Kosmetikkabinen nun doch erlaubt – wegen Versandhandel Patrick Hollstein, 12.09.2019 10:18 Uhr
„Gönnen Sie sich eine Auszeit!“ So werben zahlreiche Apotheken in ganz Deutschland, die ihren Kunden in der Offizin Kosmetikbehandlungen anbieten. Doch nicht überall sind die Kabinen gerne gesehen: Das Regierungspräsidium Darmstadt ging nach einer Revision gegen eine Apotheke vor – Schönheitspflege sei nicht als apothekenübliche Dienstleistung zu qualifizieren. Anders als das Verwaltungsgericht Minden vor einigen Jahren entschied das Verwaltungsgericht Gießen (VG) zugunsten des Inhabers – und spendierte Argumente gegen den Versandhandel quasi obendrauf.
Die Apotheke gibt es seit 1990, der Kosmetikbereich wurde zwölf Jahre später eingerichtet und 2005 als Raumänderung bei der Behörde anzeigte: Im Grundriss, der zum Bestandteil der Betriebserlaubnis gemacht wurde, gab es eine Nutzungsänderung für einen durch eine Tür abgeschlossenen Raum: „Kosmetische Behandlung, Liege, Beratung“.
Jahrelang interessierte sich die Aufsicht nicht für den Kosmetikbereich, doch nach einer Revision im April 2017 wurde der Apotheker um Stellungnahme zum Kosmetikraum gebeten. Er erklärte, in seiner Apotheke würden – teilweise in Zusammenarbeit mit Hautärzten – diverse Hautprobleme behandelt, die mit „normaler“ Kosmetik nicht behandelbar seien. Dazu zählten Narbenbehandlungen nach Operationen und Verletzungen, verschiedene Formen starker und stärkster Akne, dauerhafte Haarentfernung bei psychischer Beeinträchtigung durch überstarken Haarwuchs, Korrektur von Fehlbehandlungen und Wiederherstellung eines gesundes Hautbildes nach Fehlbehandlungen mit Fruchtsäure durch Kosmetikerinnen.
Zum Einsatz kämen dabei hochwertige Spezialgeräte; ein gleichwertiges Behandlungskonzept existiere in weitem Umkreis nicht. Einen separaten Zugang zum Kosmetikraum könne er nicht einrichten, da die Apotheke an drei Seiten von Nachbarn umgeben sei. Auf Anforderung schickte er auch noch eine Übersicht über die Qualifikation der jeweiligen Mitarbeiter.
Das Regierungspräsidium ließ sich nicht überzeugen. Im Mai 2018 untersagte die Behörde die Durchführung von Kosmetikbehandlungen in der Apotheke – für den Fall, dass die Auflage nicht bis Jahresende umgesetzt würde, wurde ein Ordnungsgeld von 300 Euro festgesetzt.
Die Aufsicht argumentierte, es handele sich nicht um eine apothekenübliche Dienstleistung im Sinne der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), da sie keinen Gesundheitsbezug aufweise und auch nicht kostenlos oder zumindest nur gegen ein geringes Entgelt angeboten werde. Dies sei aber – genauso wie der in der Regel geringe zeitliche Aufwand – typisch für Leistungen wie Beratungen, Anpassung von Medizinprodukten und Gesundheitstests, die der Gesetzgeber im Blick gehabt habe.
Die Kosmetikbehandlung sei dagegen deutlich zeitaufwendiger und auch nur gegen ein entsprechende Kosten erhältlich. Eine apothekenübliche Dienstleistung könne allenfalls dann vorliegen, wenn der Apotheker den Kunden berate und ihm zeige, wie das Produkt anzuwenden sei. Hiervon sei die Verabreichung des Produkts am Kunden auf einem Behandlungsstuhl zu unterscheiden. Soweit es sich um medizinische Behandlung handele, sei sie ohnehin Ärzten vorbehalten.
