Die individuelle Herstellung von Arzneimitteln ist die ureigenste Kompetenz des Apothekers. Eine immer mehr vernachlässigte Kunst, eine schlecht bezahlte obendrein – aber für das Selbstverständnis der Pharmazeuten so wichtig wie im Einzelfall für die Versorgung ihrer Patienten. Jetzt wird vor Gericht darüber gestritten, wie weit die Rechte und Pflichten des Apothekers in der Rezeptur reichen. Es geht um Grundsätzliches. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Mit der Novelle der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) wurde das Salbenmischen und Zäpfchengießen im Jahr 2012 sogar noch einmal gestärkt: Die Apotheker wurden explizit verpflichtet, die Verordnung des Arztes auf Plausibilität zu überprüfen. Zwar müssen sie auch bei Fertigarzneimitteln ihre pharmazeutischen Sachverstand einschalten, aber die Vorgaben der Kontrolle einer Rezeptur sind ungleich höher. Auch wenn der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag steht, bewerten die Apotheker das mehrheitlich als positiv.
Die Herausforderung im Alltag besteht darin, den Arzt auf etwaige Schwachstellen seiner Rezeptur hinzuweisen. Wie gut das funktioniert, hängt im Einzelfall immer von den handelnden Personen ab, dem Fingerspitzengefühl des Pharmazeuten und der Eitelkeit des Mediziners. Eingespielte Teams funktionieren gut, im anderen Fall kann der Apotheker als letztes Mittel pharmazeutische Bedenken geltend machen und die Abgabe verweigern.
Im jetzt beginnenden Münchener Rechtsstreit waren sich die Ärztin und die Apothekerin aber einig, dass die Hormonsalbe in zu hoher Konzentration verordnet worden war. Die Rezeptur wurde angepasst. Das Problem war in diesem Fall die Kundin, die die Annahme und Bezahlung der veränderten Rezeptur verweigerte. Die Apothekerin klagte.
In den Argumenten der Kundin – ihrerseits Rechtsanwältin – spiegelt sich eine Haltung von Patienten gegenüber Apothekern wider, die viele aus ihrem Alltag kennen. Der Pharmazeut wird als Dienstleister, vielleicht sogar als besserer Erfüllungsgehilfe des Arztes betrachtet, der einen Auftrag abzuarbeiten hat – ohne Widerrede. Pharmazeutische Bedenken werden von solchen Kunden als Anmaßung und Wichtigtuerei empfunden. Das ist derselbe Schlag Patient, der in der Offizin regelmäßig einfordert, es doch mit der Verschreibungspflicht nicht so eng zu nehmen.
Im konkreten Fall hätte die Kundin von der Apothekerin erwartet, dass diese die Änderung der Rezeptur wenigstens mit ihr abspricht. Wenn es stimmt, dass sie die verordnete Salbe in der umstrittenen Zusammensetzung seit Jahren erhält, ist ihr Ärger über das Einschreiten der Apotheke zwar menschlich nachvollziehbar. Aber man kann von Apotheken nicht erwarten, dass sie nach erfolgter Plausibilitätsprüfung, Rücksprache mit dem Arzt, Änderung der Rezeptur und Dokumentation des Ganzen auch noch beim Patienten nachfragt, ob er damit einverstanden ist.
Mit dem Weltbild im Geiste eines Werkvertrags zwischen Kunde und Apotheke lässt sich das nur schwer vereinbaren. Aber es liegt im Wesen der Verschreibungspflicht, dass der Patient als Mensch und Kunde in Teilen entmündigt wird – zu seinem eigenen Schutz. Der Arzt verantwortet die Verordnung, der Apotheker die Abgabe. Der Patient behält ein höchst persönliches Recht: Er kann sich entscheiden, das Arzneimittel nicht anzuwenden.
Der Apotheker sollte sich tunlichst nicht zum Auftraggeber des Kunden degradieren lassen. Das zeigt ganz aktuell der Ausgang eines anderen Prozesses: Ein Zahnarzt hatte seiner Patientin von einer gewünschten Behandlung abgeraten, ließ sich aber von ihr überreden. Der befürchtete Schaden trat ein, die Patientin verklagte den Zahnarzt und bekam vom Oberlandesgericht Hamm recht. Tenor: Falschbehandlung auf Kundenwunsch ist unzulässig. Jetzt wird parallel noch über 25.000 Euro Schmerzensgeld sowie mehr als 20.000 Euro Schadenersatz verhandelt. Das klingt doch sehr – plausibel.
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