Fachkräftemangel

Lasst mich in Rente gehen

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Berlin -

Leise flehen seine Lieder, aber sie werden nicht erhört. Apotheker Hermann Meyer aus Oelde im Münsterland ist jetzt 74 Jahre alt. Verständlich, dass man da ein bisschen Ruhestand genießen möchte. Er sucht dringend einen Übergangs-Apotheker, bis er in zwei Jahren sein Unternehmen in die perfekten Apothekerinnen-Hände legen kann.

Seit nunmehr sechs Jahren trägt sich Meyer mit dem Gedanken, ein bisschen kürzer zu treten. Aber der Fachkräftemangel lässt dies nicht zu. Er arbeitet gerne, blickt auf ein erfülltes, über 45-jähriges Apothekerleben zurück. Die „Meyers Apotheke“ wurde im Jahr 1951 gegründet: „Ich habe sie 1974 von meinem Vater übernommen.“

Die Gründe, warum es bisher nicht geklappt hat, einen passenden Nachfolger zu finden, sind vielfältig. Ursprünglich sollte seine Tochter die Apotheke übernehmen. Diese absolvierte das Pharmaziestudium, scheiterte leider am Staatsexamen. „Sie ist eigentlich mehr an ihren Ängsten als am fehlenden Wissen gescheitert“, sagt der Vater. Noch einmal anzutreten kommt für sie derzeit nicht in Frage. „Sie könnte bestenfalls als Putzfrau in der Apotheke arbeiten“, sagt Meyer. Und fordert das Überdenken der rechtlichen Bestimmungen. „Es wäre doch sinnvoll, wenn jemand, der am Staatsexamen scheitert als PTA arbeiten könnte. Einiges müsste entstaubt werden.“

Meyer ist keiner, der gerne wehleidig klagt. Gibt es ein Problem, wird es angepackt. Eine Lösung hat er meist im Köcher. So verlegte er zum Beispiel seine Apotheker vor 19 Jahren kurzerhand um 70 Meter. Alle Unternehmer-Freunde rieten entsetzt davon ab. Aber er wusste, dass eine Apotheke, die nach Verlegung am Anfang einer Fußgängerzone liegt, optimale wirtschaftliche Voraussetzungen haben würde. „Wir hatten lange Zeit eine hervorragende Lage, nahe am Bahnhof und an der Post.“ Doch dann wurde der Bahnhof zunehmend unbedeutend und man musste nicht mehr zwingend zur Post, um ein Paket aufzugeben. Seine Entscheidung stellte sich als richtig heraus. Heute kann er seinen Kunden beste Lage und auch ausreichend Parkplätze anbieten.

In Meyers Apotheke stimmt also alles: Ein freundliches Team, viele Stammkunden, exzellente Beratung, klingelnde Kasse. Wer hier als Apotheker anheuert, wird Zufriedenheit finden. „Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder Approbierte und einen Nachfolger gesucht“, erzählt er, „es haben sich auch immer wieder Kollegen aus der Umgebung interessiert gezeigt. Ich möchte allerdings aus Qualitätsgründen, dass die Apotheke nicht in einer Filialkette aufgeht.“

Patienten gewissenhaft und umfassend beraten, „zu 100 Prozent für die Kunden da sein“, bei schrägen Wünschen auch einmal selbstbewusst „Nein“ sagen. So stellt er sich die perfekte Apotheke vor. „Das ist eine Grundeinstellung von mir. Ich bin noch so ein Apotheker vom alten Schlag.“ Der Erfolg gibt seiner Philosophie Recht. Aber er weiß, dass nicht alle so denken: „Bei einigen Kollegen, die übernehmen wollten, ging es allein um den wirtschaftlichen Fortschritt, die hätten am liebsten zehn Apotheken als Kette.“ Für Meyer mehrfach ein Grund, Angebote abzulehnen. Hängt er doch an seinem Beruf, sodass er gerne Jahr um Jahr anhängte. Aber einmal später zum Dienst erscheinen, weil ein ausgiebiges Frühstück auch mal schön ist, eine größere Reise machen, das war bislang nicht drin. „Es wäre einfach gut, sich sagen zu können, heute bleibst du mal zu Hause.“

Zweieinhalb Jahre lang arbeitete eine Apothekerin aus der näheren Umgebung bei ihm, als in deren Heimatort eine Stelle frei wurde, beschloss sie, diese anzunehmen. Meyer stand also wieder am Anfang. Da erschien es ihm wie ein kleines Wunder, als eines Tages eine junge Apothekerin in seiner Offizin stand und höflich anfragte, ob hier eine Fachkraft gesucht werde. Und wie gesucht wurde.

Ein Glücksfall, beide verfolgen ähnliche hohe Ansprüche an den Beruf, man wurde handelseinig, sie sollte die Apotheke mittlerweile längst übernommen haben. Da kam das Leben dazwischen: „Im Februar stand sie vor mir und sagte, dass sie schwanger sei.“ Ein Grund zur Freude. Einerseits. Und für Meyer ein weiterer, jetzt noch zwei weitere Jahre zu warten. Denn an der Übereinkunft, die Apotheke zu übernehmen, hat sich nichts geändert. Der Zeitpunkt hat sich eben nur wieder einmal nach hinten verschoben. Meyer sucht nach wie vor. Jetzt eben für rund zwei Jahre. Danach will die junge Mutter voll einsteigen.

In Westfalen-Lippe herrscht derzeit ein bedrückendes Apothekensterben. Derzeit liegt die Zahl der Apotheken bei 1988, das ist der niedrigste Stand seit dem Jahr 1987. Fast ein Viertel der Apotheken sind Filialen. Der Hauptgrund für den Rückgang ist laut Apothekerkammer und Apothekerverband Westfalen-Lippe der vielbeklagte Nachwuchsmangel. Die Apotheker fordern deshalb kontinuierlich eine gebührenfreie PTA-Ausbildung und die Gründung einer medizinischen Fakultät an der Universität Bielefeld sowie ein pharmazeutisches Institut für die Region.

In einer Resolution an die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen haben die Apotheker in Westfalen-Lippe ihre Forderungen aufgelistet: Erhaltung der 16.000 Arbeitsplätze, die Landesregierung soll sich zum Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel bekennen.

Meyer würde den Beruf jederzeit wieder ergreifen und rät jungen Menschen, die Freude an Pharmazie haben, dies auch zu tun und sich nicht von den Problemen der Branche abschrecken zu lassen. Denn der Beruf, so betont er, sei wunderbar, die Selbständigkeit, wenn man sie richtig angehe, eine interessante Herausforderung. Seine optimistische Prognose lautet: „Der Beruf des Apothekers hat eine sehr gute Zukunft. Es wird auch in zehn, 20 oder hundert Jahren nicht ohne Apotheke gehen. Allerdings müssen die Weichen anders gestellt werden.“

So schlägt er eine zusätzliche Honorierung für Apotheker für Beratung vor. Gemeinsam mit den Ärzten müssten neue Wege begangen werden. „Der Apotheker wird immer mehr zum Arzneimittelfachmann“, führt er aus, „wir speichern jede Verordnung, behalten das bei Stammkunden schon jetzt im Auge. Die Systeme geben eine Warnung aus, wenn die unterschiedlichen Ärzte etwas verordnet haben, das gefährliche Wechselwirkungen hervorrufen kann.“ Angesichts der demographischen Zahlen ist das aus seiner Sicht ein neues, erfolgversprechendes Betätigungssegment.

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