Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bekommt keine Ruhe in das Thema. Seit Tagen reiht sich eine Rücktrittsforderung an die andere, bis hinauf zur Spitze des Koalitionspartners. Spahn hat während der Pandemie immer wieder eine unglückliche Figur abgegeben, die aktuelle Kritik ist auch eine Gesamtabrechnung. Doch die neue „Masken-Affäre“ hat für sich genommen das Potenzial, seine politische Zukunft nachhaltig zu beschädigen, kommentiert Alexander Müller.
Als Gesundheitsminister eine Ausnahmesituation wie die Corona-Pandemie bewerkstelligen zu müssen, ist eine große Chance und ein großes Risiko gleichermaßen. Die große Krise als Katalysator einer Karriere – in die eine oder andere Richtung, sich beweisen oder untergehen. Zunächst sah es so aus, also würde Spahn mit seiner Politik reüssieren. Die Boulevardpresse feierte ihn zusammen mit CSU-Frontmann Markus Söder als Macher in der Krise. Doch der Lack ist ab; Söder ist nur Fast-Kanzlerkandidat und Spahn hat sich einfach zu viele Fehler geleistet.
Es gibt zwei Relativierungen seines Versagens. Die erste findet auf der Zeitschiene statt: Wir befinden uns in einer Pandemie. Wo Entscheidungen schnell getroffen werden müssen, der Zeitdruck besonders groß ist, passieren Fehler. Das gilt in Apotheken, in Redaktionen und genauso in der Politik. Wobei dem Zeitdruck etwa bei der Maskenbeschaffung beispielsweise schon ein erstes politisches Versagen vorausgegangen war, in Gestalt mangelhafter Vorbereitung.
Die zweite Relativierung ist die Verantwortlichkeit: Natürlich ist nicht jeder Fehler Spahn persönlich anzukreiden. Mal haben die Bundesländer nicht mitgespielt, mal die EU-Behörden Verwirrung gestiftet, mal die Impfstoffhersteller nicht so geliefert wie verabredet. Spahn ist nicht schuld, wenn sich Parteikolleg:innen mit Masken-Provisionen illegal bereichern. Aber sein Haus hat mit einer hektischen Beschaffungspolitik den Boden bereitet. Und welche Rolle der Minister persönlich bei dem einen oder anderen Deal eingenommen hat, bleibt ebenfalls unter Beobachtung. Spahns Vita gibt Anlass dazu. Wenig hilfreich, aus seiner Sicht aber gut ins Bild passend sind 9999-Euro-Dinner unterhalb der Meldepflicht.
Man würde denken, so eine politische Alles-oder-Nichts-Situation liegt einem wie Spahn, der mit polemischen Aussagen schon zu Beginn seiner Karriere gerne gezockt hat. Trotzdem verfestigt sich der Eindruck, dass Spahn unter Druck immer wieder genau die falsche Entscheidung trifft, dass ihm das richtige Timing fehlt. Schon bei der ersten Verteilrunde der FFP2-Masken vor Weihnachten musste (und konnte) er sich nur auf die Redlichkeit der Apotheker:innen verlassen, um nicht komplett zu scheitern. Dieses Chaos wäre nach Monaten der Corona-Maßnahmen bei vorausschauender Fahrweise zu vermeiden gewesen.
Gleiches Bild bei der Impfkampagne. Es war klar, dass irgendwann Impfstoff kommen würde. Die Verteilung, die Beschaffung geeigneter Kanülen bis hin zur Abrechnung und Vergütung – all das hätte nicht mit heißer Nadel gestrickt werden müssen. Aktuell verspricht Spahn immer neuen Personengruppe Impfangebote, obwohl nach wie vor viel zu wenig Impfstoff da ist.
Als Reaktion auf den mutmaßlichen Betrug in Teststellen wird die Vergütung gesenkt. Die nächste Panikreaktion. Schlauer wäre es gewesen, in der Verordnung nicht mit der KBV diejenige Stelle mit der Kontrolle der Abrechnung zu betrauen, die an der Abrechnung mitverdient. Wenn eine Gruppe mehr Aufwand betreiben muss, um am Ende weniger Geld zu bekommen, welche Wirkung wird das auf die Motivation haben? Da steckt der Teufel auch nicht im Detail.
Jetzt streitet die Koalition darüber, ob Spahn weniger intensiv getestete Masken an Menschen mit Behinderung und Obdachlose verteilen wollte. Die SPD fordert den Rücktritt, die CDU Rücksicht. Die Aufklärung läuft noch, aber selbst wenn die Vorwürfe überspitzt vorgetragen sind: Sollte die Geschichte so wie vom Spiegel recherchiert und vom Arbeitsministerium bestätigt auch nur in Teilen stimmen, ist Spahn nicht mehr zu halten, Bundestagswahl hin oder her.
Spahn wollte sich in einer Co-Kandidatur profilieren und hat sich blamiert, Spahn wollte mit Google kuscheln und hat auf die Finger bekommen. Spahn kauft sich in Zeiten von Kurzarbeit und Corona-Hilfen eine millionenschwere Villa und lässt dann Journalist:innen ausforschen und verklagen, die darüber berichten. Und scheitert auch damit. Spahn hat gesagt: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Ja, alles verziehen. Spahn sagt: „Seien Sie im Zweifel sauer auf mich.“ Ja, alle sind sauer. Gehen Sie bitte.
APOTHEKE ADHOC Debatte