Keine Streiklust bei den Apothekern Silvia Meixner, 04.04.2017 15:02 Uhr
Piloten und das Bodenpersonal legen regelmäßig Flughäfen lahm und torpedieren die Reisepläne von Hunderttausenden. Je nach Berufsgruppe im Arbeitskampf sind auch Bahnreisende oder Eltern betroffen. Streik ist für viele Angestellte das letzte Mittel, um ihre beruflichen Forderungen durchzusetzen. Apotheker hingegen streiken selten – und das hat gute Gründe.
Derzeit herrscht in der Apotheker-Branche eine Stimmung, in der so mancher Gewerkschaftsboss längst zum Streik aufgerufen hätten: Kein Rx-Versandverbot, keine Anpassung des Fixhonorars, sinkende Apothekenzahlen. Aber die öffentliche Kritik bleibt – mit wenigen Ausnahmen – weitgehend moderat.
Adexa-Vorstand Andreas May wetterte nach dem Aus des Rx-Versandverbots beim Koalitionsgipfel: „Es wird also weiter dilettiert und ein verstärktes Apothekensterben in Kauf genommen – sehenden Auges. Kann sich der Berufsstand, können sich alle (!) öffentlichen Apotheken jetzt zu einer konzertierten Aktion aufraffen, die medial wirksam und bundesweit spürbar ist? Oder geht die Suche nach Plan C los in der üblichen, zersplitterten und intransparenten Art und Weise?“ Dieser Schlachtruf verhallte.
Anders verlief es 2012, beim bislang letzten Apothekerstreik. In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland traten Apotheker in den Warnstreik und verkauften nur über das Notdienstfenster. Damals stritten die Pharmazeuten mit der Regierung über ihr Honorar. Rund 4000 Apotheken wurden von den Verbänden zum Streik aufgerufen, mindestens 90 Prozent beteiligten sich an der Arbeitsniederlegung.
Apotheker sind insgesamt kein streikwütiges Völkchen. Dafür nennt Klaus Laskowski, stellvertretender Geschäftsführer und Justitiar der Bayerischen Landesapothekerkammer, einen guten Grund: „Apotheker ist ein sozialer Beruf. Jeder ist Unternehmer und Heilberufler, er weiß, dass es Patienten auszubaden haben, wenn er streikt.“ Man müsse schauen, dass es im Fall eines Protestes „den Richtigen“ treffe. Das sei nun einmal nicht der Patient, der vielleicht dringend ein Medikament benötige.
Der zweite wichtige Grund gegen Streik-Aktionen in Apotheken ist die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO): „Apotheker unterliegen der Dienstbereitschaftsverpflichtung, das beschränkt das Streikrecht“, sagt Laskowski. „Als Apotheker habe ich demnach eine gesetzliche Verpflichtung zum Betrieb, ich kann allerdings den Service einschränken.“ So lange die Kernzeiten gewährleistet sind – in Bayern sind diese zum Beispiel von Montag bis Freitag von 9-12 Uhr und von 14.30-18 Uhr und am Samstag von 9-12 Uhr – könne man zum Beispiel eine Stunde lang seine Apotheke wegen Streiks schließen. „Variante zwei wäre, den Kernbetrieb aufrecht zu erhalten und die Kunden über die Notdienstklappe zu versorgen.“
Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass die Kunden abwandern. Wer den Konkurrenten kompetent und nett findet, kommt möglicherweise nicht wieder. Beim Streik im Jahr 2012 entstanden in vielen Apotheken lange Warteschlangen, da die streikenden Pharmazeuten Medikamente nur über die Notdienstklappe ausgaben.
Ein Streik-Beispiel aus der Ärztebranche: Das Bundessozialgericht (BSG) wies kürzlich die Revision eines Mediziners zurück, der nicht hinnehmen wollte, dass er einen disziplinar-rechtlichen Verweis erhalten hatte. Zuvor war er bereits vor dem Sozialgericht Stuttgart mit seiner Klage gescheitert.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin aus Baden-Württemberg teilte der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Jahr 2012 mit, dass er gemeinsam mit fünf anderen Kollegen „das allen Berufsgruppen verfassungsrechtlich zustehende Streikrecht“ ausüben und deshalb zwei Tage lang seine Praxis schließen werde. Eine Notfallversorgung sei gewährleistet, indem er in einem Aushang an der Praxis sowie via Anrufbeantworter auf einen die Notfallversorgung übernehmenden Kollegen hinweisen wolle.
Mit einem Warnstreik wollten er und seine mitstreikenden Kollegen der Forderung nach einem ärztlichen Honorarsystem Ausdruck verleihen, welches feste Preise ohne irgendeine Form von Mengenbegrenzungen vorsehe. Der Disziplinarausschuss eröffnete ein Disziplinarverfahren gegen ihn und erteilte ihm 2013 schließlich einen Verweis, da er seine Pflichten als Vertragsarzt verletzt habe. Vertragsärzte seien grundsätzlich verpflichtet, am Vertragsarztsitz in den Praxisräumen Sprechstunde zu halten.
Deshalb sei die Praxisschließung zur Ausübung eines Warnstreiks nicht gerechtfertigt. Ein derartiger Verstoß gegen die Präsenzpflicht sei als „schwerwiegend“ einzustufen. Da der Arzt allerdings zum ersten Mal disziplinarisch aufgefallen sei, hielt das Gericht einen Verweis für angemessen. Der beklagte Arzt führte an, dass es ein „absolutes Streikverbot, das über allem stehe“ auch im Vertragsarztrecht nicht gebe, Vertragsärzte könnten nicht schlechter gestellt werden als zum Beispiel Arbeitnehmer oder Beamte.
Ein vollständiger Ausschluss vom Streikrecht sei weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich haltbar. Ein weiteres Argument: Ein Warnstreik von Vertragsärzten, der eine ausreichende Notfallversorgung gewährleiste und verhältnismäßig sei, könne durchaus rechtmäßig sein – ein rechtmäßiger Streik wiederum dürfte nicht zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme führen. Dass Vertragsärzte als Freiberufler eingestuft würden, führe nicht dazu, dass diese generell von einem Streikrecht ausgeschlossen wären.
Doch vor Gericht kam er damit nicht durch. Gegen einen „Ärztestreik“ spreche auch, dass die von den Kassen an die KV gezahlte Gesamtvergütung eine Gesamtmenge an Leistungen gemäß Morbidität und Behandlungsbedarf vergüten soll, heißt es in der Urteilsbegründung.