In der Debatte um das Anti-Korruptionsgesetz hatte die AOK kritisiert, dass die Abgabe von Arzneimitteln ausgeklammert wird. Schließlich hätten die Apotheker maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl der Arzneimittel. In der Realität ist diese Auswahl wegen der Rabattverträge extrem begrenzt. Selbst das Instrument der „pharmazeutischen Bedenken“ wird von Kassen hinterfragt.
Derzeit erhalten Apotheken offenbar wieder verstärkt Retaxationen von der DAK Gesundheit wegen Nichteinhaltung der Rabattverträge. Beanstandet werden Rezepte, bei denen der Apotheker pharmazeutische Bedenken geltend gemacht hat, dies auf dem Rezept aber nicht näher begründet hat. Laut Rahmenvertrag muss dies zusätzlich zur Sonder-PZN geschehen.
In der Vergangenheit war die DAK dabei besonders streng und verlangte eine ausführliche Begründung. Die handschriftliche Wiederholung „pharmazeutische Bedenken“ reichte der Kasse nicht aus, es wurde auf Null retaxiert. Aus dem Kassenlager gab es an diesem Vorgehen Kritik.
In diesem Punkt hat die DAK eingelenkt: „Wenn der Apotheker aus datenschutzrechtlichen Gründen keine näheren Angaben machen möchte, kann er auch nur 'pharmazeutische Bedenken' aufschreiben. In diesen Fällen wird nicht retaxiert“, hieß es Ende 2015. Entsprechende Retaxationen sollten zurückgenommen werden.
Was die Kasse nach wie vor nicht durchgehen lässt, ist die ausschließliche Verwendung der Sonder-PZN. Das hatte die Kasse so auch angekündigt: „Nur die Sonder-PZN allein ist nicht ausreichend“, sagte ein Sprecher im Dezember. Ganz logisch ist das nicht, da die mittlerweile akzeptierte Form der Begründung keinerlei weitere Informationen enthält: Der Apotheker macht pharmazeutische Bedenken geltend.
In einem aktuellen Fall hatte der Arzt Cefuroxim für eine Behandlungsdauer von sieben Tagen verordnet. In der Packung des DAK-Rabattpartners sind aber nur zwölf Tabletten enthalten – diese reicht also nur für sechs Tage. Der Apotheker druckte die Sonder-PZN auf und gab eine größere Packung ab. Jetzt erhielt er die Retaxation. Sein Einspruch blieb erfolglos, auch der eingeschaltete Hessische Apothekerverband (HAV) konnte die DAK nicht umstimmen.
In dem Bescheid der Kasse heißt es: „Die Bedenken sind entsprechend des jeweiligen Sachverhalts auszuformulieren (z.B. Unverträglichkeit, Compliance usw.) Nur so sind die tatsächlichen Beweggründe für die Nichtabgabe des rabattierten Arzneimittels nachvollziehbar.“ Die Dokumentation habe zum Zeitpunkt der Abgabe zu erfolgen, eine spätere Heilung sei nicht möglich, teilte die Kasse dem Apotheker mit.
In einem anderen Fall hatte der Apotheker das Antidepressivum Opipramol abgegeben. Wieder war er vom Rabattvertrag abgewichen, weil der Patient eine teilbare Tablette benötigte. In seinem Einspruch gegen die Retaxation erklärte der Apotheker der DAK, dass die richtige Dosierung nicht gewährleistet sei, wenn der Patient die Tabletten mit dem Küchenmesser selbst teile.
Die Kasse blieb auch in diesem Fall hart. Zwar geht es jeweils nicht um besonders hohe Beträge, der Apotheker hat sich aber nach eigenen Angaben aus Prinzip gegen die Retaxationen gewehrt. Es könne nicht sein, dass die Kasse in die Therapie des Arztes eingreife, sagte er.
Offenbar handelt es sich nicht um Einzelfälle: Ein Kollege aus Nordrhein-Westfalen berichtet von fast identischen Retaxationen. Er habe einen „dicken Stapel“ Retaxationen für den Abrechnungsmonat Juli von der DAK erhalten. Dabei ging es jeweils auch um nicht begründete pharmazeutische Bedenken. Jetzt rechnet er mit weiteren Retaxationen, wenn die DAK spätere Monate prüft. Entsprechende Retaxationen von anderen Kassen habe er bislang nicht bekommen.
Zumindest in der Vergangenheit war auch die AOK Baden-Württemberg schon einmal wegen Retaxationen zu pharmazeutischen Bedenken aufgefallen. Jetzt hieß es auf Nachfrage, man sei an einem partnerschaftlichen Umgang mit den Apothekerinnen und Apothekern gelegen. „Retaxationen werden, wo aufgrund gesetzlicher Vorgaben und/oder vertraglicher Regelungen angezeigt, immer mit Augenmaß vorgenommen“, so ein AOK-Sprecher. Man arbeite stets daran, Retaxationen auf ein Minimum zu reduzieren.
Die KKH wird etwas konkreter: Die Apotheke habe neben dem Aufbringen der Sonder-PZN grundsätzlich auch die Dokumentationspflicht gemäß Rahmenvertrages. Der Umfang der Dokumentationspflicht sei dabei nicht pauschal zu beantworten, da es sich hier um jeweils Einzelfallentscheidungen handele. „Entsprechend werden die Belege durch die KKH auch fachlich bewertet und der Umfang und die Plausibilität der Dokumentation im Einzelfall überprüft“, heißt es aus der Abteilung Arzneimittelmanagement der Kasse.
Aus Sicht der KKH sollen die Apotheker ihre Bedenken lieber gut zu begründen: „Wir empfehlen den Apotheken lieber eine umfangreichere Dokumentation vorzunehmen um deutlich zu machen, dass der Nichtaustausch ein fachliches abweichen von den Rahmenvorgaben im Einzelfall darstellt“, heißt es aus Hannover.
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