Ob die Ampel denn eigentlich keine drängenderen Probleme habe als die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken, wollte ein Journalist am Mittwoch in der Bundespressekonferenz wissen, wo Cem Özdemir und Karl Lauterbach ihre neuen Eckpunkte zur Freigabe präsentierten. Doch, die gebe es, antwortete der Agrarminister von den Grünen mit seinem typischen bewegten Mimikspiel: Aber man könne ja das Eine tun ohne das Andere zu lassen. Genau in diesem Moment kam dem Gesundheitsminister neben ihm die zündende Idee.
Es läuft nicht gut für Lauterbach. Wurde er nach der Bundestagswahl noch als Gesundheitsminister der Herzen gefeiert und quasi basis- und umfragedemokratisch ins Amt gehievt, stauen sich seit einiger Zeit die Probleme. Corona ist abgehakt, das E-Rezept verschoben, die Krankenhausreform an eine Expertenkommission outgesourct. So weit, so gut. Aber Cannabis und Lieferengpässe erweisen sich als derart dicke Bretter, dass ihnen mit Ankündigungen alleine offenbar nicht beizukommen ist.
Beispiel Cannabis. Die im Koalitionsvertrag versprochene Freigabe trägt zwar eindeutig die Handschrift der Grünen, während die FDP vor allem eine fiskalische Facette im Auge gehabt haben dürfte. Aber als Gesundheitsminister ist Lauterbach nun einmal in der Pflicht, die äußerst komplizierte gesetzliche Umsetzung zu liefern. Dass die Pläne nach „sehr guten Gesprächen“ mit der EU-Kommission zwar noch nicht gleich beerdigt, aber immerhin deutlich abgespeckt werden mussten, ist für Lauterbach daher doppelt frustrierend: Immerhin geht es ihm um nicht weniger als „Pionierarbeit für eine neue Drogenpolitik in ganz Europa“.
Bevor kommerzielle Lieferstrukturen aufgebaut werden können, muss der Minister also erst einmal den Nachweis erbringen, dass sich durch die Freigabe der Schwarzmarkt austrocknen und die Risiken von Überdosierungen und Beimengungen minimieren lassen. Während regionale Modellvorhaben begrenzt sind und eng wissenschaftlich begleitet werden müssen, sollen gemeinnützige Vereine in dieser ersten Phase von CARe („Club Anbau & Regional-Modell“) die Versorgung übernehmen. Vereine, bei denen man sich erstens eintragen und zweitens engagieren muss, was Doppelmitgliedschaften, Hamsterkäufe und damit Ungleichverteilungen sowie Schwarz- und Graumarktphänomene ausschließen soll.
Moment mal! Wäre das nicht auch die ideale Blaupause im Kampf gegen Lieferengpässe? CARe wie „Club Apotheke & Regional-Modell“. Liefersicherheit durch Apothekenvereine (respektive Vereinsapotheken), Patientensicherheit durch Kundenmitgliedschaften. Klingt das nicht nach „Pionierarbeit gegen die Arzneimittelengpässe in Deutschland und ganz Europa“? Die vielen Monate, die in die ersten und zweiten Eckpunkte zu Cannabis investiert wurden, sollen nicht umsonst gewesen sein!
Apotheken werden also nach den neuen Plänen aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), die schon in der kommenden Woche eckpunktehalber in der Bundespressekonferenz präsentiert werden sollen, in ihrer Rechtsform von e.K. in e.V. überführt. Als Patientin oder Patient kann man nur in einem Apothekenverein Mitglied werden, und zwar nur als natürliche Personen über 60 Jahren, die mindestens ein Medikament dauerhaft und maximal drei Akutpräparate pro Jahr einnimmt, die allesamt in den vergangenen zwölf Monaten für mindestens drei Tage auf der Liste des BfArM standen.
Durch die Maßnahmen sollen die Polymedikation ausgetrocknet und der Besitz von mehreren Kundenkarten in verschiedenen Apotheken zurückgedrängt werden. Besonders Senioren sind aufgrund ihres Alters anfällig dafür. Gleichzeitig sollen jüngere Menschen, obwohl sie selbst noch keine Mitglieder werden können, dem Einfluss der Pharmaindustrie entzogen werden: Als potenzielle Rx-Konsumenten würden sie bislang durch OTC-Präparate und Nahrungsergänzungsmittel regelrecht „angefixt“ – dank der späteren Mitgliedschaft im höheren Lebensalter fällt dieser Anreiz weg.
Satzungszweck muss die ordnungsgemäße und engpasslose Versorgung der Mitglieder mit Arzneimitteln sein, neben der Beschaffung von Fertigarzneimitteln im In- und Ausland kommt die Rezepturherstellung in Betracht. Die Mitglieder sollen möglichst aktiv in der Vereinigung mitwirken, sodass perspektivisch auch die Eigenproduktion im häuslichen Umfeld ermöglicht wird. Verboten werden soll auch die Bevorratung in weit entfernten Apotheken – wer nicht selbst Mitglied in einem Mediclub ist oder sein kann, muss sich beim Erwerb etwa von Fieber- oder Antibiotikasäften oder anderen versorgungskritischen Präparaten mit seinem Ausweis identifizieren und seinen Anspruch schriftlich darlegen.
Eine Gewinnerzielungsabsicht ist ausgeschlossen, entsprechend muss mindestens ein Kassenvertreter im Beirat vertreten sein. Er berät den Verein auch in Erstattungs- und Abrechnungsfragen. Mindestens ein Vorstandsmitglied muss eine abgeschlossene pharmazeutische Ausbildung nachweisen können, für diese Person gilt die uneingeschränkte persönliche Haftung.
Die Zuzahlung wird in den Mitgliedsbeitrag überführt, der die Selbstkosten abdeckt und gestaffelt nach der Inanspruchnahme berechnet wird. Die Anwendung der Arzneimitteln in den Räumlichkeiten der Vereinigung ist ebenso verboten wie der öffentliche Konsum nahe Schulen, Kitas oder ähnlichem sowie in Fußgängerzonen bis 20 Uhr.
Gesundheitsminister Lauterbach sagte, Lieferengpässe und Versorgungsprobleme könne man nicht länger hinnehmen: „Deswegen wagen wir die kontrollierte Abgabe von Arzneimitteln an Erwachsene in klaren Grenzen und drängen den Schwarzmarkt zurück, flankiert durch Präventionsmaßnahmen für Jugendliche.“ Der Gesundheitsschutz stehe dabei im Vordergrund. „Die bisherige Gesundheits- und Arzneimittelpolitik ist gescheitert. Jetzt müssen wir neue Wege gehen.“
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