„Kleine Landapotheken sind Störfaktor für Politik“ Torsten Bless, 10.04.2018 15:19 Uhr
Nach mehr als 36 Jahren will Rolf-Dieter Schaetzle Ende Juni in den Ruhestand gehen. Doch für seine Landapotheke im baden-württembergischen Gaiberg will sich kein Nachfolger finden. Dabei seien die ökonomischen Bedingungen freundlich, trotz aller Störfeuer aus der Bundespolitik, sagt der Pharmazeut.
Seit 1982 führt Schaetzle die Linden-Apotheke im 2300-Einwohner-Ort. „Ich wurde von einem Außendienstmitarbeiter eines Großhändlers zur Gründung ermutigt“, erinnert er sich. „Es gab zwar eine sehr große Arztpraxis am Ort, aber noch keine Apotheke.“ Schaetzle wuchs im zehn Kilometer entfernten Walldorf auf und studierte im nahen Heidelberg. „Ich wollte aus meiner Heimat auch nicht weg.“
Den Schritt habe er nie bereut. „Ich hatte die Jahre über unheimlich Spaß an meiner Arbeit“, betont Schaetzle. „Es gibt kaum einen Beruf, bei dem man so nah bei den Menschen ist.“ Doch die Rahmenbedingungen seien mit der Zeit allmählich schwieriger geworden: „Das Einkaufsverhalten der Leute hat sich verändert. Selbst die älteren Leute sind mobiler geworden und haben ein Auto, so gehen uns viele Rezepte verloren.“
Die meisten Steine habe ihm und seinen Kollegen jedoch die Politik in den Weg gelegt. Das Ungemach habe 2004 begonnen: „Damals wurden die prozentualen Aufschläge auf das Rezept auf Fixzahlungen umgestellt“, erinnert sich Schaetzle. „Apotheken haben immer noch mit den fast gleichen Festbeträgen wie 2006 zu tun. Seitdem gab es keine wirkliche Einkommenserhöhung mehr.“ Mit dem Versandhandel für Arzneimittel sei eine weitere Konkurrenz entstanden: „Ulla Schmidt hat ihn in ihrer Zeit als Bundesgesundheitsministerin ohne Not eingeführt. Die Apotheke auf dem Land lebt aber vor allen von Einzelgeschäften, mit dem Internet ist ein Teil des Umsatzes weggebrochen.“
Von den Entscheidungsträgern erwarte er nicht mehr viel: „Sie sagen, dass die Versorgung der Bevölkerung auf dem Land gleich gut bleiben muss. Aber in Wirklichkeit sind für sie die kleinen Apotheken ein Störfaktor. Sie machen die Gesetze so, dass die Landapotheke keine Chance mehr hat“, beklagt Schaetzle. Bei vielen herrsche der Irrglaube vor, dass eine Konzentration des Marktes auch zu einer Senkung der Kosten im Gesundheitswesen führen werde: „Sie denken, dass eine große Apotheke billiger ist als drei kleine. Aber ob Rezepte von einer großen oder drei kleinen beliefert werden, macht keinen Unterschied.“
Eine Apotheke am Ort bedeute aber für seine Einwohner ein wichtiges Stück Lebensqualität. „Wir sind hier Ansprechpartner für viele Probleme, gerade der älteren, einsamen Mitbürger.“ Laufkundschaft gebe es wenig, dafür eine sehr treue Stammkundschaft. „Ich kenne Frau Meier und Frau Müller mit Namen, ich kann sie fragen, wie es ihnen geht und wie das empfohlene Medikament gewirkt hat.“ Auf dem Dorf sei man als Apotheker noch wer. Bei all der Freude am Beruf, nage der Zahn der Zeit auch an ihm. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt zum Aufhören gekommen. „Ich bin jetzt fast 67, meine Gesundheit ist nicht mehr so wie mit 20. Ich hab über 36 Jahre gearbeitet und einfach keine Lust mehr.“
Finanzielle Gründe hätten ihn nicht zu seiner Entscheidung bewegt, an die Zukunftsfähigkeit der Linden-Apotheke glaube er uneingeschränkt: „Wir haben eine günstige Miete und keine überbordenden Kosten, das wird sich auch nicht verändern.“ Eine Arzt- und Zahnarztpraxis am Ort sorgten für regelmäßige Rezepte. „Man kann hier gut existieren.“
Zudem sei der Ort günstig und malerisch gelegen: „Gaiberg ist sieben Kilometer von Heidelberg entfernt, wir haben hier ein angenehmes Klima und liegen direkt am Wald. Die Mitarbeiter von so großen nahe gelegenen Firmen wie dem Finanzdienstleister MLP oder dem Softwarehersteller SAP wohnen gerne hier, und die haben Geld.“ Der Ort werde demnächst noch erheblich wachsen, weiß Schaetzle auch aus seiner Tätigkeit als Gemeinderat für die Fraktion SPD/Aktive Gaiberger. „In fünf bis sechs Jahren wird ein Neubaugebiet fertig gestellt sein, dann bekommen wir 250 Einwohner dazu. Auch ein Einkaufszentrum wird demnächst entstehen.“
Neben ihm arbeiten drei PKA, ein älterer Teilzeit-Approbierter und eine Reinigungskraft. Damit sich seine Mitarbeiter keine neue Stelle suchen müssen, lockt Schaetzle mit günstigen Übernahmekonditionen: „Ein Nachfolger muss das Warenlager und ein paar Liter Heizöl übernehmen, das sind aber keine riesigen Beträge“, versichert er. „Die Einrichtung und die Ausrüstung kann er kostenlos übernehmen, wenn ich sie wegschmeißen müsste, bekäme ich dafür ja auch nichts.“
Bange, dass ihm nach dem 1. Juli langweilig werden könne, habe er nicht: „Auf mich wartet ein alter VW-Käfer, Baujahr 1972, er steht schon 30 Jahre in der Garage“, erzählt der Ruheständler in spe. Am Liebhaberstück müsse noch ein bisschen geschraubt werden. „Aber ich habe in meinem Studium als KFZ-Mechaniker gearbeitet. Wenn der Wagen fertig zusammen gebaut ist, werde ich meine Spazierfahrten machen.“