Kundenschwund: Mit Flyern gegen leere Apotheken Lothar Klein, 02.07.2020 14:47 Uhr
Volle Strände, leere Apotheken und Arztpraxen – auf diese Kurzformel lässt sich die augenblickliche Lage zusammenfassen. In den Apotheken macht sich die Sorge breit, dass die wirtschaftliche Erholung nach Corona-Boom im März und anschließenden Einbruch ausbleibt. Ein Indikator für das Ausmaß der Besorgnis ist der Run von vielen Apotheken auf Marketingaktivitäten. So verzeichnet MAK-Geschäftsführer Ulrich Kiesow derzeit einen extremen Nachfrageboom nach Flyern und anderen Werbemitteln zur Steigerung der Kundenfrequenz.
Im Zeitraum Januar bis Juni 2020 stieg die Zahl der Anfragen nach MAK-Produkten laut Kiesow um 53 Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Kiesow: „Im Juni 2020 hatten wir sogar 135 Prozent mehr Anfragen als im Juni des Vorjahres, also mehr als das Doppelte.“ Zu etwa zwei Drittel waren es Anfragen zu Maßnahmen der Steigerung von Kundenfrequenz, rund ein Drittel der Apotheker haben Maßnahmen zur Kundenbindung nachgefragt. Kiesow: „Nach einem starken ersten Quartal berichten Apothekeninhaber bundesweit im Mai nun von einem deutlichen Rückgang ihrer Umsätze, vor allem infolge einer sinkenden Anzahl von Rezepteinreichungen. Die Gründe hierfür, angefangen von teils stark zurückgegangen Patientenzahlen in den Arztpraxen in ganz Deutschland, werden breit diskutiert, eine Erholung von dieser Entwicklung scheint jedoch nicht in Sicht.“
Kiesows Einschätzung bestätigen Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen: Die Fallzahlen bei den niedergelassenen Ärzten in Hessen sanken zwischen Januar und März um bis zu 30 Prozent. Das zweite Quartal zeige einen ähnlichen Trend, so die KV. Das gelte auch für die Krankenhäuser, erklärte die Hessische Krankenhausgesellschaft. KV-Vorstandschef Frank Dastych sagte, selbst Menschen mit Schmerzen oder ernsthaften Erkrankungen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen hielten sich derzeit fern. Und die wenigen Covid-19-Patienten, die es derzeit gebe, würden in eigenen Sprechstunden oder speziellen Schwerpunkt-Praxen behandelt. Hessen Krankenhäuser sind statt üblich mit 85 Prozent derzeit nur mit 60 Prozent ausgelastet. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) in Hessen hat bereits an die Patienten appelliert, wichtige Vorsorgetermine und Impfungen wahrzunehmen.
Ob und wann die Patientenzahlen in Praxen und Apotheken sich wieder normalisieren, ist nicht absehbar. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht zwar eine leichte Normalisierung, aber konkrete Zahlen gibt es noch nicht. Kiesow jedenfalls ist skeptisch: „Darüber hinaus werden die Sensibilisierung der Bevölkerung für Fragen der Hygiene sowie die Maskenpflicht in Handel und öffentlichem Personenverkehr nach Meinung von Experten dazu führen, dass die Grippewelle 2020/2021 sehr viel schwächer ausfallen wird als in den Vorjahren. Dies wird einen weiteren signifikanten Umsatzrückgang bei den Vor-Ort-Apotheken zur Folge haben.“ Fällt die nächste Erklärungssaison tatsächlich aus, müssten die Apotheken weitere Einbußen einstecken.
Den Nachfrageboom nach seinen Marketingprodukten erklärt sich der MAK-Geschäftsführer auch mit der Sorge der Apotheker vor der Konkurrenz des Arzneimittelversandhandels. So erwarte Walter Oberhänsli, Chef von Zur Rose und DocMorris, einen „Corona-Effekt“, der die Verlagerung von offline zu online beschleunige. Die Corona-Krise sei für Zur Rose, so Oberhänsli, „eine einzigartige Gelegenheit, zum Katalysator für das Geschäftsmodell zu werden“. Kiesow: „Vonseiten der Versandapotheken wird also gerade jetzt alles dafür getan werden, den Markt auf breiter Front aufzurollen, auch in Vorbereitung auf das e-Rezept.“ Seine Kunden versuchten mit verstärkten Marketing-Aktivitäten gegenzuhalten, so Kiesow und sich ins Blickfeld potenzieller Kunden zu rücken.
Ob das gelingt, bleibt vorerst abzuwarten. Die Zahlen des DAV bieten allerdings keinen Anlass zu Optimismus: Denn die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen sind im Mai mit 5,6 Prozent noch stärker gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen als im April. Und schlimmer noch: Die Zahl der abgegebenen Packungen sank noch deutlicher – um satte 17 Prozent. Das schlägt unmittelbar auf das Apothekenhonorar durch. Und für Juni ist nach ersten Prognosen keine Besserung in Sicht.