 Uhr
Noch stärker als die Apotheken treffen die geplanten Sparmaßnahmen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Hersteller. Die im Entwurf des GKV-Finanzierungsgesetzes vorgesehenen Kostendämpfungen kämen zur absoluten Unzeit, so der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Und auch BAH, vfa und Pro Generika warnen vor verheerenden Folgen.
„Gerade in der aktuellen Situation, in der wir es mit massiven Lieferschwierigkeiten zu tun haben, dringend auf die Entwicklung von neuen Medikamenten angewiesen sind und zusätzlich noch die Versorgungsschwierigkeiten durch den Ukrainekrieg haben, ist jede weitere Belastung nicht zu verantworten“, so der BPI-Vorsitzende Dr. Hans Georg Feldmeier.
Schon jetzt nehme das Zusammenspiel von verschiedenen regulatorischen Eingriffen wie Abschlägen, Festbeträgen und Rabatten den Herstellern immer mehr die Möglichkeiten, die wachsende Zahl an Aufgaben und Ausgaben refinanzieren zu können. Und das in einer anhaltenden Pandemie, die täglich deutlich zeige, wie wichtig Forschung, Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln in allen Bereichen ist, so Feldmeier.
„Dass unter diesen Vorzeichen jetzt auch noch das seit 2009 geltende Preismoratorium verlängert werden soll, obwohl in anderen Industriezweigen gerade aufgrund der explodierenden Energie- und Transportkosten Entlastungen geplant sind, ist nicht nachvollziehbar. Wir sind die einzige Branche, die Kostensteigerungen nicht weitergeben kann und das ist eine unhaltbare Situation.“
Arzneimittel nicht entscheidender Kostenfaktor
Selbst in der Hochphase der Pandemie habe die einheimische Pharmaindustrie Lücken bei globalen Lieferstopps geschlossen und die Versorgung gesichert, so Feldmeier. „Da waren wir der Politik offenbar gut genug, aber das wird schnell wieder vergessen! Ich weise darauf hin, dass die Arzneimittel nach Steuern und Handelsstufen nur rund 11 Prozent der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausmachen, sie also nicht der entscheidende Kostenfaktor im System sind. Außerdem sparen die Krankenkassen allein durch Rabattverträge mittlerweile jährlich rund fünf Milliarden Euro ein“, so Feldmeier. „Dazu kommen Einsparungen von jährlich rund 1,4 Milliarden Euro durch Zwangsabschläge und von rund 8 Milliarden Euro durch die seit 30 Jahren geltenden Festbeträge. Und nicht zu vergessen das AMNOG, durch das allein in 2021über 4,7 Milliarden Euro eingespart wurden.“
Vor diesem Hintergrund hält der BPI-Vorsitzende auch die im Gesetzentwurf geplante Geltung des AMNOG-Erstattungspreises ab dem siebten Monat oder die Aufweichung des Orphan Drug Status für fatale Signale: „Neue Arzneimittel müssen in Deutschland weiterhin schnell verfügbar sein. Die aktuelle Corona-Krise belegt, wie wichtig dafür ein innovationsoffenes System ist. Anstatt gerade an diesem neuralgischen Punkt zu kürzen, sollte der Minister zunächst einen Vorschlag machen, wie wir unsere Arzneimittelversorgung gerade vor dem Hintergrund der instabilen Lieferketten weltweit und auch den stark steigenden Kosten für Forschung, Entwicklung und Produktion sichern können.“
Die Herausforderungen in der Versorgung und sichere Lieferketten werde man nur erreichen, wenn es dafür verlässliche Rahmenbedingungen und auskömmliche Preise für alle Arzneimitteltherapien gebe, so Feldmeier. „Deutschland braucht eine unabhängige Arzneimittelversorgung. Und dafür braucht es eine leistungsstarke Arzneimittelproduktion in Deutschland und der EU. Kritische Infrastruktur darf nicht kaputt gemacht werden. Die mangelnde Finanzierung der Verteidigung und die teilweise naive Energieversorgung zeigen uns aktuell, wie ernst man kritische Infrastruktur nehmen muss.“
Ähnlich argumentiert der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH): Die Industrie leiste bereits heute durch Rabattverträge, Abschläge und Festbeträge erhebliche Sparbeiträge zugunsten der Krankenkassen. Zudem würden die Hersteller durch gestiegene Produktionskosten, etwa infolge von höheren Energie-, Logistik- und Wirkstoffkosten, enorm belastet. „Dass das Bundesministerium für Gesundheit nun fast eine Verdreifachung des Herstellerabschlags vorsieht, ist völlig inakzeptabel. Viele mittelständische Unternehmen werden dies nicht verkraften können“, so Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Cranz.
