Klohäuschen, Wohnwagen, Garage: Apotheken wappnen sich für den Ansturm APOTHEKE ADHOC, 14.12.2020 15:34 Uhr
Chaos allenthalben oder alles halb so wild? Apotheken in ganz Deutschland bereiten sich auf die großen Maskenabgabe ab Dienstag vor. Neben guten Nerven ist vor allem Kreativität gefragt – und Geduld: Viele Fragen sind noch offen, die Kunden stellen sie trotzdem. Die Stimmung in den Apotheken reicht von angespannt bis gelassen. Wie bereiten sich Inhaber und Teams auf die Mammutaufgabe vor?
Wer heute zur Nürnberger Moritz-Apotheke kommt, den erwartet ein ungewohnter Anblick: Vor der Offizin steht ein waschechtes Toilettenhäuschen aus Holz, stilecht mit einem eingesägten Herz in der Tür. Die Apotheke von Inhaberin Margit Schlenk bietet ihren Kunden aber kein Pop-up-Notdurftrefugium, sondern kostenlose FFP2-Masken: „Ich stehe da morgen mit Heißlüfter und Kaffeetasse drin und werde die Maskenverteilung rocken“, sagt Schlenk und ist selbst amüsiert über die Aktion. „Wir haben halt nichts anderes. Das wird morgen aufgeklappt, an die Wände kommen Plakate mit den Regularien, davor ein Stehtisch und die Kisten mit den Masken.“ Ursprünglich hatte sie den Donnerbalken vor elf Jahren für eine Aktion zum Thema Inkontinenzversorgung beschafft, seitdem war er eingelagert und wartete darauf, von Schlenks Ehemann in ein kleines Jagdhäuschen umfunktioniert zu werden. Nun wurde er doch nochmal nützlich. „Ich hoffe auf einen großen Ansturm morgen“, sagt Schlenk. „Und ich sage bewusst hoffentlich, weil ich mir wünsche, dass die Menschen gut für das Weihnachtsfest ausgestattet werden.“
Auch ein kurioser Anblick ist die Apotheke von Inhaber Martin Halm: Er hat auf dem Parkplatz vor seiner Burg-Apotheke im mecklenburgischen Warin einen Wohnwagen stehen. Aus dem heraus sollen morgen die Masken verteilt werden. Er will die Leute nicht in der Apotheke haben, da sei vor Weihnachten genug zu tun. Auch sei diese Lösung mit Blick auf das Infektionsgeschehen besser. Fahrer und Reinigungskraft aus dem Team teilen sich die Schichten im Wohnwagen ein und versorgen die Kunden über die „Pferdetür“, die sich als Fenster halb öffnen lässt. Ein Heizkörper wurde schon reingeschafft, eben holt Halm noch eine Plexiglasscheibe aus dem Baumarkt. Lichterkette, fertig. Morgen Nachmittag erwartet er eine größere Lieferung mit 4000 Masken, bis dahin müssen die letzten 1000 Masken aus dem aktuellen Bestand reichen.
Ebenfalls nach draußen verlagert eine Apotheke in Nordrhein-Westfalen die Masken-Abgabe: Damit es in der Offizin nicht zu voll wird, nutzt sie die angrenzende Garage. Hier soll ein Mitarbeiter die Masken verteilen. Für die Dokumentation wurde ein eigener Kunde in der Software angelegt. So verfahren auch andere Kollegen. „Spahn-Trio“ heißt der Platzhalterkunde in einem Betrieb, „Maske3“ in einem anderen. Die Heinrich-Zille-Apotheke in Berlin hat zwar keine Garage, dafür aber einen Nebeneingang. Hier soll morgen über einen Klapptisch die Ausgabe erfolgen. Wie die allermeisten Apotheken hängen auch hier gleich mehrere Zettel in den Schaufenstern und der Eingangstür, dass frühestens morgen Masken verteilt werden. Apotheker Christian Kraus aus Pforzheim hat sogar die freche Variante davon ausgehängt: „Bedanken Sie sich bei unserem Gesundheitsminister, der uns leider auch keine genauen Informationen zu dieser Gratis-Aktion gegeben hat.“ Einer Kollegin wurde von einer Mitarbeiterin mitgeteilt, sie fühle sich „von der Politik verheizt“.
