Apotheken sind nicht verpflichtet, bei der Verarbeitung von Fertigarzneimitteln in Rezepturen nur anteilige Packungen abzurechnen. Das hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) entschieden, der Fall geht nun ans Bundessozialgericht (BSG)*. Es sei unter anderem für die Versicherten nicht zumutbar, dann nur noch Zubereitungen mit kurzer Laufzeit zu erhalten.
Im Streit ging es um Rezepturen, die in den Jahren 2018 und 2019 in einer Apotheke in NRW hergestellt und in denen unter anderem das nicht verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel Mitosyl (mittlerweile außer Vertrieb) und das Kosmetikum Neribas verarbeitet worden waren. In der jeweils kleinsten Größe enthielten die Originalpackungen 65 g beziehungsweise 100 ml, verarbeitet wurden jeweils deutlich geringere Mengen.
Die AOK Nordwest war der Ansicht, dass nur die tatsächlich verarbeitete Menge anteilig zu berücksichtigen sei und retaxierte elf Verordnungen für zwei Versicherte, insgesamt 112 Euro. Zusätzlich wurde gleich mit beanstandet, dass die Rezepturen nicht in der jeweils preisgünstigsten Kruke abgegeben wurden.
Die Apotheke legte Einspruch ein. Es gebe keine Verpflichtung, Reste von benötigten Fertigarzneimitteln aufzubewahren. Für jede Rezeptur sei eine neue Tube Mitosyl benutzt worden, die eigens dafür beim Großhändler bestellt worden sei. Es sei Apotheken auch nicht möglich, die Verwendung von Anbrüchen zu antizipieren, zumal sie keine Kenntnis über weitere Verordnungen habe.
Die Kasse verwies darauf, dass Mitsoyl nach Herstellerangaben sechs Monate haltbar sei, sodass spätere Rezepturen ohne Weiteres aus einer angebrochenen Tube hergestellt werden könnten. Dementsprechend erkenne man für eine Abrechnung des Einkaufspreises einer vollen Tube an, für die jeweils folgenden sechs Monate dann aber nicht mehr. Den Anbruch nach Entnahme einer Teilmenge zu verwerfen, sei in keiner Weise wirtschaftlich.
Nach dem Sozialgericht Münster (SG) kam nun auch das LSG in zweiter Instanz zu der Einschätzung, dass die Retaxation zu Unrecht erfolgt sei. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Preisbildung nach § 5 Absatz 2 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) beziehungsweise Hilfstaxe lasse sich diese Sichtweise ableiten.
Der Umgang mit Anbrüchen sei nur für parentale Zubereitung geregelt, daraus lasse sich aber gerade nichts für andere Zubereitungen ableiten. „Eine analoge Anwendung dieser Regelungen scheidet schon deshalb aus, weil es sich um eine normenvertragliche Abrechnungsvorschrift handelt. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck aber nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht.“
In erster Instanz hatte schon das SG die AOK ziemlich brüsk zurückgewiesen und ihre Argumentation als „realitätsfern“ bezeichnet: So sei bei einem Rezepturarzneimittel, das etwa aus einem zwei Monate alten Anbruch hergestellt werde, dessen Haltbarkeit entsprechend reduziert; hier könne es bei längerfristigem Bedarf aufgrund des Ablaufdatums dann zu verfrühten Neuverordnungen kommen.
Auch sei die Kasse jeden Beweis dafür schuldig geblieben, dass die Apotheke etwaige Anbrüche von Mitosyl und Neribas verwahrt und für ihre Versicherten verwendet hätte. Die gesamte Grundlage ihrer Argumentation entlarve sich daher als „unbelegte Unterstellung“. Im Übrigen wäre nach der Logik der AOK genauso denkbar, dass sie überhaupt keinen Preis zahlen müsse, wenn eine andere Krankenkasse bereits die komplette Packung beglichen habe.
Zusätzliche Bedeutung hat das Urteil auch deswegen, weil die Hilfstaxe seit Ende vergangenen Jahres nicht mehr gilt und die Kassen wegen der veränderten Preisberechnung bereits Retaxationen angekündigt haben.
Unklar ist auch, ob sich aus den mittlerweile verpflichtenden Hash-Codes eine andere Einschätzung ergibt. Die 40-stellige Ziffernfolge enthält Informationen darüber, welches Fertigarzneimittel für die Rezeptur genutzt wurde. So kann zumindest ausgeschlossen werden, dass Apotheken kleine Packungen abrechnen, aber eigentlich mit großen Packungen arbeiten.
*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags hatte es geheißen, das Urteil sei durch das Bundessozialgericht (BSG) ergangen. Dort ist der Fall aber noch anhängig. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
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