Hätte man sich zum Ziel gesetzt, möglichst viel Unsicherheit in die Rezeptbelieferung zu bringen, man hätte es kaum geschickter anstellen können: Eine vermeintlich einfach Regelung – ein Rezept ist einen Monat lang gültig – wird in Verträgen interpretiert, sicherheitshalber je nach Kasse und Bundesland ein bisschen anders. Garniert wird das Ganze mit Sonderfällen und Ausnahmen – et voilà: ein Retax-perpetuum-mobile. Der Patientensicherheit dient das meist nicht.
Manche Regelungen sind zumindest sinnvoll gedacht: Ein Klinikrezept im Rahmen des Entlassmanagements muss nicht lange gültig sein, denn Sinn und Zweck ist ja eben die Versorgung kurz nach dem Klinikaufenthalt. Dass diese Vorgabe für Betäubungsmittel (BtM)- und T-Rezepte genauso gelten soll, ist nachvollziehbar, macht die Sache aber nicht einfacher – immerhin gibt es für diese Verordnungen in der ambulanten Versorgung bereits andere Fristen. Der Apotheker muss künftig zusätzlich auf den Klinik-Hinweis achten.
Warum T-Rezepte nur sechs, BtM-Rezepte aber sieben Tage nach ihrer Ausstellung beliefert werden dürfen, ist pharmazeutisch schon schwieriger nachzuvollziehen. Dabei hat sich der Gesetzgeber auch noch an verschiedenen Formulierungen versucht: T-Rezepte sind laut Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) „bis zu sechs Tagen nach dem Tag ihrer Ausstellung gültig“, BtM darf hingegen nach der BtMVV nicht abgegeben werden, wenn die Verschreibung „vor mehr als sieben Tagen ausgefertigt wurde, ausgenommen bei Einfuhr eines Arzneimittels“. Ohne mindestens eine Ausnahme wäre das Ganze auch nur halb so spannend.
Nun sollte man meinen, dass wenigstens das gemeine rosa Rezept – mit Ausnahme der Entlassrezepte – einfach zu handeln sei. Weit gefehlt, das Muster-16-Formular macht womöglich die meisten Probleme. Theoretisch ist es drei Monate lang gültig, aber die Kassen zahlen nur einen Monat lang dafür. Wie lang dieser genau ist, wurde in den Lieferverträgen ausgehandelt. Und man muss genau nachlesen: Abgesehen von der exakten Anzahl der Tage gibt es auch unterschiedliche Regelungen dazu, ob innerhalb der Frist nur das Rezept vorgelegt oder das Arzneimittel abgegeben werden muss. Und dazu kommen noch gesonderte Leitlinien zu einzelnen Wirkstoffen.
Die Apotheker haben nicht einmal die Chance, im Zweifel auf Nummer sicher zu gehen. Denn bei den Belieferungsfristen geht es nicht nur um das Dürfen, sondern um das Müssen: Apotheker sind verpflichtet, Verordnungen zeitnah zu beliefern. Sie dürfen einen Patienten mit einem 29 Tage alten Rezept also nicht einfach wegschicken, sondern müssen zunächst herausfinden, wie genau seine Krankenkasse die Sache handhabt.
Im Sinne der Patientensicherheit ist das nicht mehr. Der Apotheker sollte prüfen, ob sich in einem Monat gesundheitlich viel bei dem Patienten getan hat – aber sich nicht um seine Vergütung sorgen müssen. In diesem Sinne spräche einiges dafür, die zahlreichen Regelungen zumindest auf ein sinnvolles Minimum zu reduzieren. Auch das E-Rezept könnte – eine intelligente Software vorausgesetzt – Abhilfe schaffen.
Kurzfristig könnten eindeutige Formulierungen in den Verträgen helfen, am besten versehen mit Beispielen. Dies würde zumindest Missverständnissen vorbeugen. Die Forderung an die Kassen, bei Retaxationen mit Augenmaß vorzugehen, bleibt natürlich bestehen. Im Mittelpunkt sollte die Patientensicherheit stehen: Bei Thalidomid ist die Rezeptfrist zweifellos bedeutender als bei einem Antiallergen, bei dem es wegen der individuellen Herstellung häufiger zu Verzögerungen kommen kann. Kulanz im Einzelfall ist schwierig und die Apotheker können sich nicht darauf verlassen. Deshalb sollten sie darauf drängen, dass bei den Fristen aufgeräumt wird und die Regeln unmissverständlich werden.
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