Kampf gegen Dumping-Angebot

Klinikum will Apotheke loswerden – Versorgung auf der Kippe

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Berlin -

Die Kreiskliniken Dillingen-Wertingen geraten in finanzielle Schieflage, die von der Geschäftsführung hinzugezogenen Unternehmensberater wollen die Apotheke, die die beiden Häuser seit Jahrzehnten ohne Zwischenfälle beliefert, vor die Tür setzen. Doch der Inhaber wehrt sich – und stößt bei seinen Recherchen auf merkwürdige Vorgänge. Es ist ein Kampf von David gegen Goliath, in dem zeitweise sogar die Versorgung der Patientinnen und Patienten auf der Kippe stand.

Rund 40 Jahre lang hatte die Apotheke das Klinikum im Schwäbischen beliefert, schon der Vater des heutigen Inhabers, der wegen des noch laufenden Verfahrens namentlich nicht genannt werden will, hatte den Versorgungsauftrag herangeholt. Die Zusammenarbeit sei stets super gelaufen, keine Seite habe Grund zu Beanstandungen gehabt, wie er sagt.

Dann aber sei das Krankenhaus in „brutale finanzielle Engpässe“ geraten. In Medienberichten ist von zweistelligen Millionenverlusten die Rede. Besonders erschwert wird die Situation dadurch, dass der Landkreis die beiden offensichtlich defizitären Standorte vor Jahren vom ebenfalls angeschlagenen Deutschen Orden übernommen hatte und bis heute mit den Schulden umgehen muss.

In dieser Gemengelage holte die Geschäftsführerin eine Unternehmensberatung an Bord. Die drehte jeden Stein um und stellte alle Ausgaben auf den Prüfstand. So wurde auch die Apotheke darüber informiert, dass man die Arzneimittelversorgung künftig ausschreiben werde.

Nicht das günstigste Angebot

Der Inhaber dachte sich zunächst nicht viel dabei, im Juli gab er sein Angebot ab, denn er wollte die Kliniken mit 317 Betten weiter beliefern. Doch Ende Oktober wurde ihm mitgeteilt, dass ein anderer Anbieter den Zuschlag erhalten hätte. Sein Angebot sei zwar qualitativ gleichwertig gewesen, aber zu teuer.

„Ich war enttäuscht“, so der Apotheker. Doch je länger er darüber nachdachte, umso merkwürdiger kam ihm die Sache vor. Immerhin war laut Ausschreibung im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb gerade nicht nur der niedrigste Preis ausschlaggebend. Er hatte gewissenhaft kalkuliert, konnte wirklich jemand so viel günstiger sein? Er entschied sich, die Entscheidung nicht einfach so hinzunehmen, und suchte sich einen Anwalt. „Ich wollte wenigstens wissen, woran es lag.“

David gegen Goliath

Als er erfuhr, wer den Zuschlag gewonnen hatte, begann er bereits zu ahnen, dass die Ausschreibung vielleicht gar nicht so unabhängig und ergebnisoffen war. Die Apotheke der Bezirkskliniken in Günzburg sollte die Versorgung übernehmen – erst kurz zuvor hatte sein bisheriger Auftraggeber mehrere Kooperationsverträge mit dem überregionalen kommunalen Klinikverbund geschlossen, um auf diese Weise zusätzliche Einsparungen zu generieren.

Mit seinem Nachprüfungsantrag konnte der Apotheker die Ausschreibung vorerst stoppen. Da es aber bereits Ende November war und der bestehende Vertrag zum Jahresende auslaufen würde, forderte das Klinikum die beiden Kontrahenten auf, Angebote zur interimsweisen Bedarfsdeckung bis zum Abschluss des Verfahrens abzugeben. Der Leistungsumfang war derselbe, nur das „digitale Medikationsmanagement“ hatte man gestrichen. Diesmal sollte von vornherein nur der Preis entscheidend sein – unterteilt in 95 Prozent Kosten der Dienstleistung und 5 Prozent Kosten für 100 Sonderlieferungen.

Wieder ging der Zuschlag an den Kontrahenten, wieder stellte der Apotheker einen Nachprüfungsantrag. Neben der kurzen Frist – zwischen Aufforderung und Abgabetermin lag nur eine Woche – reklamierte er, dass das andere Angebot niedrigpreisig sei und deshalb hätte ausgeschlossen, mindestens jedoch aufgeklärt werden müssen.

