Apothekenrezeptur rettet Baby Maria Hendrischke, 17.02.2016 15:05 Uhr
Aufregung in der Charlotten-Apotheke in Köln: Ein Ehepaar betrat mit einem Rezept für ihre knapp einjährige Tochter die Offizin. Das Mädchen hat einen schweren Herzfehler und ist auf Medikamente angewiesen, um zu überleben. Eines ihrer Arzneimittel war aufgebraucht; innerhalb weniger Stunden musste sie die nächste Kapsel einnehmen. In der benötigten geringen Dosierung gab es aber kein Fertigarzneimittel. Inhaber Thomas Grützner zeigte vollen Einsatz.
Das Ehepaar Bahia und Ali Ibrahim war mit seiner elf Monate alten Tochter Hajar aus Syrien geflohen. Die Kleine hat einen Fehler an der Herzkammer, der erst auf der Flucht festgestellt wurde. In Deutschland angekommen, musste sie operiert werden und anschließend einen Monat auf der Intensivstation im Gießener Universitätsklinikum verbringen. Sie ist auf zahlreiche Medikamente angewiesen.
Am vergangenen Freitag war eines dieser Präparate aufgebraucht. Gegen Mittag konnte die Familie nach längerem Warten bei einem Kinderarzt das nötige Rezept besorgen. Etwa um 15.30 Uhr kamen die Ibrahims mit einem ehrenamtlichen Übersetzer in die Charlotten-Apotheke. Grützner kannte die Familie; ihre Flüchtlingsunterkunft befindet sich in der Nähe seiner Apotheke.
Grützner nahm das Rezept für Kapseln mit Ivabradin entgegen. Er hatte ein Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff vorrätig, doch für Hajar waren die Tabletten viel zu hoch dosiert: Während die Fertigtabletten 5 mg des Wirkstoffs enthielten, verlangte das Rezept 0,5 mg. Viel mehr Anhaltspunkte hatte Grützner nicht: „Auf dem Rezept stand noch, dass die Kapsel Lactose enthalten sollte.“
Er hatte Bedenken, dass die dem Fertigarzneimittel zugesetzten Hilfsstoffe für das Baby schädlich sein könnten. Aber den Reinstoff hätte er erst bestellen müssen – und das hätte zu lange gedauert, denn die Kleine musste dringend noch am Abend die nächste Kapsel einnehmen. „Sonst wäre es lebensbedrohlich geworden“, sagt Grützner.
Der ehrenamtliche Übersetzer betreute die Familie bereits seit längerer Zeit und konnte Güntzer den Kontakt zum behandelnden Arzt der Gießener Intensivstation geben. Dort rief der Apotheker an und ging einzelne Hilfsstoffe mit dem Mediziner durch. „Er konnte aber nicht alle meine Fragen beantworten“, so Grützner. Darum telefonierte er Gießener Apotheken ab und fand tatsächlich eine, die Medikamente für aus der Spezialklinik entlassene Patienten bereitstellten. „Sie sagten mir, dass sie Herzmedikamente für Kleinkinder aus den Fertigarzneimitteln herstellen – und dann war alles klar“, sagt Grützner.
Er fertigte gemäß der Anleitung seiner Kollegen zehn Kapseln an und brachte sie gegen 20 Uhr in die Flüchtlingsunterkunft. „Die Familie war sehr dankbar, sie haben mich zum Tee eingeladen.“ Grützner lehnte allerdings dankend ab: „Durch den Stress war ich an dem Abend ziemlich erledigt.“ Dennoch betrachtet er sein Handeln als Selbstverständlichkeit: „Ich bin mir sicher, meine Kollegen hätten das genauso gemacht.“