Kommentar

Postfaktische Apothekenhasser

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Berlin -

Die Debatte um ein mögliches Rx-Versandverbot beherrscht die Branche so sehr, dass andere große Themen zur Randnotiz verkommen. Dazu zählt das geplante Verbot von Zyto-Ausschreibungen. Betroffen sind zwar nur wenige Apotheken und nur ein kleiner Teil der Versichertengemeinschaft, eigentlich geht es aber um etwas Größeres: die gesteuerte Versorgung mit selektiven Verträgen. Dass ist es, was die Kassen wollen. Und deshalb kämpfen sie so verbissen für ihre Zyto-Verträge. Ein Kommentar von Alexander Müller.

Lobbyarbeit ist nichts für Empfindsame: Dass die Kassen auf Apotheker, Ärzte und die Pharmaindustrie öffentlich einschlagen und selbst gegenüber Krankenhausangestellten oder Hebammen einen harten Ton anschlagen, ist gewohnte Unbill. Die Pressemitteilungen des GKV-Spitzenverbandes sind mitunter geradezu aufreizend polemisch. Gegenüber dem Gesetzgeber jedoch äußern die Kassen ihre Kritik normalerweise schonender, mit höflicher Zurückhaltung.

Deshalb fällt es schon auf, wenn GWQ-Vorstand Johannes Thormählen die Regierung jetzt als „realitätsfern“ bezeichnet. Warum er so ausfallend wird? Weil der Kassendienstleister erst in diesem Monat zusammen mit der DAK und viel Aufwand exklusive Verträge an den Start gebracht hat und sich davon hohe Einsparungen verspricht. Dazu später mehr.

„Realitätsfern“ findet Thormälen die Begründung des geplanten Verbots. Darin schreibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG), die Versorgung von Krebspatienten baue auf ein besonders enges Vertrauensverhältnis mit dem behandelnden Arzt. Die Patienten müssten auf das gute Zusammenwirken der Heilberufe vertrauen können. Eine möglichst „friktionsfreie Versorgung der Arztpraxen“ mit Zytostatika habe eine „hohe Bedeutung“. Deshalb soll die freie Apothekenwahl wiederhergestellt werden.

Falsch, meint Thormälen, faktisch gebe es gar keine freie Apothekenwahl, da der Onkologe die Apotheke auswähle und nicht der Patient. Damit hat er recht, in den meisten Fällen dürfte es genau so sein. Und doch hat er sehr unrecht. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob sich der Onkologe eine Apotheke aussucht, mit der die Zusammenarbeit gut funktioniert, oder die Kasse das übernimmt. Und dass dabei der Preis nicht die alleinentscheidende oder zumindest übergeordnete Rolle spielen soll, können die Kassen dem Weihnachtsmann erzählen. Der ist nämlich gerade in der Gegend.

Bezeichnenderweise hatte die Vergabekammer in einem der Nachprüfungsverfahren auch vor den qualitativen Aspekten die Segel gestrichen: Liefermodalitäten im Vorfeld festzulegen, sei wegen der Therapiefreiheit der Ärzte gar nicht möglich. Unklar sei auch, wie dies bei der Zuschlagsentscheidung berücksichtigt werden könne. Also bliebe nur der Preis. Und so wurden die Kassen kurzerhand zu „Zahlstellen für den zu befriedigenden Bedarf ihrer Versicherten“ umdeklariert, die Rabatt dafür bekommen, dass sie einem Anbieter den Zugang zur Versorgung erlauben.

Jeder in diesem Bereich Tätige wird sofort unterschreiben, dass es bei der Versorgung krebskranker Menschen sehr wohl Qualitätsunterschiede gibt und dass es auf eine gute Zusammenarbeit zwischen den Heilberufen ankommt. Und selbst wenn die Apotheke von GWQ ihren Job ordentlich macht – was ist mit der AOK-Apotheke? Es bleiben die Vertragspartner von Barmer, TK, KKH und Deutscher BKK, SpectrumK und der Knappschaft sowie allen, die noch folgen.

Allein die Anzahl verschiedener möglicher Lieferanten muss in den Praxen zu Organisationsproblemen führen und diese irgendwann fast zwangsläufig zu Qualitätsmängeln. Dass bei allen Kassen dieselbe Apotheke den Zuschlag gewinnt, ist weder wahrscheinlich, noch dürfte es langfristig der immer ersehnten Wirtschaftlichkeit zugute kommen.

Apropos Kosten: 700 Millionen Euro Einsparungen würde der Gesetzgeber opfern, hat GWQ ausgerechnet. Der Vorschlag, den Krankenkassen statt Ausschreibungen die Möglichkeit zu Rabattverträgen mit der Industrie einzuräumen, ermögliche „nur einen Bruchteil dieser Ersparnis“. Abgesehen davon, dass als Ausschreibungsalternative zusätzlich die Hilfstaxe gestärkt werden soll und zu den Herstellerverträgen noch nichts Konkretes bekannt ist: Seit wann zweifeln Kassen an der Macht der Rabattverträge?

In der Zyto-Versorgung geht es um viel Geld – vor allem bezogen auf den Einzelfall. Leider haben schwarze Schafe dem ohnehin bestehenden Misstrauen auf Kassenseite Vorschub geleistet. Daraus jedoch abzuleiten, der ganze Markt seit intransparent und korrupt und müsse von den Kassen geregelt werden, ist wirklich realitätsfern. Heute würde man wohl postfaktisch sagen.

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