ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Krisenintervention: Heilpraktiker rettet Apotheke

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Berlin -

Die einzig glücklichen Heilberufler:innen sind laut dem aktuellen Stimmungsbarometer der Stiftung Gesundheit die Heilpraktiker:innen. Doch die werden mitunter von der negativen Stimmung aus dem Fachkollegium richtig runtergezogen. Für einen Standesvertreter ist das Maß voll; er will das Team der Apotheke von gegenüber zurück auf den Pfad der Tugend führen – mit Folgen.

Heilpraktiker Horst hilft gern. Jeden Tag kämpft er in seiner Praxis gegen die Dunkelheit der modernen Zivilisation – mit Globuli, Osteopathie und einem unerschütterlichen Vertrauen in die Selbstheilungskraft des menschlichen Körpers. Am liebsten würde er eigenhändig Wirkstoffe potenzieren und sie mit einem zielgerichteten Schütteln gen Erdmittelpunkt auf eine höhere energetische Ebene führen. Doch dafür hat er weder die Zeit noch die Energie – denn Horst ist blockiert.

Seit Wochen empfängt er negative Schwingungen von der Apotheke gegenüber. Als er in der Mittagspause in seine 4,95-Euro-Biostulle beißt, hat er endgültig genug. Beim bloßen Betrachten des trostlosen Gebäudes zieht sich sein Herz zusammen – direkt unterhalb des Solarplexus, wo normalerweise nur Heilwärme und Dankbarkeit wohnen. Er muss handeln. Nach einem harten Tag voller Iridologie, Harmonisierungen und beseelter Patientengespräche macht er sich nach Feierabend gegen 15 Uhr auf den Weg ins Tal der Tränen.

Das graue Gebäude wirkt auf ihn wie ein energetisches Sperrgebiet, aus dem eine beklemmende Trostlosigkeit in seine Praxis hineinstrahlt, die selbst den resilientesten Menschen ins Schwanken bringt. Beim Betreten der Offizin trifft Horst nicht nur eine lange Warteschlange, sondern auch auf seine schlimmsten Befürchtungen: Die Gesichter hinter dem HV? Grau wie ungefiltertes Leitungswasser. Die Energie? Am Boden. Der Ausdruck in den Augen der Mitarbeitenden? Eine Mischung aus Zwang, Verzweiflung und zu viel Fortbildung. Als wäre die Apotheke ein Mahnmal für alles, was falsch läuft im Gesundheitssystem.

Bevor er überhaupt mit seiner Arbeit beginnen kann, wirft er sich schnell einige Globuli Murus Berlinensis C30 für innere Standhaftigkeit ein. Horst atmet tief durch und beginnt Klangschalen in jeder Himmelsrichtung aufzustellen, den Aromaöldiffuser vom letzten Aktionstag mit einer eigenen Harmonie-Mischung zu befüllen und den Menschen in der Warteschlange – die schließlich auch von der Negativität betroffen sind – seine Nosoden aus Eigenherstellung anzudrehen.

Als er dann ein Räucherbündel Salbei anzünden will, aber am Streichholz scheitert, spricht ihn eine PTA vom HV aus an, was er denn da gerade machen würde. Doch Horst lässt sich nicht beirren und spricht innerlich schon ein Mantra gegen innerbetriebliche Blockaden. Die PTA deutet ihrer Apothekerin, sich um den irritierenden Herren zu kümmern, der den Verkaufsraum auf Trab hält. Doch die reagiert nicht sofort – sie ist gerade dabei die TI wieder zum Laufen zu bekommen und eine dringende Bestellung abzusetzen. „Ich bin gleich für Sie da, ich muss noch die Bestätigung…“

Horst seufzt innerlich: „Bestätigung“, wiederholt er kopfschüttelnd. „Sie suchen Bestätigung, aber sie müssen vertrauen und glauben!“ Der engagierte Heilpraktiker ist schockiert und drückt der verdutzten Fachkraft ein paar Räucherstäbchen in die Hand. Er will ihr gerade den Umgang erklären, als er von der Seite angesprochen wird. „Sie gehen jetzt besser“, fordert ihn die resolute PKA auf, die Horsts Klangschalen schon zur Hälfte wieder eingesammelt hat. Als der die etwas korpulente junge Frau betrachtet, fasst er sich nicht nur ein Herz, sondern auch über den HV; er drückt der perplexen wie wütenden PKA eine Flasche Schüssler Salz Nr. 7 in die Hand. „Magnesium Phosphoricum wirkt wahre Wunder bei Heißhungerattacken.“

Der jungen Frau reicht es – sie verweist Horst der Apotheke. Doch er geht nicht, ohne zuvor den Salbei anzuzünden und die Apotheke energetisch zu reinigen. Dabei springt jedoch der Rauchmelder an – und das Chaos ist perfekt. Doch nicht für Horst: Er hat den Stein des Anstoßes ins Rollen gebracht, um nicht nur dem Apothekenteam zu mehr Lebensfreude zu verhelfen, sondern auch sich selbst, damit er in Zukunft wieder ruhig in seiner Praxis arbeiten kann.

Während Heilpraktiker Horst für ganzheitliche Alternativen wirbt, plädiert Fitness-Bloggerin Sophia Thiel auf Instagram für das verschreibungspflichtiges Antihistaminikum Aerius. Derweil setzt Apotheker Dr. Hermann Vogel Jr. das Urteil des Bundesgerichtshofs um, dass Anbieter beim OTC-Verkauf über Plattformen wie Amazon eine ausdrückliche Einwilligung der Kund:innen zur Datenverarbeitung einholen müssen. Im Zuge dessen wurden bereits 40 Amazon-Apotheken abgemahnt. Doch auch im Rx-Bereich gab es in dieser Woche etwas Neues: Weil Rezeptfälschungen immer schwerer erkennbar sind, hat Apotheker Habib Chalhoub ein Tool entwickelt, mit dem sich die Lebenslange Arztnummer (LANR) in kurzer Zeit überprüfen lässt. Das Team der Uhlen-Apotheken aus Nadorst und Bürgerfelde in Oldenburg wollten derweil von Supermarktkunden wissen, ob es sie zur Vor-Ort-Apotheke oder zu den Versendern zieht – und warum.

Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen – schönes Wochenende!

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