Lange Haftstrafen für Apotheker-Bande Tobias Lau, 08.05.2018 15:00 Uhr
Das Berliner Landgericht hat die Mitglieder einer Rezeptfälscherbande um den Apotheker Klaus H. zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Pharmazeut die Krankenkassen zusammen mit seiner Lebensgefährtin Galya S. und mindestens drei weiteren Komplizen um 2,5 Millionen Euro betrogen hat.
Das Urteil ist keine Überraschung, alle Beschuldigten waren seit Prozessbeginn umfassend geständig. Bei der Urteilsverkündung hatte H. sich erneut entschuldigt, insbesondere bei seinem Sohn. Den wird er in Zukunft nur noch selten sehen: Fünf Jahre und zehn Monate Haft wegen Betruges und Urkundenfälschung lautet das Urteil gegen den 53-jährigen Apotheker aus Berlin. Seine Lebensgefährtin Galya S. erhielt vier Jahre und vier Monate, Andrija D. und Heiko O. drei Jahre beziehungsweise drei Jahre und vier Monate.
Glimpflich davongekommen ist der Mitangeklagte Rainer S., er erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten – weil er ein einziges gefälschtes Rezept für die Bande angenommen und Medikamente abgeholt hat. Auch er zeigte sich vor Gericht geständig und reuig, betonte aber auch, sich akut bedroht gefühlt zu haben. Die 200 Euro Provision, die ihm die Rezeptfälscher versprochen haben sollen, hat er nach eigenen Angaben nie gesehen. „Es war ein großer Fehler, da mitzumachen“, so S. bereits am ersten Verhandlungstag.
Der sechste Angeklagte, Edin S., muss noch auf sein Urteil warten. Ihm wird vorgeworfen, die gefälschten Rezepte mit Patientendaten, die einem Mitarbeiter einer Apotheke in Berlin-Mariendorf abgekauft wurden, besorgt zu haben. Sein Verfahren wurde jedoch wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustandes abgetrennt – mehrere Prozesstage begannen verspätet, weil Zweifel an seiner Verhandlungsfähigkeit bestanden. Einer ihn behandelnden Psychiaterin zufolge leidet er unter „hochgradigen Depressionen“, vor Gericht klagte er regelmäßig über Atemnot und Druckschmerzen in der Brust.
Auch die erste Sitzung des abgetrennten Prozesses gegen ihn musste kurz nach Beginn abgebrochen werden: Beim Verlesen der Anklage brach S. zusammen und wurde mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Krankenhaus gebracht. Der Psychiaterin zufolge hält er maximal zwei Verhandlungstage pro Woche mit einer Dauer von höchstens drei Stunden durch. Die Urteile der anderen Angeklagten sind noch nicht rechtskräftig: Die Anwälte von vier Tätern haben Revision eingelegt, bei Rainer S. will die Staatsanwaltschaft in die nächste Instanz, weil sie mit der Berechnung des sogenannten Wertersatzes nicht einverstanden ist. In den nächsten Monaten wird sich deshalb auch der Bundesgerichtshof mit dem Fall befassen müssen.
Die Bande um den Apotheker Klaus H. steht seit Februar wegen banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung und Betrug in 125 Fällen vor Gericht. Hinzu kommt noch versuchter Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Nachdem der Angeklagte Edin S. versucht haben soll, Klaus H. und Galya S. zu erpressen, hatte letztere zwei tschetschenische Schläger engagiert, die Edin S. die Beine brechen sollten. Er bekam Wind von der Sache und tauchte unter.
Klaus H. hatte in Berlin zeitweise mehrere Apotheken betrieben, musste die letzte jedoch 2010 schließen. Die Entscheidung, Geld mit gefälschten Rezepten für hochpreisige Rx-Medikamente zu machen, fällte er nach eigenen Angaben aufgrund seiner schweren wirtschaftlichen Lage. 15.000 Euro war der Durchschnittswert der Rezepte, die Edin S. von einem bisher unbekannten Mittäter hat fälschen lassen – mit Daten, die er einem Apothekenmitarbeiter in Berlin-Mariendorf abgekauft hatte.
Die gefälschten Rezepte wurden dann mit Hilfe zweier Apotheker mit Großhandelslizenz – die in anderen Verfahren angeklagt sind – zu Geld gemacht. Dazu gab es mehrere Möglichkeiten: Oft haben Strohmänner die Rezepte in einer nicht eingeweihten, aber gutgläubigen Apotheke eingereicht und die Medikamente erhalten; nur gelegentlich scheiterte diese Masche. H. verkaufte die Medikamente dann an zwei eingeweihte Apotheker zum Großhandelspreis und machte dabei eine sogenannte „Kickback-Zahlung“ von 30 Prozent aus. Das heißt, er ließ den Großhandelspreis überweisen, ging zum Bankschalter, hob 30 Prozent des eingegangenen Geldes ab und gab es dem Apotheker in bar. War Edin S. derjenige, der den Stein ins Rollen brachte, so war es einer der beiden eingeweihten Apotheker, „der das Ganze am Laufen gehalten hat“, so Klaus H. vor Gericht.
Oft habe dieser die gefälschten Rezepte auch selbst angenommen, die Medikamente bestellt und die Rezepte dann zum Abrechnungszentrum geschickt. Die Krankenkassen wiederum hätten diese wohl nie geprüft, zumindest habe der Apotheker niemals eine Retaxation erhalten. „Das hat ihn selber gewundert“, so Klaus H. in seiner Einlassung. Nur einmal sei eine Nachfrage der AOK gekommen, aber da habe er „sich rausgeredet, dass er das Rezept gutgläubig angenommen hat“. Die Medikamente habe er dann an Großhändler wie Noweda oder Gehe weiterverkauft und sie als Verbands- oder sonstiges Material ausgewiesen, damit seine Bücher stimmen.
Vor allem Klaus H. hat während des Prozesses schwere Vorwürfe gegen eine Reihe von Berliner Apothekeninhabern erhoben. Allein in der Anklageschrift wurden mehrere Dutzend Apotheken genannt, in denen die gefälschten Rezepte eingelöst wurden. Einige von ihnen sollen eingeweihte Komplizen gewesen sein, andere wiederum durch mangelnde Sorgfalt auf Fälschungen hereingefallen sein. Auch auf sie könnten schlechte Nachrichten zukommen: Kann einer Apotheke nachgewiesen werden, dass sie die Fälschung hätte erkennen müssen, drohen tausende Euro schwere Retaxationen von den Krankenkassen.