Kommentar

Kritik zu Glaeskes Pillenfibel Alexander Müller, 12.10.2017 12:52 Uhr

Berlin - 

Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Hauptwerk. Jahrelang durfte Professor Dr. Gerd Glaeske nur in mehr oder weniger seriösen TV-Magazinen predigen, dass Kombi-Erkältungspräparate aus seiner Sicht großer Mist sind. Jetzt hat er zusammen mit anderen Experten das Kompendium „Medikamente im Test“ herausgebracht. Untertitel: 9000 Arzneimittel geprüft und bewertet. Doch das Ampelsystem für Rx- und OTC-Präparate ist selbst „wenig geeignet“, kommentiert Alexander Müller.

Vorab: Ich bin kein Arzneimittelexperte und kann mir also eine pharmazeutische Bewertung der Bewertungen nicht anmaßen. Das wäre aber ohnehin zu wenig nutze, es wäre einfach eine weitere Meinung. Ich kann aber den Ärger vieler Apotheker, mit denen ich über das Projekt gesprochen habe, nachvollziehen. Weil es selbst eine Anmaßung der Autoren ist, auf so verkürzende Weise in die Arzneimitteltherapie einzugreifen.

Wenn Stiftung Warentest den Daumen über ein Produkt hebt oder senkt, hat das in der Regel Einfluss auf den Markt. Deswegen reagieren die Hersteller oft auch recht hysterisch auf eine Mangelrüge von Test oder Öko-Test. Und getestet wird alles. Der aufgeklärte Verbraucher kann sich aktuell etwa darüber aufklären lassen, dass etliche Elektrorasierer bei längeren Stoppeln schwächeln und ein Gerät mit einem starken Akku bis zu 34 Rasuren schafft – „abhängig von der Stärke des Bartes“.

Dieses Relativieren bei einem so profanen Gerät wie einem Rasierer deutet auf die Schwierigkeit hin, die eine Bewertung von weniger profanen Produkten wie Arzneimitteln mit sich bringen kann. Es ist vollkommen legitim, Arzneimittel kritisch zu hinterfragen. Das gilt selbstverständlich auch für bereits zugelassene. Und ein Mittel ist auch nicht besonders gut oder wirksam, weil es oft verkauft wird, hier haben Werbung und Markenimage einen nicht zu leugnenden Einfluss auf die Nachfrage in der Offizin. Es gibt bestimmt bessere und schlechtere Präparate gegen bestimmte Leiden. Arzneimitteltherapie sollte in der Praxis aber mehr sein als evidenzbasiert. Mehr als eine Ampel.

Es kann sein, dass für einen Patienten von vier möglichen Therapievarianten drei Wirkstoffe nicht infrage kommen. In diesem Fall ist der andere Wirkstoff für diesen Patienten geeignet. Aber wie wird er sich fühlen, wenn Glaeske & Co. diesem Mittel eine rote Ampel vergeben. Da nützt es auch nichts, dass die Autoren diese Kategorie nur als „wenig geeignet“ abstrafen und noch eine zartgrüne Kategorie als vierte Farbe zwischenschalten. Das Bild der Ampel ist in den Köpfen der Verbraucher fest verankert und eindeutig – deshalb wurde es von den Test-Autoren auch verwendet.

Dabei lassen sich Experten – und das gilt vor allem in der Medizin – selten auf ein „Ja“ oder „Nein“ festnageln, sondern antworten in der Regel mit einem „Das kommt darauf an“. Und können das auf Nachfrage auch erklären. Solche Nachfragen lässt ein einzelnes Buch mit 9000 getesteten Medikamenten aber gerade nicht zu. Ich habe aus Neugier das Präparat nachgeschlagen, das mir zuletzt verordnet wurde. Es war rot. Die Erklärung hat mich nicht zufrieden gestellt.

Wenig hilfreich im Praxistest des Nachschlagewerks ist auch, dass gefühlt über jedem zweiten Absatz die Zwischenüberschrift steht: „Wichtig zu wissen.“ Oder dass die Autoren sich auf ungebräuchliche Schreibweisen wie „Parazetamol“ geeinigt haben.

Kranke Menschen sind mitunter verunsichert. Und sie sollten nicht mit einer lapidaren Ampel weiter verunsichert werden. Das mag bei einem Nasenspray noch egal sein, aber auch antivirale Arzneimittel kamen auf dem Prüfstand. Patienten sind nicht unmündig. Es gibt fraglos sehr informierte Betroffene, die der Glaeske-Fibel sogar mehrere Schritte voraus sind. Aber jemand, der so ein Arzneimittel zum ersten Mal verschrieben bekommt, könnte gegen seine Therapie aufgebracht werden – mit negativen Auswirkungen auf den Therapieerfolg, was sich in Studien übrigens ebenfalls belegen lässt. Hier wäre eine differenzierte Sensibilität angezeigt.

Glaeske findet, dass das Buch, das übrigens die Vorgänger „Handbuch Medikamente – Vom Arzt verordnet. Für Sie bewertet“ und „Handbuch Rezeptfreie Medikamente“ auf einem Drittel des Seitenumfangs vereint, „in keinem Haushalt fehlen sollte“. Es ist immerhin ein tröstlicher Gedanke, dass das sein frommer Wunsch bleiben wird. Denn die meisten Menschen werden weiter auf ihren Arzt und ihren Apotheker vertrauen.