Vorab schlecht informiert fühlt sich auch Dr. Friederike Friedrich-Harder, Inhaberin der Friedheim-Apotheke in Flensburg. „Wir sind vorab weder vom Verband noch von irgendeiner anderen Körperschaft informiert worden und warten immer noch auf eine offizielle Bekanntgabe der Verordnung“, sagt sie. „Als ich am Mittwochabend von der Aktion erfahren habe, ist mir erst einmal das Herz in die Hose gerutscht. Die Mail vom Verband kam dann Donnerstagmittag, bis dahin hatte ich schon mit zehn Kollegen telefoniert und geplant, wie wir die Bestellungen handhaben könnten.“ Es sei bereits geplant gewesen, gemeinsam Bestellungen aufzugeben, um das Risiko zu minimieren. „Wenn ich ab Dienstag tausende von Masken abgeben soll, muss ich die ja bestellen. Da wäre es schon gut gewesen, wenn jemand mal vorab ein Fax oder eine E-Mail geschickt hätte.“
Dass die Aktion trotz der noch nicht veröffentlichten Verordnung noch scheitern könnte, glaubt sie nicht. Also hat sie das Risiko getragen, genügend Masken zu kaufen, und die Apotheke für den erwarteten Ansturm gewappnet. Dazu hat sie, getrennt von den restlichen Kassen, einen eigenen Schalter eingerichtet, an dem unkompliziert und schnell abgegeben werden kann. Für Dienstag hat sie zwei Mitarbeiter ausschließlich für die Masken-Aktion eingeteilt. Denn auch sie rechnet mit einem großen Ansturm: „Das sprengt uns das Normalgeschäft. Wir haben ohnehin gerade schon mehr als sonst und jetzt gehen bundesweit 27 Millionen Menschen los, die kostenlose Maske wollen. Das sind 27 Millionen zusätzliche Kontakte. Wir werden streng darauf achten, dass wir die Hygieneregeln da richtig einhalten, denn es sind ja alles Risikopatienten.“
Dass die Maskenaktion bevorsteht, habe sie seit Donnerstag auch an einem anderen Phänomen gespürt: Es wurden in den vergangenen Tagen mehr FFP2-Masken gekauft als sonst. „Vermutlich haben die Leute die Befürchtung, dass es durch die kostenlose Abgabe erneut zu Engpässen kommen könnte“, schätzt sie. Und diese Beobachtung befeuert eine weitere Sorge, nämlich dass es aus Angst vor begrenzten Kapazitäten vor allem zu Beginn einen Ansturm gibt. „Wenn alle Kunden über die nächsten drei Wochen verteilt kommen, dann wird das schon knackig. Aber wenn die Hälfte direkt morgen vor der Tür steht, wird es ein Chaos.“ Dennoch, die Aktion sei trotz der unbefriedigenden Kommunikation im Kern absolut richtig, betont Friedrich-Harder: „Ich hoffe nur, dass die Politik sich danach nicht damit rühmt, wie gut das alles geklappt hat. Wenn es gut klappt, dann liegt das nur an der guten Arbeit der Vor-Ort-Apotheken.“
Die Bären-Apotheke in Karlsruhe will erst schauen, ob sie den Ansturm innerhalb der Offizin bewältigen kann. „Die Pipeline zu füllen, war kein großes Problem, wir sind ohne Weiteres an genug Masken gekommen“, sagt Inhaber Dr. Stefan Noé. „Schwierig wird es mit der Abgabe.“ Von seinen drei Kassen ist eine ohnehin wegen der Hygiene-Auflagen geschlossen. Jetzt schließt er eine weitere, um sie ausschließlich für die morgige Maskenabgabe zur Verfügung zu haben. „Das macht dann eine PTA-Praktikantin – aber wenn es zu viel wird, werden wir die Masken wahrscheinlich durch das Laborfenster direkt nach draußen abgeben.“ Ebenfalls draußen sollen die Kunden die Fragebögen zur Bezugsberechtigung ausfüllen. Noé stellt dafür extra einen Bistrotisch vor die Offizin – und hofft, dass das Wetter mitspielt.
