Eindrucksvoller Brief an Lauterbach

„Können Sie sich diese Verzweifelung vorstellen?“

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Berlin -

Die Ruhrland-Apotheke in Bochum-Stiepel ist besonders vom Mangel an Antibiotika betroffen, denn sie hat einen Kinderarzt im Haus. Inhaber Heiko Meyer ist dem Aufruf aus der Kollegenschaft gefolgt und hat seine Defektliste an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Bild geschrieben. Er berichtet über reale Szenarien am HV-Tisch und die Sorge vor der kalten Jahreszeit.

Meyers Team versorgt Patient:innen aus einer Kinderarztpraxis. „Antibiotika-Verordnungen für die Kleinen stehen bei uns auf der Tagesordnung“, berichtet er und beschreibt, wie es ist, wenn Eltern mit ihren Kindern die Apotheke aufsuchen, um eine schwere Mittelohrentzündung ihres jungen Sprosses behandeln zu können. „Die erkrankten Kinder leiden unglaubliche Schmerzen, können nachts nicht schlafen – ebenso die Eltern nicht.“

Das Rezept in der Hand schüre Hoffnung auf schnelle Besserung. Doch Fehlanzeige: „Dann kommt nämlich der Moment, in dem diesen Eltern mitgeteilt werden muss, dieses Medikament ist weder in der eigenen Apotheke noch bei den Kolleg:innen in der Umgebung verfügbar.“ Und als sei dies nicht schon schlimm genug, müsse auf die berechtigte Frage der Eltern, ob man nicht etwas Anderes abgeben kann, mitteilen, dass auch die erste, zweite und dritte Alternative des verordneten Arzneimittels nicht verfügbar ist – und das auf unbestimmte Zeit.

„Mir graut es vor dem Winter“

„Können Sie sich diese Verzweifelung der Eltern vorstellen? Können Sie sich vorstellen, wie sehr einen das belastet? Nicht nur während des Betriebes sondern auch noch nach Feierabend“, so Meyer. Ihn jedenfalls belaste die Situation – auch wenn er längst Feierabend habe und zu Hause bei seinen beiden kleinen Kindern sei. „Nicht selten nimmt man die Szenarien bildlich vor Augen mit ins Bett und kann schlecht ein- oder durchschlafen.“

Aktuell habe er noch einige wenige Präparate mit Amoxicillin und auch Cefpodoxim vorrätig. Wer weiß, wie lange sie reichen? „Mir graut es ernsthaft vor dem Winter.“ Wenigstens für seine eigenen Kinder eine Flasche reservieren? – „Nein, auf keinen Fall. Das kann ich nicht verantworten.“ Sollte er für seine Familie nicht verfügbares Medikament brauchen, sehe er sich gezwungen, ins benachbarte Ausland zu fahren, wo Arzneimittel für Kinder verfügbar seien. Er hoffe aber inständig, ohne persönliche Not, irgendwie durch die naheliegende Saison zu kommen.

Keine Zeit für Telefonate

Für den Kinderarzt halte Meyer stets eine aktuelle Liste bereit, welches Medikament er noch am Lager hat. So handhaben es momentan viele Betriebe. Lang seien diese Listen allerdings nicht. „Das sind eine Handvoll, zwischendurch auch nur mal zwei oder drei Präparate. Teilweise sind nur zwei Wirkstoffe zur Auswahl.“

Um die vielen zusätzlichen Telefonate mit Lieferanten, Arztpraxen und Kolleg:innen zu führen, könne er eine Vollzeitkraft beschäftigen. Aber woher nehmen? „Es steht kein Personal zur Verfügung. Der Mitarbeitermarkt ist leergefegt.“

Dass Lauterbach kürzlich im ARD-Morgenmagazin den Apothekerinnen und Apothekern Panikmache vorgeworfen hat, kann er nicht verstehen. „Der Mangel ist real“, so Meyer. „Wir erleben das seit einem guten Jahr. Es weiß inzwischen fast jeder Mensch, dass es diverse dringend benötigte Arzneimittel nicht gibt. Da hat sich seit dem vergangenen Herbst nichts geändert. Über den Sommer ist eventuell eine Entspannung eingetreten. Aber doch nur deshalb, weil der Bedarf nicht so groß war.“

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