Leistungen aus Kalkulation gestrichen

Als er kurz vor Weihnachten schließlich Akteneinsicht bekam, staunte er nicht schlecht: Der Mitbewerber hatte in seinem Angebot beziehungsweise in seiner „Darstellung der Grundlagen der Preisgestaltung“ rundheraus erklärt, dass er die einige der geforderten Leistungen nicht erbringen werde, nämlich des Antibiotic Stewardship, die Arzneimittelvisiten, die Arzneimittelanamnese sowie das Entlassmanagement.

Da diese vier Punkte aber aus seiner Sicht zentraler Gegenstand der Ausschreibung waren und angesichts des Arbeitsumfangs und Personaleinsatzes „erheblich kalkulationsrelevant“ waren, sei das Angebot unzulässig und zwingend auszuschließen, so der Apotheker. Dann wiederum wäre von den zwei Bietern nur einer übrig geblieben – nämlich er mit seiner Apotheke.

Doch das wiederum verhinderte das Klinikum – indem es das Vergabeverfahren kurz nach Weihnachten einfach aufhob. Genannt wurden schwerwiegende Gründe, vor allem die Aussage der Regierung von Oberbayern, dass die Genehmigung des Versorgungsvertrags während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens nicht erteilt werden könne. Eine Aufhebung sei damit nicht nur gerechtfertigt, sondern zur Sicherstellung der Patientenversorgung erforderlich. Insoweit gebe es gar keinen Ermessensspielraum.

Auftrag direkt vergeben

Tatsächlich hatte das Klinikum aber schon vor Weihnachten dem Konkurrenten des Apothekers den Auftrag erteilt, für einen Übergangszeitraum von drei Monaten die Belieferung zu übernehmen. Weil die Zeit knapp wurde, wurde der Auftrag diesmal direkt und ohne Ausschreibung vergeben.

Davon wusste der Apotheker offenbar nichts, als er am Abend des 28. Dezember eine E-Mail verfasste und an das Klinikum, die Vergabekammer, das Landratsamt und die Aufsichtsbehörde schickte. Darin warnte er vor einem drohenden Versorgungsausfall und machte deutlich, dass er nach wie vor leistungsbereit sei: Durch eine interimsweise Verlängerung des bestehenden Versorgungsvertrags könne der drohende Kollaps, den die Klinik „durch ihre riskanten und völlig unverständlichen, das Neutralitätsgebot fortgesetzt missachtenden Manöver verursacht“ habe, verhindert werden.

Das wiederum wertete das Krankenhaus als Affront: Die E-Mail sei ein unzulässiger Versuch des Apothekers, Einfluss auf die Entscheidungsfindung zu nehmen. Ziel seiner Nachricht sei offensichtlich die Erzeugung von politischem Druck mit der Absicht, eine Zuschlagserteilung zu bewirken. Im Übrigen liege mittlerweile ein genehmigter Vertrag mit dem anderen Bieter vor, sodass die Versorgungssicherheit gewährleistet sei, teilte das Klinikum am 3. Januar mit.

Um die Versorgung nicht zu gefährden, ging der Apotheker gegen die Direktvergabe nicht vor, wohl aber gegen die beiden Ausschreibungen. Vor der Vergabekammer München bekam er im ersten Verfahren vollumfänglich Recht: Da der Konkurrent einfach wichtige Leistungen aus seinem Angebot gestrichen hatte, hätte das Klinikum nie den Zuschlag erteilen dürfen – oder jedenfalls wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes den zweiten Bieter darüber informieren müssen.

Unrealistische Preisvorstellung

Laut Vergabekammer konnte die Klinik die Wirtschaftlichkeit des Angebots des Apothekers überhaupt nicht beurteilen, da es weder mit dem Angebot des Konkurrenten vergleichbar war, das ja erhebliche Dienstleistungen nicht umfasste, noch eine belastbare Kostenschätzung bestanden habe: „Die preislichen Erwartungen des Auftraggebers auf der Grundlage des von ihm ausgeschriebenen Leistungsumfangs waren [...] unrealistisch niedrig.“

Stattdessen habe die Klinik „offenbar sehenden Auges und willkürlich ein auszuschließendes Angebot bezuschlagt und damit eine wesentliche Ursache für ihre spätere zeitliche Zwangslage gesetzt“. Dass sie nun die Ausschreibung zurückziehen wolle, diene nur zur „Vermeidung einer Doppelbeauftragung“ – die sie aber „durch ihr eigenes Tun selbst verursacht“ habe.

Übermächtiger Gegner

Noch laufen die beiden Verfahren, der Apotheker will die Sache durchfechten. „Ich will die Klinik wieder versorgen“, sagt er. Daneben geht es ihm aber auch ums Prinzip: „Der Fall zeigt deutlich, wie sich die freien Heilberufe zunehmend gegen staatlich subventionierte Großbetriebe durchsetzen müssen.“

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