Ein homöopathisches Arzneimittel, das einen bestimmten Wirkstoff im Namen trägt, führt Verbraucher in die Irre. Zumindest im Falle einer Apothekerin, die homöopathische Tropfen und Globuli mit dem Schwangerschaftshormon HCG als vermeintlichem Wirkstoff vertrieben hat, hat das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) nun diese Rechtsauffassung vertreten. Der Apothekerin wurde der weitere Vertrieb von zwei Produkten unter Strafandrohung verboten. Eine rechtsverbindliche Wirkung für andere Homöopathika hat das Urteil zwar nicht – allerdings könnte von ihm eine wichtige Signalwirkung an Homöopathiekritiker ausgehen, die andere Hersteller oder Produkte angreifen wollen.
Dass Homöopathika keine Wirkstoffe im wissenschaftlichen Sinne beinhalten, sollte sich herumgesprochen haben und zumindest denjenigen bekannt sein, die bewusst auf Globuli setzen. Oder nicht? Anfang 2020 hatte das Landgericht Darmstadt (LG) im Falle einer Apothekerin, die von der Wettbewerbszentrale abgemahnt worden war, diese Auffassung vertreten. Die Wettbewerbszentrale forderte von ihr, ihre Produkte „HCG C30 Globuli“ und „HCG C30 Tropfen“ nicht mehr zu vertreiben und begründete das unter anderem damit, dass Verbraucher dadurch in die Irre geführt würden – schließlich ist mit keinem bekannten wissenschaftlichen Verfahren ein Wirkstoff nachzuweisen.
Doch das LG gab der Apothekerin recht: Da grundsätzlich davon ausgegangen werden müsse, dass es sich bei dem angesprochenen Verkehrskreis um Personen handelt, die grundsätzlich der Homöopathie offen gegenüberstehen und denen bekannt ist, dass die Wirkstoffe bei homöopathischen Arzneimitteln geringer dosiert sind als bei klassischen schulmedizinischen Produkten, könne eine Irreführung nicht angenommen werden, urteilte es. „Anhänger der klassischen Schulmedizin“ würden von der Werbung der Beklagten nicht angesprochen, so die Richter damals.
„Aus meiner Sicht war das Urteil des Landgerichts Darmstadt grob falsch“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Hans-Jürgen Ruhl, der die Wettbewerbszentrale in dem Fall vor Gericht vertreten hat. Und das OLG sah es genauso. „Anders als das LG ist das OLG davon ausgegangen, dass von der Werbung für das angegriffene Mittel alle Menschen angesprochen werden, nicht nur Homoöpathieanhänger. Dadurch handelt es sich um eine Irreführung, die unlauter ist.“ Denn nicht nur Homöopathieanhänger sehen die Werbung oder das Präparat an sich, wenn sie in die Apotheke kommen. „Die Mehrheit der Menschen denkt, dass das, was draufsteht, auch drin ist“, so Ruhl. Dass die Globuli keinen nachweisbaren Wirkstoff enthalten, habe auch in der mündlichen Verhandlung niemand in Zweifel gezogen. „Es war zwischen den Parteien vor Gericht absolut unstrittig, dass das besagte Hormon in den Produkten nicht nachweisbar ist. Dieser Sachverhalt wurde vom OLG zugrunde gelegt.“
Das OLG vertrat damit die Auffassung, dass das LG das Irreführungsargument falsch verhandelt hat. In einem begründeten Urteil hat es diese Rechtsauffassung jedoch nicht festgeschrieben – es handelt sich „lediglich“ um ein sogenanntes Anerkenntnisurteil: Nachdem das Gericht seine Rechtsauffassung aufführte und der Apothekerin klarmachte, dass sie wohl keine Chance hätte, das Verfahren für sich zu entscheiden, räumte sie ihre Niederlage ein. Die Zivilprozessordnung sieht vor, dass das Gericht dann keine schriftliche Begründung mehr angeben muss, was den juristischen Sieg für die Homöopathiekritiker deutlich schmälert. „Ich hätte mir gewünscht, wir hätten eine begründete Entscheidung erhalten, die dann möglicherweise in der Branche zu Konsequenzen geführt hätte. Aber wenn die Gegenseite einräumt, im Unrecht zu sein, dann kann ich mir das nicht aussuchen“, sagt Ruhl. „Das Urteil wird die juristische Fachdiskussion kaum beeinflussen, weil es keine veröffentlichte Begründung gibt.“
Hinzu kommt der Grundsatz des Zivilrechts, dass ein Urteil nur zwischen den beiden betroffenen Parteien gilt. Dennoch: Von dem Urteil könnte durchaus eine wichtige Signalwirkung ausgehen. „Eigentlich hat das OLG etwas ausgesprochen, das selbstverständlich ist: Wenn ich ein Arzneimittel nach einem Wirkstoff benenne, muss es den auch enthalten“, sagt Ruhl. „Das ist ein ganz einfacher Grundsatz, den das LG mit seinem Urteil in die Ferne gerückt hatte und das OLG wieder auf die Füße gestellt hat.“ Auch dadurch könnte das Urteil indirekt Wirkung entfalten. Homöopathie ist so umstritten wie eh und je, die Zahl ihrer expliziten Gegner – die sich seit geraumer Zeit auch organisieren – ist groß. Und sie sind aktiv. „Würde ein neues Verfahren, beispielsweise gegen andere Produkte, geführt, könnte das jetzige Urteil vor Gericht in einem Klägervortrag angeführt werden, auch wenn es keinerlei zwingende juristische Bindung in dem jeweiligen Verfahren hätte. Außerdem ist es eine Bestärkung für jemanden, der ein neues Verfahren führen will. Es zeigt, dass das schon einmal funktioniert hat.“
Die betroffene Apothekerin hat nun laut Ruhl zwei Optionen: Entweder sie nimmt die beiden homöopathischen Produkte aus dem Sortiment oder sie muss sie insoweit anders gestalten, als sie aus dem Tenor des Urteils herausfallen. Das heißt: Sie dürfen nicht mehr als HCG-Tropfen oder -Globuli benannt werden, so Ruhl: „Mit einer Fantasiebezeichnung wäre sie raus aus dem Verbot.“
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