Die Verlängerung des mittlerweile seit 2009 geltenden Preismoratoriums komme einer Preissperre bis zum Jahr 2026 gleich – obwohl sich die Produktionskosten unter anderem aufgrund gestiegener Einkaufspreise und Energiekosten seitdem stark erhöht hätten. Zwar gebe es seit Juli 2018 einen Inflationsausgleich, dieser könne die deutlich gestiegenen Produktionskosten jedoch nur im Ansatz ausgleichen. „Die geplante Verlängerung des Preismoratoriums verschärft ohnehin schon angespannte Situation für die Hersteller und die Arzneimittelversorgung. Denn wenn für Unternehmen eine kostendeckende Produktion nicht mehr möglich ist, müssen sie das Produkt aus dem Markt ausnehmen. Für Patientinnen und Patienten gehen dann wertvolle Therapieoptionen verloren“, so Cranz.
Darüber hinaus verhindere das Preismoratorium die Weiterentwicklung von bekannten Substanzen, wie neue oder altersgerechte Darreichungsformen. „Somit steht das Preismoratorium dem politischen Wunsch nach Stärkung des Standorts Deutschland fundamental entgegen.“
Zu den geplanten Änderungen bei der Nutzenbewertung sagt Cranz: „Das AMNOG hat sich in den vergangenen zehn Jahren trotz einiger Schwächen bewährt. Sollten die Eckpunkte so in Kraft treten, würde das die Attraktivität Deutschlands als Markt für innovative Arzneimittel mindern. Zu befürchten ist, dass neue Therapieoptionen nicht mehr oder erst verspätet Patientinnen und Patienten in Deutschland zur Verfügung stehen.“
Sein Fazit: Der nun bekannt gewordene Entwurf für ein GKV-Finanzierungsgesetz bedeute eine „enorme Belastung für die Arzneimittel-Hersteller und für den Pharmastandort Deutschland“. Damit gefährde er die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele, Patientinnen und Patienten mit innovativen Arzneimitteln zu versorgen und Deutschland als Pharmastandort zu stärken. „Um dies zu ermöglichen, wären hingegen finanzielle, regulatorische und bürokratische Entlastungen für die Hersteller notwendig.“
Pro Generika und die AG Pro Biosimilars sehen die Versorgungssicherheit in Gefahr: „Die Entscheidung das Preismoratorium beizubehalten, finde ich fatal. Denn die Tatsache, dass die Preise für Arzneimittel auf dem Niveau von 2009 festgefroren sind, ist einer der Gründe, warum es immer wieder zu Engpässen kommt“, so Vorstandschef Peter Stenico.
Gleichzeitig warnt Stenico vor einem unbeabsichtigten Kollateralschaden, den die Absenkung der Mehrwertsteuer mit sich bringen könnte. Denn: „Einige Rabattverträge sind so gestaltet, dass Generikaunternehmen Rabattzahlungen an die Krankenkassen steuerlich geltend machen können. Sinkt nun die Umsatzsteuer von 19 auf 7 Prozent, drohen den Unternehmen massive Mindereinnahmen durch eine entsprechend verringerte Steuererstattung. Dies wird dazu führen, dass Rabattverträge für die Unternehmen unwirtschaftlich werden können. Sie müssten dann ihre Lieferverpflichtung erfüllen und dabei sogar noch draufzahlen. Es gilt also sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt. “
Mit Blick auf Biosimilars sagt Stenico: „Auch beim Zwangsrabatt tritt ein Effekt ein, der vermutlich nicht beabsichtigt ist. Denn die Anhebung desselben trifft mit den Biosimilar-Unternehmen eindeutig die falschen. Biosimilars sorgen bereits jetzt dafür, dass mehr Patient:innen gut versorgt werden können, dabei aber die Kosten der Krankenkassen nicht steigen, sondern sinken.“
Vfa: Imagegewinn in Investorenszene beendet
Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), sprach von einem „verheerenden Signal“ an die internationale Investorenszene. „Wem politisch zu einer dynamischen Innovationsbranche wie unserer nichts anderes einfällt als Pauschalstrafen aus der Verwaltungsmottenkiste zu verhängen, steht für vieles. Aber nicht für Aufbruch!“
Der deutsche Pharmastandort habe durch die Technologieführerschaft bei mRNA nicht nur weltweite Aufmerksamkeit erfahren. „Er hat sich im beinharten globalen Wettbewerb mit an die Spitze setzen können. So eine Chance aufzuholen und andere zu überholen, ergibt sich im internationalen Standortmarathon nicht alle Tage. Die geplante Erhöhung des Zwangsrabattes für moderne Medikamente beendet diesen Imagegewinn innerhalb der internationalen Investorenszene. Der deutschen Politik muss klar sein, dass Länder wie die USA, Frankreich oder China gerade massiv auf die Pharmaindustrie als Leitbranche setzen, die dort wachsen soll“, so Steutel weiter.
Sein Fazit ist klar: „Wir werden gerade ohne Grund über die Klippe des globalen Wettbewerbs geschoben! Denn wir sollen jetzt mehr Geld in die gesetzliche Krankenversicherung einspeisen, obwohl unser Anteil an den GKV-Ausgaben in den letzten zehn Jahren immer stabil um die 16 Prozent lag. Mit anderen Worten: Wir haben überhaupt kein Kostenproblem verursacht.“