Klinikapotheker: Kein Run auf Anti-Corona-Arzneimittel Lothar Klein, 29.04.2020 14:18 Uhr
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat bundesweit 18 ausgewählte Apotheken von Universitätskliniken sowie Krankenhausapotheken der STAKOB-Behandlungszentren damit beauftragt, zentral beschaffte Arzneimittel zur Therapie schwerwiegender Covid-19-Erkrankungen zu verteilen. Unter anderem ist die München Klinik Schwabing zuständig für die Regionen Oberpfalz und Franken in Bayern. Dr. Steffen Amann, Chefapotheker der Krankenhausapotheke der München Klinik, hat Bestellungen in niedriger zweistelliger Höhe erhalten und abgewickelt: „Ich hätte mit mehr gerechnet“, so Amanns erstes Fazit.
Über die Bundeswehr hat das BMG das HIV-Therapeutikum Kaletra (Lopinavir, Ritonavir) sowie die in Japan zugelassenen Arzneimittel Avigan (Favipiravir) und Foipan (Camostat) und Chloroquin-haltige Arzneimittel zur Behandlung von Covid-19-Patienten mit schweren Verlaufsformen zentral beschafft. Die Bundeswehr hat die Arzneimittel gleichmäßig über die 18 Stellen verteilt. Die neu geschaffene Verteilungsstruktur könnte zusätzlich an Bedeutung gewinnen, wenn das BMG eventuell weitere Arzneimittel oder später einmal Impfstoffe verteilt.
Die München Klinik Schwabing ist eine von zwei Verteilstellen in Bayern und das einzige STAKOB-Behandlungszentrum im Freistaat – diesen Zentren kommt bei der bundesweiten Versorgung von Patienten mit hochansteckenden Erregern eine besondere Bedeutung zu, da sie eine besondere infektiologische Expertise im Bereich des Personals, der technischen Ausstattung und der Labordiagnostik vorhalten. Außerdem verfügt die München Klinik über Erfahrung mit der Corona-Infektion: In Schwabing wurden Ende Januar die ersten Covid-19-Patienten in Deutschland behandelt. Seit der weiteren Verbreitung des Erregers Sars-CoV-2 in Deutschland hat die Klinik über 600 Covid-19-Patienten behandelt, über 500 Patienten konnten bereits entlassen werden.
Der zentral gesteuerte Prozess zur bundesweiten Verteilung der antiviralen Medikamente ist ein weiterer Schritt, die Versorgung von Covid-19-Patienten flächendeckend auszubauen. „Es ist wichtig, dass die Verteilung dieser knappen Arzneimittel sehr gezielt und mit der pharmazeutisch-logistischen Expertise durch die Krankenhausapotheken erfolgt. Sobald ein Arzneimittel als mögliche Medikation für Covid-19-Patienten diskutiert wird, ist der Markt leergekauft. Das haben wir bei Hydroxychloroquin (z.B. Quensyl) oder Lopinavir mit Ritonavir (z.B. Kaletra) gesehen, bis hin zu Versorgungsnöten der Patienten, die diese Arzneimittel regelhaft benötigen. Wir geben die Arzneimittel, die für Covid-19-Patienten nicht zugelassen sind, nur für konkrete Patienten zum individuellen Heilversuch aus. So ist sichergestellt, dass Patienten damit behandelt werden können und nicht Vorräte angelegt werden“, so Chefapotheker Amann.
Von einem „Run“ auf diese Arzneimittel sei aber nichts zu spüren, so Amann. Es gab eine niedrige zweistellige Fallzahl. Das erklärt sich Amann so: „Diese Arzneimittel gehören zu einer Ultima Ratio-Therapie. Die bestellenden Ärzte tragen eine sehr große Verantwortung. Damit gehen sie offenbar sehr sorgfältig um.“ „Sehr gut“ findet er die neue, zentrale Lieferstruktur. Damit könnten alle beliefert werden. „Bisher hat alles gut geklappt. Wir konnten jede Anfrage bedienen. Es gab bei der Abwicklung keine Probleme“, so Amann.
