Rabattverträge, Importquote, Aut-idem-Kreuz – bei der Auswahl eines Medikaments zu dem verordneten Wirkstoff unterliegen Apotheker vielen Beschränkungen. Das macht nicht nur den Alltag komplizierter, es kratzt auch am Selbstverständnis des freiberuflichen Arzneimittelexperten. Letztes Gegengift gegen den universellen Zwang zur Substitution sind die „pharmazeutischen Bedenken“. Es ist essentiell, dass dies ein retaxfreier Raum bleibt. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Der Apotheker ist für die ordnungsgemäße Versorgung des Patienten mit Arzneimitteln zuständig. Um diese gesetzlich geschützte Aufgabe zu erfüllen, muss er seine Kompetenz einbringen können und bei der Auswahl des Medikaments gewisse Freiräume haben. Medizinisch begrenzt ist diese Freiheit bei der Auswahl des Wirkstoffs, die der verordnende Arzt vornimmt. Sie ist aber auch ökonomisch begrenzt – etwa von den Rabattverträgen der Krankenkassen. Die „pharmazeutischen Bedenken“ schützen die Freiheit vor einem totalen Durchgriff der Kassen.
Weil das im Einzelfall für die Versorgung sehr wichtig sein kann, muss das Mittel mit Bedacht eingesetzt werden. Hat ein Apotheker bei jeder Abgabe eines Rabattarzneimittels pharmazeutische Bedenken, ist das nicht nur aus Sicht einer Krankenkasse unglaubwürdig. Es heißt nicht umsonst „Sonder-PZN“.
Solange die Apotheker die Rabattverträge aber nicht durch standardmäßiges Verwenden dieser Sonder-PZN boykottieren, haben die Krankenkassen deren Einsatz im Einzelfall zu dulden. Sie haben das bislang auch getan, bis die DAK ein neues Retaxfeld für sich entdeckt hatte und eine vermeintlich unzureichende Begründung monierte.
Dass die Apotheker die Verwendung zusätzlich begründen müssen, zählt zu den fragwürdigen Regelungen im Rahmenvertrag. Denn für eine ausführliche Erklärung ist auf dem oft recht überfüllten Verordnungsblatt ohnehin kaum Platz. Abgesehen davon, dass der durchschnittliche Sachbearbeiter in der Prüfstelle der Kasse längeren Ausführungen inhaltlich sowieso nicht folgen könnte.
Und abgesehen davon, dass es die Kasse im Einzelfall gar nichts angeht, welche Probleme ein Patient mit einem verordneten Arzneimittel haben kann. Das ist nicht zuletzt eine Frage des Datenschutzes. Wenn das GKV-System in diesem Punkt nicht mehr auf seine Leistungserbringer vertraut, wäre das sehr bedenklich.
Eine stichpunktartige Begründung auf dem Rezept läuft aber Gefahr, trivial zu werden. Wenn der Apotheker einen Stempel für „Compliance-Probleme“ verwenden kann, hat das mit einer Begründung im Einzelfall schon kaum noch etwas zu tun.
Und dass die DAK als Begründung für pharmazeutische Bedenken nun den handschriftlichen Zusatz „pharmazeutische Bedenken“ akzeptiert, ist ein schöner Beleg für den Retax-Irsinn. Diese Information steckt nämlich schon in der vereinbarten Ziffernfolge 02567024. Genauso gut könnte die DAK den Begriff „Begründung“ oder die Formulierung „Sonder-PZN aufgedruckt“ gelten lassen.
Trotzdem ist es gut, dass die DAK hier zum Einlenken bewegt werden konnte. Ärgerlich genug, dass dies immer wieder nötig ist. In der öffentlichen Debatte können solche Scharmützel den Apothekern allerdings auch helfen: Wenn einzelne Kassen es mit ihren Retaxationen übertreiben, wird irgendwann auch die Politik hellhörig. Vertreter anderer Kassen wissen das und heben teilweise beschwichtigend die Hände, damit nicht die ganze GKV in Verruf gerät, mit unsauberen Methoden zu kassieren.
Natürlich laufen die Interessen von Krankenkassen und Leistungserbringern in gewisser Hinsicht gegeneinander: Apotheker und Ärzte wollen mit ihrer Tätigkeit Geld verdienen, die Versicherung will möglichst wenig Geld ausgeben. In einem Punkt sollten sich beide Seiten einig sein: Der Patient soll möglichst gut versorgt werden. Dabei müssen die Kassen die Kompetenz der Apotheker akzeptieren und nicht retaxieren.
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