ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Kessel für die Offizin: Apotheken rüsten auf

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Berlin -

Sommer 2022. In den Apotheken ist an Urlaubsstimmung nicht zu denken. Fast schon egal, in welche Kategorie man schaut: Allzu lang sind die Defektlisten, allzu groß die Lücken in der Sichtwahl. Und dann sagt der Branchenprimus auch noch die Winterbevorratung ab. Die ersten Kolleg:innen rüsten auf.

Es raucht und qualmt neuerdings über den deutschen Apotheken. Fristete die Rezeptur vielerorts über Jahre hinweg ein Nischendasein, das bestenfalls Ausstattern und Verlagen ein regelmäßiges Einkommen bescherte, wird neuerdings wieder im Akkord produziert. Nicht weil Retro schick ist, sondern weil die Hersteller immer häufiger passen müssen. Der allseits beschriebene Abriss der globalen Lieferketten hat nicht nur die Automobil- und Halbleiterbranche, sondern auch die Pharmazie erreicht.

Was eben noch undenkbar war: Ausgerechnet 2-Euro-Artikel werden neuerdings wieder in der Apotheke hergestellt – zum Preis von 20 Euro aufwärts. Die Kassen zahlen massiv drauf, der Beitragssatz steigt, Lauterbachs Spargesetz läuft ins Leere. An Rabattvertrag und Festbetrag wird trotzdem nicht gerüttelt.

Weil es mittlerweile nicht mehr nur um Exoten geht, sondern gängige Schnelldreher wie Fiebersäfte und -zäpfchen oder auch Nasensprays betroffen sind, werden die Ansätze immer größer, die Methoden immer ausgefeilter. GMP statt NRF, lautete die Devise für den Offizinapotheker. Edelstahltank statt Holzregal.

So rüsten die Apotheken auf. Im Labor werden Bunsenbrenner, Feinwaage und Topitec durch Kessel, Destille und Hochofen ersetzt. Der (ohnehin leere) Rowa macht Platz für eine gigantische Tablettenpresse. Beipackzettel werden von flinken Roboterarmen gefaltet, die nebenbei auch noch die (wenigen) Großhandelswannen auspacken und die Umschau abstempeln. Heiße Bonbonmasse wird mit Wirkstoff versehen, während sie durch den Pausenraum quillt. Und wer einen besonderen Hingucker für die Kunden will, führt seine Abffüllstraße einmal quer durch die Offizin. Das friedliche Klappern leerer Glasflaschen wirkt ebenso beruhigend wie beeindruckend auf die Kundschaft. Nach Feierabend beginnt die zweite Schicht, an hohen Schornsteinen leuchtet das Apotheken-A weit in die Nacht.

Ausfall bei Ratiopharm

Fakt ist, dass in den Apotheken händeringend nach Alternativen gesucht wird, nachdem Ratiopharm bereits die zweite Tranche seiner Winterbevorratung abgesagt hat. Nach dem Nasenspray für Kinder fallen auch Fiebersäfte, -zäpfchen und -brausetabletten aus. Doch so leicht zu kompensieren ist der Ausfall nicht: Bei vielen Produkten war der Branchenprimus der führende, bei einigen sogar der einzige Anbieter. Arzneimittelbehörde und Gesundheitsministerium haben das Problem mittlerweile anerkannt, aber noch keinen Notstand ausgerufen.

Zugegeben: Engpässe gehören seit langem zum Alltag in den Apotheken, schon vor Jahren feierten Apotheken jede Lieferung von Novaminsulfon fast wie den Geburtstag der Chefin. Aber was, wenn die stundenlangen Telefonate und Debatten mit verärgerten Kund:innen erst der Anfang waren? Aktuell reißen die Meldungen über Lieferengpässe überhaupt nicht mehr ab: Caprelsa, Colimune, Buscopan, Oralpädon, um nur einige Beispiel aus der aktuellen Defektliste zu nennen. Nicht alles gleich schlimm, aber alles gleich ärgerlich.

Das Perfide ist, dass die zahlreichen gesundheitspolitischen Folterinstrumente nicht nur für die Misere (mit) verantwortlich sind, sondern den Apotheken allzu oft den Ausweg verbauen, wie das Beispiel Paracetamol zeigt: Benuron gibt es nur gegen Aufzahlung, weil die Kassen Mehrkosten nur bei Defekten von Rabattarzneimitteln übernehmen. Für Rezepturen wird ein neues Rezept benötigt, auf dem partout keine weitere Verordnung stehen darf. Und eine Herstellung auf Vorrat als Defektur kommt erst dann in Betracht, wenn eine häufige ärztliche Verordnung vorliegt. Vorschlag: Statt Spargesetz erstmal ein Bürokratiespargesetz zur Sicherung der Versorgung. Schönes Wochenende!

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