Keine Öffnung ohne Teststrategie: Apotheken müssen jetzt anpacken Tobias Lau, 10.02.2021 14:52 Uhr
Deutschland stehen wieder Lockerungsdebatten bevor. Denn die Inzidenzzahlen sinken, aber das Mutanten-Risiko steigt. Voraussichtlich bis Mitte März bleiben wir also im Lockdown. Umso wichtiger wird deshalb aber in den kommenden Wochen eine transparente, konsequente und faire Öffnungsstrategie. Einer ihrer zentralen Pfeiler werden umfassende Testungen und deren Nachweise sein, wie es Österreich gerade vormacht. Das ist komplexer, aber gesamtgesellschaftlich auch wichtiger als die Verteilung kostenloser FFP2-Masken. Anders als bei der Hauruck-Aktion im Dezember werden die Apotheken nun allerdings nicht allein beauftragt, sondern haben die Chance – und gesellschaftliche Pflicht – sich einzubringen. Dabei sollte die Branche diesmal das größere Ziel nicht aus den Augen verlieren, kommentiert Tobias Lau.
Dass die Apotheker*innen sich wie kaum eine andere Berufsgruppe dafür eignen, Initiativen des Bundes in kürzester Zeit flächendeckend umzusetzen, haben sie mit den FFP2-Verteilaktionen seit Dezember bewiesen. Mündlich bekundete Anerkennung haben sie dafür erhalten: „Wer, wenn nicht die Apotheken, wären dazu in der Lage gewesen?“, hörte man von der Bundes- bis zur Lokalpolitik. Finanziell sieht das Bild bekanntlich gemischter aus: Die Kürzung des Honorars in der laufenden Aktion hat erwartungsgemäß, aber in nachvollziehbarer Weise einigen Unmut provoziert. Zur Dolchstoßlegende reicht sie trotzdem nicht, denn auch das ist Teil der Wahrheit: Dass sich das BMG mit einem Honorar von 6 Euro pro Maske mindestens ungewohnt spendabel gezeigt hat, bestreitet selbst unter den schärfsten Kritikern kaum jemand. Die Dezember-Abrechnung dürften viele Inhaber mit einem wohligen Gefühl betrachtet haben.
Gleichzeitig brachte das ansehnliche Honorar aber erneut Verwerfungen mit sich und führte der Öffentlichkeit einmal mehr eines der Grundprobleme des Berufsstandes vor Augen: Statt an einem Strang zu ziehen, zofft man sich lieber wieder darüber, ob es nun okay sei, sich mit Bonusaktionen gegenüber der Bevölkerung als großzügiger Helfer zu präsentieren oder ob das nur Marketing mit Staatsgeldern sei. Es reicht. Mit solchem Kleinklein sollten sich Verbände, Kammern und Apotheken nicht mehr befassen (müssen). Soll doch jede Apotheke den rechtlich gegeben Spielraum nutzen und den Gemeinwohlauftrag nach bestem Wissen und Gewissen umsetzen, statt sich darüber aufzuregen, dass der Apotheker in der Nachbarschaft doch angeblich nur Kunden abziehen will.
Denn nach der Maskenabgabe ist vor der Testoffensive: Die wird eine bedeutende Rolle bei der Öffnungsstrategie des Bundes spielen. Um den Lockdown zu überwinden, werden Schulen, Kitas und wahrscheinlich bald auch Arbeitgeber, Dienstleister und Handel – perspektivisch auch der Kulturbetrieb und vielleicht sogar die Gastronomie – in den vor uns liegenden Monaten wohl verstärkt auf Tests setzen und so das Infektionsrisiko verringern müssen. Wohin die Reise gehen könnte, zeigt ein Blick nach Süden: In Österreich sind die Friseure seit Montag endlich wieder offen, geschnitten und geföhnt wird aber nicht ohne negatives Testergebnis.
Da könnte also einiges auf die Apotheken zukommen. Umso wichtiger ist es nun, der sonst so oft beschworenen hoheitlichen Aufgabe konstruktiv nachzukommen. Die Frage, ob Laientests nun apothekenpflichtig werden sollen oder nicht, ist dabei höchstens ein Nebenschauplatz. Viel interessanter als diese Frage ist der Gedanke, gegen ein angemessenes Honorar deren Verteilung an die Bevölkerung über die Apotheken zu organisieren, wie es SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis fordert. Eine ungleich größere Aufgabe für viele Apotheken dürften aber ohnehin die Antigen-Tests werden: Reihentestungen in Schulen, Kitas, Behörden und Betrieben, und nicht zuletzt massenhaft Einzeltestungen auf Anfrage werden eine immer größere Rolle spielen, um zumindest Ansätze von Normalität wiederherzustellen und damit auch den besonders von der Krise gebeutelten Menschen und Branchen – zu denen die Apotheken nicht gehören – langsam wieder auf die Beine zu helfen.
Dabei könnte sich einmal mehr das Versorgungsgefälle zwischen Stadt und Land zeigen: In den Großstädten ist es nie weit bis zur nächsten Apotheke. Schwierig könnte es abseits von ihnen werden: Gibt es in der Kleinstadt oder auf dem Dorf wenigstens eine Apotheke, die Tests durchführt oder muss ich erst in die 20 Kilometer entfernte Nachbarstadt fahren – eventuell sogar zu einem ganz anderen Anbieter? Hier hat die Branche die Möglichkeit, sich vor allem in den Augen der Bevölkerung als eine zentrale Stütze der Öffnungspolitik zu profilieren.
Niemand sagt, dass das einfach wird. Insbesondere für kleinere Betriebe, bei denen es sowohl personell als auch räumlich-technisch eng wird, werden kreative Lösungen gefragt sein. Sie sollten sich auf kommunaler Ebene hervortun, indem sie gemeinsame Konzepte auf die Beine stellen, und zur Not eben auch nach Hilfe zu fragen, wenn sie es personell und finanziell nicht allein stemmen können.
Apotheker Dr. Björn Schittenhelm hat bereits vorgemacht, wie das geht – auf ihn baut mittlerweile sein ganzer Landkreis. Dass sich die Apotheken dabei nicht auf die Beauftragung und Hilfe der chronisch überlasteten Gesundheitsämter verlassen können, hat das Beispiel von Schittenhelms Heimat Baden-Württemberg gezeigt: Den Durchbruch brachte die Initiative der grün-schwarzen Landesregierung, Apotheken pauschal über das dortige Gesundheitsministerium zu beauftragen. Damit liegt der Ball im Feld der anderen Landesregierungen – das Modell ist geeignet, den Aufbau flächendeckender Teststrukturen zu ermöglichen, ohne die Gesundheitsämter weiter zu belasten, indem es den Apotheken die Chance gibt, effizient niedrigschwellige Testkapazitäten aufzubauen. Diese Chance müssen sie dann aber auch nutzen.