Eine generelle Impfpflicht wird es vorerst nicht geben, aber in bestimmten Bereichen des Gesundheitswesens gilt sie bereits. Ausnahmen gibt es für Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Eine „Impfunfähigkeitsbescheinigungen“, die ohne ärztliche Untersuchung aus dem Internet heruntergeladen wurde, reicht aber nicht aus und rechtfertigt aus Sicht des Arbeitsgerichts Lübeck sogar eine Kündigung.
Eine Klinik in Lübeck hatte bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht von den Mitarbeiter:innen ein Impf- beziehungsweise Genesenenzertifikat verlangt, alternativ ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis. Eine seit 2001 dort beschäftigte Krankenschwester hatte daraufhin eine Bescheinigung über eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit vorgelegt, ausgestellt von der Ärztin Dr. Marianne M. aus Süddeutschland. Die Bescheinigung hatte sie über die Plattform „Nachweis-Express“ (später: l“iberation-express) des Unternehmers Markus Bönig gekauft und ausgedruckt. Eine – sei es digitale – Besprechung mit der Ärztin hat laut Gericht nicht stattgefunden.
Die Klinik informierte daraufhin das Gesundheitsamt und kündigte der Krankenschwester im Januar fristlos, hilfsweise ordentlich zu Ende Juli. Dagegen klagte die Angestellte vor dem Arbeitsgericht. Aus ihrer Sicht war die Bescheinigung nicht zu beanstanden, weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen daher unangemessen. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen.
Doch das Arbeitsgericht erklärte die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der geltenden Kündigungsfrist „aufgrund des Fehlverhaltens der Klägerin“ für „sozial gerechtfertigt und damit wirksam“. Die fristlose Kündigung sei dagegen angesichts der sehr langen Betriebszugehörigkeit unverhältnismäßig.
Laut dem Arbeitsgericht stellt die Vorlage einer „vorgefertigten ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung“ ohne vorher erfolgte Untersuchung „eine sehr schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar, die das Vertrauen in eine ungestörte weitere Zusammenarbeit auch ohne vorherige Abmahnung zerstört“. Es hätte der Krankenschwester klar sein müssen, dass die vorgelegte Bescheinigung zwar bei der Klinik den Anschein eines ärztlichen Zeugnisses erwecken würde, aber in Wahrheit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhte. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor, die Entscheidung ist auch noch nicht rechtskräftig.
Unternehmer Bönig, der hinter der Plattform steht, hat gegenüber APOTHEKE ADHOC angekündigt, dass Berufung eingelegt wird. Für ihn ist dieser Fall – wie weitere ähnlich gelagerte – entscheidend, da das Geschäftsmodell der Bescheinigungen damit grundlegend in Frage gestellt wird. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass seine Firma die Prozesskosten der Gekündigten trägt. Dass die fristlose Kündigung abgewendet wurde und die Krankenschwester so noch bis Ende Juli Gehalt bezieht, wertet Bönig als Erfolg. Der Unternehmer findet, dass das Gericht sein eigenes Urteil verfälscht wiedergibt. Tatsächlich gehe es darum, dass die Klinikkette bundesweit versuche, Personalkosten zu reduzieren. In zwei anderen Verfahren seien Vergleiche geschlossenen worden.
Im Fall der bestätigten Kündigung „ hat die Richterin offensichtlich nicht verstanden, wie es überhaupt zu einer vorläufigen Impfunfähigkeit kommt“, schimpft Bönig. Alle Impfstoffe gegen Covid-19 verfügten nur über eine Notzulassung, die Verträglichkeit müsse also in jedem Einzelfall ermittelt werden. Laut einem von Bönig beauftragten Gutachten „ist somit zunächst einmal jeder Mensch impfunfähig“. Dafür bedürfe es gar keiner ärztlichen Untersuchung.
Deshalb ist Bönig auch überzeugt, dass sich das Urteil nicht auf sein Geschäftsmodell auswirkt. Liberation-Express, so der neue Name der Plattform, werde in Europa in elf Sprachen angeboten. In Deutschland allerdings derzeit nicht, wie ein roter Störer auf der Website verdeutlicht. Hintergrund ist laut Bönig eine einstweilige Verfügung, „die uns dazu zwang, die deutsche Webseite vorläufig zu deaktivieren“. Wie im parallel laufenden Prozess gegen die Wettbewerbszentrale setzt Bönig auf das Hauptsacheverfahren.
Aus Sicht der Wettbewerbszentrale ist das Ausstellen einer Impfunfähigkeits-Bescheinigung irreführend, ebenso die Werbung dafür. Denn es gehe gerade darum, gegenüber dem Arbeitergeber vorzutäuschen, eine Impfunfähigkeit sei bescheinigt worden. Bei einem von der Wettbewerbszentrale durchgeführten Test habe es jedoch niemals Kontakt zur ausstellenden Ärztin gegeben. Eine einstweilige Verfügung gegen die Firma hat die Wettbewerbszentrale erwirkt, der Fall geht jetzt ins Hauptsacheverfahren.
Darin geht die Wettbewerbszentrale nunmehr nicht nur gegen seine Firma, sondern auch gegen Bönig persönlich vor. Das ist bei einer GmbH eigentlich ungewöhnlich, aber die Wettbewerbszentrale hat offenbar den Verdacht, dass sich Bönig durch die ständige Neugründung von Gesellschaften mit derselben Aufgabe einer juristischen Verfolgung entziehen will. Die neueste Plattform heißt Heldentransfer und ist eine Arbeitsplatzvermittlung für ungeimpfte Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen.
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