Auch die Ubier-Apotheke in Köln hätte die Masken-Abgabe auch gerne nach draußen verlegt, doch dafür fehlt der Platz. Eine Erleichterung hat Inhaber Gunther Franke seinem Team aber schon verschafft. Die von ihm versorgten Heime werden separat beliefert, ohne weitere Nachweise, die Patienten seien ja schließlich bekannt. Franke hat aber Bauchschmerzen mit der Ankündigung einiger Kollegen, sich die Personalausweise der Kunden zu kopieren, um Missbrauch zu vermeiden. Das verursache nicht nur einigen Aufwand, der Apotheker befürchtet auch datenschutzrechtliche Probleme. Die softere Variante ist, dass sich Inhaber von unbekannten Kunden den Ausweis zeigen lassen, um einerseits den Anspruch zu bestätigten und gleichzeitig die emotionale Hürde für „Apothekenhopping“ ein bisschen höher zu machen. Zumindest in den Fällen, wenn jüngere Kunden Masken „für Oma und Opa“ abholen, wollen sich viele Inhaber die Abgabe aber im Auftrag unterschreiben lassen oder sogar die Ausweise fotografieren.
Auch die Berliner Eulen-Apotheke erwartet „Masken-Touristen“. Die Stammkunden zu versorgen, sei kein Problem, berichtet Inhaber Bernd Stange. Er hat noch eine größere Lieferung nachbestellt, weist aber auf ein anderes Problem hin: Vielerorts kämen die Zertifizierungsstellen gar nicht mehr hinterher. Das Problem betrifft seine Apotheke aber nicht. Und dann ist die Frage, wie viele Masken abgegeben werden sollen. Ein Stuttgarter Apotheker hat für seine Filialen exakt ausgerechnet, wie viele Masken der NNF-Zahlung entsprechen und gibt diese Menge kostenlos ab, danach werden die Masken wieder verkauft. Damit möglichst viele Menschen schnell versorgt werden, erwägt eine Apothekerin, zunächst nur eine Maske pro Kunde abzugeben. Damit könnten die Apotheken Zeit gewinnen – und ehrlich gesagt seien gerade die Risikopatienten sowieso ständig in ihrer Offizin.
Ohnehin treibt viele Inhaber die Angst um, dass sie am Ende in den Verdacht geraten, sich an der Verteilung bereichert zu haben. Eine Apothekerin hat extra zwei Studenten angestellt, die die Listen pflegen sollen: „Ich lasse mir nicht nachsagen, dass ich nicht ausreichend ausgegeben habe.“ Die Personalkosten würden natürlich die Zahl an Masken reduzieren, die sie rausgeben könne. Der Extremfall: Eine Apotheke will sich der Aktion komplett verweigern. Die Inhaberin findet es aus epidemiologischer Sicht Unsinn, dass Risikopatienten jetzt in die Apotheken strömen sollen. Die Zahlung aus dem NNF will sie nicht annehmen.
Für solche Erwägungen hat Apotheker Robert Herold wiederum keinerlei Verständnis „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Wir wollen keinen Versandhandel und keine Ketten, wenn wir dann aber so eine Aufgabe kriegen, schreien alle rum, dass es nicht zu schaffen sei“, sagt der Inhaber der Central-Apotheke im vogtländischen Falkenstein. „Diese Kommentare der letzten Tage, dass wir das nicht schaffen, sind allesamt Quatsch. Wir wollen doch regionale Versorger sein, dann müssen wir das auch hinkriegen.“ Natürlich sei es problematisch, dass organisatorisch und bei der Finanzierung noch Fragen offen sind. „Aber auch das halte ich als Apotheker aus. Wir haben 2000 bis 3000 Patienten bei uns, die in den Genuss kommen, kostenlose Masken zu erhalten, ich brauche also rund 10.000 Masken. Wenn mich das alles bis jetzt nicht in den wirtschaftlichen Ruin getrieben hat, dann wird es diese Verteilaktion jetzt auch nicht tun.“
Die Masken zu besorgen, sei ebenfalls kein großes Problem gewesen. „Wir haben hier kein landunter. Ich habe meinen Maskenhersteller gleich nebenan, eine mittelständische Firma, die zertifizierte Masken herstellt“, sagt er. Das habe gleich zwei positive Effekte: Erstens habe er seine Masken sofort erhalten und zweitens unterstütze er damit einen regionalen Anbieter. Und die Kunden? „Der Ansturm hat schon angefangen, aber das sind wir ja mittlerweile gewohnt. Nur weil sich die Leute Masken abholen, wird hier kein Chaos ausbrechen. Wenn etwas mehr Menschen kommen, dann warten die halt draußen. Die Vogtländer sind genügsam und halten sich an die Regeln.“