Versorgungsengpässe gab es keine, die sieht der Chefapotheker auch für die Zukunft nicht. „Falls einmal ein Arzneimittel bei uns fehlen sollte, können sich die 18 Apotheken gegenseitig aushelfen. Das ist kein Problem“, so Amann. Seine Klinikapotheke sei mit den Arzneimitteln „gut bestückt“, von den aus Japan beschafften Arzneimittel gebe es allerdings nur eine „überschaubare Anzahl“. In seiner Klinikapotheke werden diese zentral beschafften Arzneimittel separat gelagert.
Das BMG weist darauf hin, dass für keines der beschafften Arzneimittel eine Zulassung für die Behandlung von Covid-19 besteht. Auch könne keine allgemeine Therapieempfehlung ausgesprochen werden. „Der Einsatz dieser Arzneimittel ist daher vorzugsweise im Rahmen klinischer Prüfungen durchzuführen und im Rahmen einer Einzelfallentscheidung als individueller Heilversuch im Off-Label-Use zu erwägen“, so BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller.
Der Bestellprozess läuft wie folgt ab: Die Klinikärzte treffen die klinisch-therapeutische Entscheidung. Die Einwilligung des Patienten muss in der Patientenakte dokumentiert werden. Über die eigene Krankenhausapotheke beziehungsweise krankenhausversorgende Apotheke erfolgt die „Sonderanfordung“. Die zuständige Krankenhausapotheke oder krankenhausversorgende Apotheke führt eine Plausibilitätsprüfung durch und fordert das Arzneimittel mit dem dazu entworfenen Bestellformular bei der zuständigen, vom BMG beauftragten Krankenhausapotheke an. Die vom BMG zur Verteilung der Arzneimittel beauftrage Krankenhausapotheke gibt Arzneimittel an die bestellende Apotheke weiter. Belieferte Kliniken sollen bei Bedarf die Arzneimittel an weitere Kliniken im Umkreis verteilen und können diese außerdem untereinander austauschen. Restmengen können für weitere Patienten genutzt werden.
Die Krankenhausapotheke ist laut Amann eine tragende Säule in der Patientenversorgung der München Klinik. Sie versorgt die jährlich rund 135.000 stationären Patienten und 160.000 Notfallpatienten an den fünf Standorten der München Klinik mit lebensnotwendigen Medikamenten und bereitet jährlich mehr als 50.000 Zytostatika-Infusionen zur individuellen Therapie von Krebspatienten selbst zu. Etwa 2300 Bestellzeilen von den Stationen der Kliniken werden jeden Tag beliefert, vom Antibiotikum bis zur Infusionslösung. Vieles davon produziert die Krankenhausapotheke selbst, da gerade für die Kinderklinik und in der Dermatologie spezielle Arzneimittel, die nicht industriell hergestellt werden, benötigt werden. In der München Klinik führen insgesamt fast 100 Menschen diese vielfältigen Aufgaben aus.
Angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie und der gerade in der Anfangszeit bundesweit angespannten Materialsituation, hat die München Klinik im Bereich der Desinfektionsmittel seit mehreren Wochen auf eine Eigenproduktion durch die Krankenhausapotheke umgestellt, um die Verfügbarkeit sowohl für Mitarbeitende als auch Patienten sicherzustellen. Die Apotheke hat in den letzten Wochen schon über 4000 Liter Desinfektionsmittel selbst hergestellt und in über 6000 Flaschen gefüllt. Auch sterile Arzneimittel zur Injektion stellt die Krankenhausapotheke inzwischen her, um die Versorgungsengpässe vor allem zur Schmerzbehandlung und Dauernarkose der Intensivpatienten zu überbrücken.
Die München Klinik ist Deutschlands zweitgrößte kommunale Klinik und mit annähernd 3000 Betten vergleichbar groß wie die Berliner Charité – zum Verbund gehören vier Häuser der Maximalversorgung in Bogenhausen, Schwabing, Harlaching und Neuperlach und Europas größte Hautklinik in der Thalkirchner Straße sowie eine eigene Akademie zur Ausbildung von Pflegenachwuchs. Mit jährlich über 6000 Geburten kommen hier deutschlandweit die meisten Babys zur Welt und fast die Hälfte aller Notfälle der Millionenstadt München werden hier versorgt.