Das VG Gießen, vor dem der Apotheker gegen den Bescheid geklagt hatte, sah kein Problem in der Kosmetikkabine – zumal die Behandlungen ausschließlich mit den in der Apotheke angebotenen Produkten durchgeführt würden: „Insoweit ist der Gesundheitsbezug schon dadurch hergestellt, dass diese exklusiv Kosmetika, die in einer Apotheke verkauft werden dürfen, ebenfalls Gesundheitsbezug haben müssen, denn ansonsten wäre bereits der Verkauf der Produkte in der Apotheke untersagt.“ Wie das Anpassen von Kompressionsstrümpfen sei die Anwendung derartiger Kosmetika am Kunden eine apothekenübliche Dienstleistung.
Grundsätzlich trete gerade im Freiwahlbereich der freie Beruf des Apothekers zurück, hier sei er gleichsam Kaufmann, der in Konkurrenz zu anderen Anbietern stehe und nicht darauf beschränkt werden könne, das Produkt nur an seine Kunden zu verkaufen und sie über die Anwendung zu informieren: „Er muss seinen Kundenstamm zur Applikation der Produkte nicht auf sich gestellt lassen oder an gewerbliche Kosmetikstudios verweisen, denen möglicherweise jegliche Erfahrungen mit dem Umgang der vom Kläger in der Apotheke vertriebenen Kosmetika fehlen und bei denen auch fraglich ist, ob sie die für sie fremden Produkte überhaupt anwenden, so wie auch Kfz-Vertragswerkstätten sich nach Kenntnis des Gerichts weigern, anderweitig erworbene Ersatzteile, deren Qualität unbekannt ist, in Kraftfahrzeuge einzubauen.“
Die Richter sahen bei den angebotenen Behandlungen sogar einen „erheblichen Gesundheitsbezug“, der klar auf der Hand liege und auch nicht Ärzten vorbehalten sei: „Auch unterhalb einer indizierten ärztlichen Behandlung oder Behandlung durch den Heilpraktiker gibt es durchaus zulässige Bereiche der Kosmetikbehandlung mit Gesundheitsbezug, die in einer Apotheke angeboten werden dürfen, denn auch der approbierte Apotheker übt einen Heilberuf aus.“
Zwar möge es für die Anwendung von Kosmetika innerhalb einer Apotheke Grenzen geben, diese sind laut Urteil aber in der Apotheke lange nicht erreicht. Da nur an durchschnittlich 2,5 Tagen pro Woche Kosmetikbehandlungen durchgeführt würden, entfielen – bezogen auf das gesamte Team mit drei Approbierten sowie je drei PTA in Vollzeit beziehungsweise Teilzeit – nur 6 bis 7 Prozent der Gesamtarbeitsleistung in der Apotheke auf den Bereich.
Dies sei „derart gering, dass auch wirtschaftlich nicht davon ausgegangen werden kann, die Kosmetikleistungen könnten den ureigenen Versorgungsauftrag der Apotheke des Klägers auch nur im geringsten gefährden“ oder dass ihnen eine „besondere zeitliche oder umsatzmäßige oder versorgungsgefährdende Bedeutung“ zukommen könne. Insofern sei im konkreten Fall auch dem VG Minden nicht zu folgen, nach dem Apotheken nicht den Anschein eines Drugstores oder Kosmetikstudios bekommen dürften.
Es sei zwar ein legitimes gesetzgeberisches Ziel, vorrangig die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ins Auge zu nehmen. Man müsse aber auch die gesamte Entwicklung im deutschen und europäischen Apothekenwesen in den Blick nehmen. Durch die Zulassung von Versandapotheken sei der Versorgungszweck der Bevölkerung mit Medikamenten „erheblich mehr gefährdet als durch die Zulassung mehr oder weniger geringfügiger Nebenleistungen apothekenüblicher Art“, so die Richter.
Insbesondere Chroniker könnten dahin tendieren, ihre kontinuierliche Versorgung mit Medikamenten und Hilfsmitteln über Versandapotheken sicherzustellen. „Eine weitere Ausuferung dieses Trends würde zur Überzeugung des Gerichts dazu führen, dass nur noch Akut- oder Notfallpatienten die lokalen Apotheken vor Ort aufsuchen, weil die Versorgung über die Versandapotheke zu zeitaufwendig wäre.“ Damit wäre aber die Existenz der Apothekenlandschaft vor Ort in Deutschland insgesamt gefährdet – insbesondere Apotheken mit viel Fläche und Personal hätten Kosten, die bei Versandapotheken nicht anfielen. „Versandapotheken wären daher deutlich besser gestellt als ortsgebundene Apotheken im lokalen Umfeld. Dies kann nicht Sinn und Zweck einer vom Gesetzgeber gewollten ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sein.“
Insoweit sei Apothekern auch gestattet, freiverkäufliche gesundheitsfördernde Mittel und Randsortimente zum Verkauf anzubieten. Hier gerieten sie aber zusätzlich in Konkurrenz mit Drogerien und sogar Discountern, was aus Sicht der Richter angesichts der fehlenden Beratung „nicht unproblematisch“ ist. „Dürfen aber Drogeriemärkte und Discounter freiverkäufliche Produkte aus dem Arzneimittelbereich ohne fundierte Beratung anbieten, so kann auch dem ortsansässigen Apotheker nicht verboten sein, die ausschließlich in seinem Laden zum Verkauf angebotenen Kosmetika am Kunden anzuwenden.“
Zu guter Letzt verwiesen die Richter auf die Ärzte und die sogenannten IGeL (individuelle Gesundheitsleistungen). „Durch das Erbringen derartiger Leistungen wird die Zeit des Arztes in Anspruch genommen und er kann seine volle Arbeitskraft nicht der effektiven Heilbehandlung von Patienten widmen, auch eine Art Gefährdung des ärztlichen Versorgungsauftrags, von den monetären Folgen einmal ganz abgesehen.“ Die Schönheitschirurgie etwa diene „nicht einmal ansatzweise der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit, sondern allein dem monetären Interesse des Arztes, ohne dass hiergegen vorgegangen wird. Was aber dem Arzt recht ist, muss dem Apotheker billig sein.“
Und dann erlaubt sich das Gericht noch den Hinweis, dass sich die Behörde jahrelang nicht an den Kosmetikbehandlungen gestört hat. Etwaige „Verwaltungsdefizite“ könnten nicht zu Lasten des Apothekers gehen; die Zeit „duldender Untätigkeit“ alleine seit Änderung der ApBetrO im Jahr 2012 sei so lang gewesen, dass ihm ein Vertrauensschutz zuzubilligen sei mit der Folge, dass die Untersagung im Jahr 2018 als unbillig und gegen das Übermaßverbot verstoßend anzusehen ist. „Ein derart zauderliches und zögerliches Vorgehen einer Behörde erscheint rechtsmissbräuchlich.“
Das VG Minden hatte 2011 Kosmetikbehandlungen in der ersten Etage der Pluspunkt-Apotheke von Petra Huwald in Gütersloh verboten: Nach Ansicht der Richter sind Peelings, Maniküre und Brauenkorrekturen keine „ohne Weiteres mit dem Apothekenbetrieb einhergehende Leistung“. Die Tätigkeit des Apothekers sei immer an seinem Auftrag zu messen, eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Apotheken dürften sich nicht zu einem Kosmetikstudio entwickeln: Im Internet habe Huwald ihren Kosmetikbereich „im Sinne eines vollständigen Kosmetikstudios mit umfänglichen und vielefältigen Leistungspaketen, die im Einzelfall sogar einen Zeitraum von circa 150 Minuten in Anspruch nehmen sollen“ beworben.
Huwald wollte zunächst in Berufung gehen, verzichtete dann aber darauf und machte ihren Kosmetikraum wieder dicht. „Das Thema ist abgehakt“, sagt sie heute. Obwohl das Urteil damit rechtskräftig wurde, sind die Behörden in anderen Kammerbezirken nicht so rigoros gegen Kosmetikkabinen vorgegangen. In Hessen dagegen hatte mehrere Apotheker Diskussionen mit dem Regierungspräsidium; vor Gericht ging aber kein Fall.